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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
Flügel verlangte sogar schon, in Folge einer Petition Robert Blum's,
Verminderung des Heeres und Vereidigung der Truppen auf die Ver-
fassung. Für diesmal ward sie noch geschlagen; der Hof fühlte jedoch,
wie die Zuversicht der Gegner unaufhaltsam anwuchs, und ließ den Nach-
barhöfen aussprechen, nur feste Eintracht aller Kronen könne noch retten.
Darauf versprach ihm Metternich die moralische Unterstützung Oesterreichs;
der preußische Gesandte aber, der alte Jordan, der doch sonst den Herr-
gott gern einen guten Mann sein ließ, sagte sorgenvoll: "Ich fürchte, es
dürfte die Zeit kommen, wo das appui moral nicht mehr ausreichen
wird."*)

In der That hatte Robert Blum seit jenen stürmischen Augusttagen
eine gefährliche Macht erlangt. Es erfüllte sich, was der Oesterreicher
Hübner damals voraussagte: Blum hält die Ordnung aufrecht, und
"diesen Dienst wird er sich theuer bezahlen lassen". Die Regierung konnte
ihm nichts anhaben, sie war dem klugen Demagogen sogar Dank schuldig.
Das Volk betete ihn an, bei keinem Zweckessen, keiner politischen Versamm-
lung durfte er fehlen; seine Freunde schürten überall die Mißstimmung,
und es war wesentlich sein Werk, daß beim Ausbruch der Revolution
Sachsen neben Baden als das radicalste aller deutschen Länder erschien.
Seltsamerweise -- so wenig kannten die Minister ihr eignes Land --
fand Blum in den kleinen Industriestädten mehr Anhänger als in Leipzig
selbst. Zwar umgab ihn auch hier eine starke Partei, die er durch die
Schillerfeste und seinen neugegründeten Redeübungsverein stets in Athem
hielt; der Kern der reichen, gebildeten Bürgerschaft aber gehörte dem ge-
mäßigten Liberalismus an, und als die Tage der Prüfung kamen, da hielt
sich keine Stadt des Landes so ruhig, so gesetzlich, wie dies von der Re-
gierung so schnöde behandelte Leipzig.

Also blieb die deutschkatholische Bewegung für das religiöse Leben
gänzlich unfruchtbar und bewirkte nur, daß die römische Kirche unangreif-
barer denn je erschien. In den Landtagen wurde natürlich um die Dul-
dung der neuen Sekte lebhaft gestritten; je liberaler eine Regierung war,
um so freundlicher kam sie den Anhängern Ronge's entgegen, so vornehm-
lich der Braunschweiger Hof. Im badischen Landtage verlangte Pfarrer
Zittel die völlige Religionsfreiheit und Rechtsgleichheit für alle christlichen
Sekten. Ein echter Sohn des badischen Pfarrhauses, vielseitig gebildet,
mild, fromm, ganz von Hebel's menschenfreundlicher Weisheit erfüllt, hätte
Zittel gern auch für die Juden alle bürgerlichen Rechte gefordert und stand
davon nur ab, weil er den tiefen Abscheu seiner Bauern gegen die Güter-
schlächter und Roßtäuscher kannte. Aber selbst mit seinem beschränkten An-
trage vermochte er noch nicht durchzudringen, da die Ultramontanen im
Oberlande Lärm schlugen und die Regierung bedenklich wurde.


*) Jordan's Bericht, 3. Nov. 1845.

V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
Flügel verlangte ſogar ſchon, in Folge einer Petition Robert Blum’s,
Verminderung des Heeres und Vereidigung der Truppen auf die Ver-
faſſung. Für diesmal ward ſie noch geſchlagen; der Hof fühlte jedoch,
wie die Zuverſicht der Gegner unaufhaltſam anwuchs, und ließ den Nach-
barhöfen ausſprechen, nur feſte Eintracht aller Kronen könne noch retten.
Darauf verſprach ihm Metternich die moraliſche Unterſtützung Oeſterreichs;
der preußiſche Geſandte aber, der alte Jordan, der doch ſonſt den Herr-
gott gern einen guten Mann ſein ließ, ſagte ſorgenvoll: „Ich fürchte, es
dürfte die Zeit kommen, wo das appui moral nicht mehr ausreichen
wird.“*)

In der That hatte Robert Blum ſeit jenen ſtürmiſchen Auguſttagen
eine gefährliche Macht erlangt. Es erfüllte ſich, was der Oeſterreicher
Hübner damals vorausſagte: Blum hält die Ordnung aufrecht, und
„dieſen Dienſt wird er ſich theuer bezahlen laſſen“. Die Regierung konnte
ihm nichts anhaben, ſie war dem klugen Demagogen ſogar Dank ſchuldig.
Das Volk betete ihn an, bei keinem Zweckeſſen, keiner politiſchen Verſamm-
lung durfte er fehlen; ſeine Freunde ſchürten überall die Mißſtimmung,
und es war weſentlich ſein Werk, daß beim Ausbruch der Revolution
Sachſen neben Baden als das radicalſte aller deutſchen Länder erſchien.
Seltſamerweiſe — ſo wenig kannten die Miniſter ihr eignes Land —
fand Blum in den kleinen Induſtrieſtädten mehr Anhänger als in Leipzig
ſelbſt. Zwar umgab ihn auch hier eine ſtarke Partei, die er durch die
Schillerfeſte und ſeinen neugegründeten Redeübungsverein ſtets in Athem
hielt; der Kern der reichen, gebildeten Bürgerſchaft aber gehörte dem ge-
mäßigten Liberalismus an, und als die Tage der Prüfung kamen, da hielt
ſich keine Stadt des Landes ſo ruhig, ſo geſetzlich, wie dies von der Re-
gierung ſo ſchnöde behandelte Leipzig.

Alſo blieb die deutſchkatholiſche Bewegung für das religiöſe Leben
gänzlich unfruchtbar und bewirkte nur, daß die römiſche Kirche unangreif-
barer denn je erſchien. In den Landtagen wurde natürlich um die Dul-
dung der neuen Sekte lebhaft geſtritten; je liberaler eine Regierung war,
um ſo freundlicher kam ſie den Anhängern Ronge’s entgegen, ſo vornehm-
lich der Braunſchweiger Hof. Im badiſchen Landtage verlangte Pfarrer
Zittel die völlige Religionsfreiheit und Rechtsgleichheit für alle chriſtlichen
Sekten. Ein echter Sohn des badiſchen Pfarrhauſes, vielſeitig gebildet,
mild, fromm, ganz von Hebel’s menſchenfreundlicher Weisheit erfüllt, hätte
Zittel gern auch für die Juden alle bürgerlichen Rechte gefordert und ſtand
davon nur ab, weil er den tiefen Abſcheu ſeiner Bauern gegen die Güter-
ſchlächter und Roßtäuſcher kannte. Aber ſelbſt mit ſeinem beſchränkten An-
trage vermochte er noch nicht durchzudringen, da die Ultramontanen im
Oberlande Lärm ſchlugen und die Regierung bedenklich wurde.


*) Jordan’s Bericht, 3. Nov. 1845.
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[348/0362] V. 4. Die Parteiung in der Kirche. Flügel verlangte ſogar ſchon, in Folge einer Petition Robert Blum’s, Verminderung des Heeres und Vereidigung der Truppen auf die Ver- faſſung. Für diesmal ward ſie noch geſchlagen; der Hof fühlte jedoch, wie die Zuverſicht der Gegner unaufhaltſam anwuchs, und ließ den Nach- barhöfen ausſprechen, nur feſte Eintracht aller Kronen könne noch retten. Darauf verſprach ihm Metternich die moraliſche Unterſtützung Oeſterreichs; der preußiſche Geſandte aber, der alte Jordan, der doch ſonſt den Herr- gott gern einen guten Mann ſein ließ, ſagte ſorgenvoll: „Ich fürchte, es dürfte die Zeit kommen, wo das appui moral nicht mehr ausreichen wird.“ *) In der That hatte Robert Blum ſeit jenen ſtürmiſchen Auguſttagen eine gefährliche Macht erlangt. Es erfüllte ſich, was der Oeſterreicher Hübner damals vorausſagte: Blum hält die Ordnung aufrecht, und „dieſen Dienſt wird er ſich theuer bezahlen laſſen“. Die Regierung konnte ihm nichts anhaben, ſie war dem klugen Demagogen ſogar Dank ſchuldig. Das Volk betete ihn an, bei keinem Zweckeſſen, keiner politiſchen Verſamm- lung durfte er fehlen; ſeine Freunde ſchürten überall die Mißſtimmung, und es war weſentlich ſein Werk, daß beim Ausbruch der Revolution Sachſen neben Baden als das radicalſte aller deutſchen Länder erſchien. Seltſamerweiſe — ſo wenig kannten die Miniſter ihr eignes Land — fand Blum in den kleinen Induſtrieſtädten mehr Anhänger als in Leipzig ſelbſt. Zwar umgab ihn auch hier eine ſtarke Partei, die er durch die Schillerfeſte und ſeinen neugegründeten Redeübungsverein ſtets in Athem hielt; der Kern der reichen, gebildeten Bürgerſchaft aber gehörte dem ge- mäßigten Liberalismus an, und als die Tage der Prüfung kamen, da hielt ſich keine Stadt des Landes ſo ruhig, ſo geſetzlich, wie dies von der Re- gierung ſo ſchnöde behandelte Leipzig. Alſo blieb die deutſchkatholiſche Bewegung für das religiöſe Leben gänzlich unfruchtbar und bewirkte nur, daß die römiſche Kirche unangreif- barer denn je erſchien. In den Landtagen wurde natürlich um die Dul- dung der neuen Sekte lebhaft geſtritten; je liberaler eine Regierung war, um ſo freundlicher kam ſie den Anhängern Ronge’s entgegen, ſo vornehm- lich der Braunſchweiger Hof. Im badiſchen Landtage verlangte Pfarrer Zittel die völlige Religionsfreiheit und Rechtsgleichheit für alle chriſtlichen Sekten. Ein echter Sohn des badiſchen Pfarrhauſes, vielſeitig gebildet, mild, fromm, ganz von Hebel’s menſchenfreundlicher Weisheit erfüllt, hätte Zittel gern auch für die Juden alle bürgerlichen Rechte gefordert und ſtand davon nur ab, weil er den tiefen Abſcheu ſeiner Bauern gegen die Güter- ſchlächter und Roßtäuſcher kannte. Aber ſelbſt mit ſeinem beſchränkten An- trage vermochte er noch nicht durchzudringen, da die Ultramontanen im Oberlande Lärm ſchlugen und die Regierung bedenklich wurde. *) Jordan’s Bericht, 3. Nov. 1845.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/362>, abgerufen am 21.11.2024.