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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Evangelische Conferenz in Berlin.
Rochow mit einem eigenhändigen Briefe eine Denkschrift, welche der preu-
ßischen Regierung vorschlug, ein neues Corpus Evangelicorum am Bundes-
tage zu bilden: die evangelischen Höfe sollten sich vereinbaren über eine
gemeinsame Kirchenpolitik, insbesondere über die Abwehr römischer Ueber-
griffe. In solcher Gestalt schien der württembergische Antrag unan-
nehmbar. Das Corpus Evangelicorum hatte den Protestanten einst als
Schutzwehr gegen die katholische Mehrheit der alten Reichstage gedient;
jetzt da nur noch sechs der regierenden Fürsten katholisch waren, drohte
ein solcher Bund im Bunde nur Unfrieden zu erregen; und wie konnten
die evangelischen Höfe unbedingt für einander einstehen, da ihre Kirchen-
politik sich doch auf so verschiedenen Bahnen bewegte? Daher gab der
König durch das Auswärtige Amt eine vorsichtig ablehnende Antwort; zu
Verhandlungen über das evangelische Kirchenwesen erklärte er sich jedoch
bereit.*) So leicht ließ sich der besorgte Schwabenkönig nicht abweisen.
Er war über die Umtriebe der Ultramontanen gut unterrichtet; er wußte,
daß die Getreuen der Münchener Congregation überall in der Welt, selbst
in Irland geschäftig arbeiteten; er mußte erleben, daß eine Verfügung
seines eigenen Consistoriums, welche die evangelischen Geistlichen zur kirch-
lichen Treue aber auch zur Sanftmuth gegen die Andersgläubigen er-
mahnte, von den bairischen clericalen Blättern höhnisch angegriffen wurde.
Solchen Feinden gegenüber hielt er für nöthig, daß die evangelischen Kronen
am Bundestage gemeinsam die bedrängte Lage der Protestanten in Oester-
reich und Baiern, die bedrohlichen Anmaßungen der römischen Kirche zur
Sprache brächten. In Berlin aber suchte man Alles zu vermeiden was den
Vatican reizen konnte; einen Antrag beim Bunde wollte König Friedrich
Wilhelm höchstens als "ultima ratio" zulassen.**) Also nochmals abge-
wiesen ermäßigte der König von Württemberg seine Wünsche und verlangte
nur noch, auf den Rath seines Oberhofpredigers Grüneisen, daß Preußen
die evangelischen Regierungen zu Berathungen über die Kirchenverfassung
einladen sollte. Diese Idee der "inneren Unirung" der deutschen Landes-
kirchen hatte Eichhorn schon im Anfang der langwierigen Verhandlungen
ausgesprochen; jetzt wurde sie von Ullmann auch vor der Lesewelt ver-
treten in dem Büchlein "für die Zukunft der evangelischen Kirche Deutsch-
lands", das der König von Preußen mit großer Befriedigung las.***)

So ward denn das alte, niemals ganz verschwundene Idealbild der deut-
schen evangelischen Nationalkirche wieder lebendig, leider in Tagen die
es unmöglich ausgestalten konnten. Auf Preußens Einladung versam-
melten sich nunmehr, um Neujahr 1846 die Abgesandten der sämmtlichen
protestantischen Regierungen Deutschlands zu einer freien "Evangelischen

*) Berichte an den König, von Bülow, von Thile, 27. Mai 1843.
**) Rochow's Berichte, Stuttgart, 14. Juni, 17. Nov. 1844.
***) König Friedrich Wilhelm an Thile, 20. Febr., 11. Nov. 1845. Vergl. den treff-
lichen Aufsatz von O. Mejer über Minister Eichhorn (Biographisches. S. 319 ff.).

Evangeliſche Conferenz in Berlin.
Rochow mit einem eigenhändigen Briefe eine Denkſchrift, welche der preu-
ßiſchen Regierung vorſchlug, ein neues Corpus Evangelicorum am Bundes-
tage zu bilden: die evangeliſchen Höfe ſollten ſich vereinbaren über eine
gemeinſame Kirchenpolitik, insbeſondere über die Abwehr römiſcher Ueber-
griffe. In ſolcher Geſtalt ſchien der württembergiſche Antrag unan-
nehmbar. Das Corpus Evangelicorum hatte den Proteſtanten einſt als
Schutzwehr gegen die katholiſche Mehrheit der alten Reichstage gedient;
jetzt da nur noch ſechs der regierenden Fürſten katholiſch waren, drohte
ein ſolcher Bund im Bunde nur Unfrieden zu erregen; und wie konnten
die evangeliſchen Höfe unbedingt für einander einſtehen, da ihre Kirchen-
politik ſich doch auf ſo verſchiedenen Bahnen bewegte? Daher gab der
König durch das Auswärtige Amt eine vorſichtig ablehnende Antwort; zu
Verhandlungen über das evangeliſche Kirchenweſen erklärte er ſich jedoch
bereit.*) So leicht ließ ſich der beſorgte Schwabenkönig nicht abweiſen.
Er war über die Umtriebe der Ultramontanen gut unterrichtet; er wußte,
daß die Getreuen der Münchener Congregation überall in der Welt, ſelbſt
in Irland geſchäftig arbeiteten; er mußte erleben, daß eine Verfügung
ſeines eigenen Conſiſtoriums, welche die evangeliſchen Geiſtlichen zur kirch-
lichen Treue aber auch zur Sanftmuth gegen die Andersgläubigen er-
mahnte, von den bairiſchen clericalen Blättern höhniſch angegriffen wurde.
Solchen Feinden gegenüber hielt er für nöthig, daß die evangeliſchen Kronen
am Bundestage gemeinſam die bedrängte Lage der Proteſtanten in Oeſter-
reich und Baiern, die bedrohlichen Anmaßungen der römiſchen Kirche zur
Sprache brächten. In Berlin aber ſuchte man Alles zu vermeiden was den
Vatican reizen konnte; einen Antrag beim Bunde wollte König Friedrich
Wilhelm höchſtens als „ultima ratio“ zulaſſen.**) Alſo nochmals abge-
wieſen ermäßigte der König von Württemberg ſeine Wünſche und verlangte
nur noch, auf den Rath ſeines Oberhofpredigers Grüneiſen, daß Preußen
die evangeliſchen Regierungen zu Berathungen über die Kirchenverfaſſung
einladen ſollte. Dieſe Idee der „inneren Unirung“ der deutſchen Landes-
kirchen hatte Eichhorn ſchon im Anfang der langwierigen Verhandlungen
ausgeſprochen; jetzt wurde ſie von Ullmann auch vor der Leſewelt ver-
treten in dem Büchlein „für die Zukunft der evangeliſchen Kirche Deutſch-
lands“, das der König von Preußen mit großer Befriedigung las.***)

So ward denn das alte, niemals ganz verſchwundene Idealbild der deut-
ſchen evangeliſchen Nationalkirche wieder lebendig, leider in Tagen die
es unmöglich ausgeſtalten konnten. Auf Preußens Einladung verſam-
melten ſich nunmehr, um Neujahr 1846 die Abgeſandten der ſämmtlichen
proteſtantiſchen Regierungen Deutſchlands zu einer freien „Evangeliſchen

*) Berichte an den König, von Bülow, von Thile, 27. Mai 1843.
**) Rochow’s Berichte, Stuttgart, 14. Juni, 17. Nov. 1844.
***) König Friedrich Wilhelm an Thile, 20. Febr., 11. Nov. 1845. Vergl. den treff-
lichen Aufſatz von O. Mejer über Miniſter Eichhorn (Biographiſches. S. 319 ff.).
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[363/0377] Evangeliſche Conferenz in Berlin. Rochow mit einem eigenhändigen Briefe eine Denkſchrift, welche der preu- ßiſchen Regierung vorſchlug, ein neues Corpus Evangelicorum am Bundes- tage zu bilden: die evangeliſchen Höfe ſollten ſich vereinbaren über eine gemeinſame Kirchenpolitik, insbeſondere über die Abwehr römiſcher Ueber- griffe. In ſolcher Geſtalt ſchien der württembergiſche Antrag unan- nehmbar. Das Corpus Evangelicorum hatte den Proteſtanten einſt als Schutzwehr gegen die katholiſche Mehrheit der alten Reichstage gedient; jetzt da nur noch ſechs der regierenden Fürſten katholiſch waren, drohte ein ſolcher Bund im Bunde nur Unfrieden zu erregen; und wie konnten die evangeliſchen Höfe unbedingt für einander einſtehen, da ihre Kirchen- politik ſich doch auf ſo verſchiedenen Bahnen bewegte? Daher gab der König durch das Auswärtige Amt eine vorſichtig ablehnende Antwort; zu Verhandlungen über das evangeliſche Kirchenweſen erklärte er ſich jedoch bereit. *) So leicht ließ ſich der beſorgte Schwabenkönig nicht abweiſen. Er war über die Umtriebe der Ultramontanen gut unterrichtet; er wußte, daß die Getreuen der Münchener Congregation überall in der Welt, ſelbſt in Irland geſchäftig arbeiteten; er mußte erleben, daß eine Verfügung ſeines eigenen Conſiſtoriums, welche die evangeliſchen Geiſtlichen zur kirch- lichen Treue aber auch zur Sanftmuth gegen die Andersgläubigen er- mahnte, von den bairiſchen clericalen Blättern höhniſch angegriffen wurde. Solchen Feinden gegenüber hielt er für nöthig, daß die evangeliſchen Kronen am Bundestage gemeinſam die bedrängte Lage der Proteſtanten in Oeſter- reich und Baiern, die bedrohlichen Anmaßungen der römiſchen Kirche zur Sprache brächten. In Berlin aber ſuchte man Alles zu vermeiden was den Vatican reizen konnte; einen Antrag beim Bunde wollte König Friedrich Wilhelm höchſtens als „ultima ratio“ zulaſſen. **) Alſo nochmals abge- wieſen ermäßigte der König von Württemberg ſeine Wünſche und verlangte nur noch, auf den Rath ſeines Oberhofpredigers Grüneiſen, daß Preußen die evangeliſchen Regierungen zu Berathungen über die Kirchenverfaſſung einladen ſollte. Dieſe Idee der „inneren Unirung“ der deutſchen Landes- kirchen hatte Eichhorn ſchon im Anfang der langwierigen Verhandlungen ausgeſprochen; jetzt wurde ſie von Ullmann auch vor der Leſewelt ver- treten in dem Büchlein „für die Zukunft der evangeliſchen Kirche Deutſch- lands“, das der König von Preußen mit großer Befriedigung las. ***) So ward denn das alte, niemals ganz verſchwundene Idealbild der deut- ſchen evangeliſchen Nationalkirche wieder lebendig, leider in Tagen die es unmöglich ausgeſtalten konnten. Auf Preußens Einladung verſam- melten ſich nunmehr, um Neujahr 1846 die Abgeſandten der ſämmtlichen proteſtantiſchen Regierungen Deutſchlands zu einer freien „Evangeliſchen *) Berichte an den König, von Bülow, von Thile, 27. Mai 1843. **) Rochow’s Berichte, Stuttgart, 14. Juni, 17. Nov. 1844. ***) König Friedrich Wilhelm an Thile, 20. Febr., 11. Nov. 1845. Vergl. den treff- lichen Aufſatz von O. Mejer über Miniſter Eichhorn (Biographiſches. S. 319 ff.).

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/377>, abgerufen am 21.11.2024.