Conferenz" in Berlin. Durch persönliche Würde, tiefen Glaubensernst und umfassende juristische Sachkenntniß erlangte Bethmann-Hollweg bald die Stellung des Führers unter den Tagenden. Gleichwohl ließ sich an einen augenblicklichen Erfolg gar nicht denken, da die kirchlichen Zustände der einzelnen Lande sich durch eine wirrenreiche Geschichte so grundver- schieden gestaltet hatten und auch der particularistische Eigensinn kräftig heraustrat. Die bischöflichen "Kirchen" Friedrich Wilhelm's mit ihren Presbytern und Diakonen fanden in der Versammlung gar keinen An- klang, während er wiederum den von Württemberg vorgelegten Verfassungs- entwurf nicht billigen mochte.*) Nach sechs Wochen endeten die Be- rathungen ohne ein bestimmtes Ergebniß. Ganz ohne Folgen blieb der verfrühte Versuch doch nicht. Aus dieser Versammlung gingen die Eisenacher Conferenzen hervor, die sich in späteren Jahren regelmäßig unter Bethmann-Hollweg's Leitung vereinigten und zur Klärung des wieder- erstarkten kirchlichen Lebens manches beitrugen.
Nach solchem Mißerfolge schien es um so rathsamer, zunächst die Verfassung der preußischen Landeskirche unter Dach zu bringen. Auf Pfingsten 1846 berief der König die erste evangelische Generalsynode. Sie bestand aus 37 Geistlichen und 38 Laien -- aus den General- superintendenten, aus Vertretern der theologischen und juristischen Facul- täten und einigen durch die Kirchenbehörden der Provinzen vorgeschlagenen Mitgliedern geistlichen und weltlichen Standes; sie erschien mithin als eine Notabelnversammlung, welche zwar nicht den Willen der Kirche förmlich aussprechen konnte, aber durch Ansehen, Einsicht, Erfahrung wohl be- fähigt war, die künftige Kirchenverfassung vorzubereiten. Mehr verlangte Friedrich Wilhelm auch nicht; er ließ noch keinen Verfassungsplan aus- arbeiten, sondern erwartete zunächst nur, daß die Berufenen "sich aus- sprächen". Aber wie gehässig wurden seine edlen Absichten wieder miß- deutet. Das Bürgerthum der großen Städte des Ostens war durch den lichtfreundlichen Adressensturm stark erregt; um Ronge zu ehren hatten die Berliner sogar Volksversammlungen unter den Zelten abzuhalten gewagt. Nach all dem wirren freigeisterischen Gerede dieser Jahre hatte man für die kirchlichen Pläne des Monarchen nur noch Hohn und freche Witze. Als die Erzbilder der Rossebändiger auf der neuen Schloßterrasse aufgestellt wurden, da hieß es überall, der König könne seinen Hengsten- berg gar nicht nahe genug bei sich haben; Varnhagen aber und sein Kreis verurtheilten die Generalsynode schon im Voraus als eine geistliche Spie- lerei der Weltlichen. Zehn Städte sendeten ihren zur Generalsynode ein- berufenen Mitbürgern Weisungen im Sinne der modischen Aufklärung; die Magdeburger erklärten ihrem Stadtrath Grubitz, sie könnten diese Ver- sammlung nicht als eine Vertretung der Landeskirche anerkennen, und
*) Snethlage an Thile, 5. Febr. Thile's Bericht an den König, 5. Febr. 1846.
V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
Conferenz“ in Berlin. Durch perſönliche Würde, tiefen Glaubensernſt und umfaſſende juriſtiſche Sachkenntniß erlangte Bethmann-Hollweg bald die Stellung des Führers unter den Tagenden. Gleichwohl ließ ſich an einen augenblicklichen Erfolg gar nicht denken, da die kirchlichen Zuſtände der einzelnen Lande ſich durch eine wirrenreiche Geſchichte ſo grundver- ſchieden geſtaltet hatten und auch der particulariſtiſche Eigenſinn kräftig heraustrat. Die biſchöflichen „Kirchen“ Friedrich Wilhelm’s mit ihren Presbytern und Diakonen fanden in der Verſammlung gar keinen An- klang, während er wiederum den von Württemberg vorgelegten Verfaſſungs- entwurf nicht billigen mochte.*) Nach ſechs Wochen endeten die Be- rathungen ohne ein beſtimmtes Ergebniß. Ganz ohne Folgen blieb der verfrühte Verſuch doch nicht. Aus dieſer Verſammlung gingen die Eiſenacher Conferenzen hervor, die ſich in ſpäteren Jahren regelmäßig unter Bethmann-Hollweg’s Leitung vereinigten und zur Klärung des wieder- erſtarkten kirchlichen Lebens manches beitrugen.
Nach ſolchem Mißerfolge ſchien es um ſo rathſamer, zunächſt die Verfaſſung der preußiſchen Landeskirche unter Dach zu bringen. Auf Pfingſten 1846 berief der König die erſte evangeliſche Generalſynode. Sie beſtand aus 37 Geiſtlichen und 38 Laien — aus den General- ſuperintendenten, aus Vertretern der theologiſchen und juriſtiſchen Facul- täten und einigen durch die Kirchenbehörden der Provinzen vorgeſchlagenen Mitgliedern geiſtlichen und weltlichen Standes; ſie erſchien mithin als eine Notabelnverſammlung, welche zwar nicht den Willen der Kirche förmlich ausſprechen konnte, aber durch Anſehen, Einſicht, Erfahrung wohl be- fähigt war, die künftige Kirchenverfaſſung vorzubereiten. Mehr verlangte Friedrich Wilhelm auch nicht; er ließ noch keinen Verfaſſungsplan aus- arbeiten, ſondern erwartete zunächſt nur, daß die Berufenen „ſich aus- ſprächen“. Aber wie gehäſſig wurden ſeine edlen Abſichten wieder miß- deutet. Das Bürgerthum der großen Städte des Oſtens war durch den lichtfreundlichen Adreſſenſturm ſtark erregt; um Ronge zu ehren hatten die Berliner ſogar Volksverſammlungen unter den Zelten abzuhalten gewagt. Nach all dem wirren freigeiſteriſchen Gerede dieſer Jahre hatte man für die kirchlichen Pläne des Monarchen nur noch Hohn und freche Witze. Als die Erzbilder der Roſſebändiger auf der neuen Schloßterraſſe aufgeſtellt wurden, da hieß es überall, der König könne ſeinen Hengſten- berg gar nicht nahe genug bei ſich haben; Varnhagen aber und ſein Kreis verurtheilten die Generalſynode ſchon im Voraus als eine geiſtliche Spie- lerei der Weltlichen. Zehn Städte ſendeten ihren zur Generalſynode ein- berufenen Mitbürgern Weiſungen im Sinne der modiſchen Aufklärung; die Magdeburger erklärten ihrem Stadtrath Grubitz, ſie könnten dieſe Ver- ſammlung nicht als eine Vertretung der Landeskirche anerkennen, und
*) Snethlage an Thile, 5. Febr. Thile’s Bericht an den König, 5. Febr. 1846.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0378"n="364"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">V.</hi> 4. Die Parteiung in der Kirche.</fw><lb/>
Conferenz“ in Berlin. Durch perſönliche Würde, tiefen Glaubensernſt<lb/>
und umfaſſende juriſtiſche Sachkenntniß erlangte Bethmann-Hollweg bald<lb/>
die Stellung des Führers unter den Tagenden. Gleichwohl ließ ſich an<lb/>
einen augenblicklichen Erfolg gar nicht denken, da die kirchlichen Zuſtände<lb/>
der einzelnen Lande ſich durch eine wirrenreiche Geſchichte ſo grundver-<lb/>ſchieden geſtaltet hatten und auch der particulariſtiſche Eigenſinn kräftig<lb/>
heraustrat. Die biſchöflichen „Kirchen“ Friedrich Wilhelm’s mit ihren<lb/>
Presbytern und Diakonen fanden in der Verſammlung gar keinen An-<lb/>
klang, während er wiederum den von Württemberg vorgelegten Verfaſſungs-<lb/>
entwurf nicht billigen mochte.<noteplace="foot"n="*)">Snethlage an Thile, 5. Febr. Thile’s Bericht an den König, 5. Febr. 1846.</note> Nach ſechs Wochen endeten die Be-<lb/>
rathungen ohne ein beſtimmtes Ergebniß. Ganz ohne Folgen blieb der<lb/>
verfrühte Verſuch doch nicht. Aus dieſer Verſammlung gingen die<lb/>
Eiſenacher Conferenzen hervor, die ſich in ſpäteren Jahren regelmäßig<lb/>
unter Bethmann-Hollweg’s Leitung vereinigten und zur Klärung des wieder-<lb/>
erſtarkten kirchlichen Lebens manches beitrugen.</p><lb/><p>Nach ſolchem Mißerfolge ſchien es um ſo rathſamer, zunächſt die<lb/>
Verfaſſung der preußiſchen Landeskirche unter Dach zu bringen. Auf<lb/>
Pfingſten 1846 berief der König die erſte evangeliſche Generalſynode.<lb/>
Sie beſtand aus 37 Geiſtlichen und 38 Laien — aus den General-<lb/>ſuperintendenten, aus Vertretern der theologiſchen und juriſtiſchen Facul-<lb/>
täten und einigen durch die Kirchenbehörden der Provinzen vorgeſchlagenen<lb/>
Mitgliedern geiſtlichen und weltlichen Standes; ſie erſchien mithin als eine<lb/>
Notabelnverſammlung, welche zwar nicht den Willen der Kirche förmlich<lb/>
ausſprechen konnte, aber durch Anſehen, Einſicht, Erfahrung wohl be-<lb/>
fähigt war, die künftige Kirchenverfaſſung vorzubereiten. Mehr verlangte<lb/>
Friedrich Wilhelm auch nicht; er ließ noch keinen Verfaſſungsplan aus-<lb/>
arbeiten, ſondern erwartete zunächſt nur, daß die Berufenen „ſich aus-<lb/>ſprächen“. Aber wie gehäſſig wurden ſeine edlen Abſichten wieder miß-<lb/>
deutet. Das Bürgerthum der großen Städte des Oſtens war durch den<lb/>
lichtfreundlichen Adreſſenſturm ſtark erregt; um Ronge zu ehren hatten<lb/>
die Berliner ſogar Volksverſammlungen unter den Zelten abzuhalten<lb/>
gewagt. Nach all dem wirren freigeiſteriſchen Gerede dieſer Jahre hatte<lb/>
man für die kirchlichen Pläne des Monarchen nur noch Hohn und freche<lb/>
Witze. Als die Erzbilder der Roſſebändiger auf der neuen Schloßterraſſe<lb/>
aufgeſtellt wurden, da hieß es überall, der König könne ſeinen Hengſten-<lb/>
berg gar nicht nahe genug bei ſich haben; Varnhagen aber und ſein Kreis<lb/>
verurtheilten die Generalſynode ſchon im Voraus als eine geiſtliche Spie-<lb/>
lerei der Weltlichen. Zehn Städte ſendeten ihren zur Generalſynode ein-<lb/>
berufenen Mitbürgern Weiſungen im Sinne der modiſchen Aufklärung;<lb/>
die Magdeburger erklärten ihrem Stadtrath Grubitz, ſie könnten dieſe Ver-<lb/>ſammlung nicht als eine Vertretung der Landeskirche anerkennen, und<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[364/0378]
V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
Conferenz“ in Berlin. Durch perſönliche Würde, tiefen Glaubensernſt
und umfaſſende juriſtiſche Sachkenntniß erlangte Bethmann-Hollweg bald
die Stellung des Führers unter den Tagenden. Gleichwohl ließ ſich an
einen augenblicklichen Erfolg gar nicht denken, da die kirchlichen Zuſtände
der einzelnen Lande ſich durch eine wirrenreiche Geſchichte ſo grundver-
ſchieden geſtaltet hatten und auch der particulariſtiſche Eigenſinn kräftig
heraustrat. Die biſchöflichen „Kirchen“ Friedrich Wilhelm’s mit ihren
Presbytern und Diakonen fanden in der Verſammlung gar keinen An-
klang, während er wiederum den von Württemberg vorgelegten Verfaſſungs-
entwurf nicht billigen mochte. *) Nach ſechs Wochen endeten die Be-
rathungen ohne ein beſtimmtes Ergebniß. Ganz ohne Folgen blieb der
verfrühte Verſuch doch nicht. Aus dieſer Verſammlung gingen die
Eiſenacher Conferenzen hervor, die ſich in ſpäteren Jahren regelmäßig
unter Bethmann-Hollweg’s Leitung vereinigten und zur Klärung des wieder-
erſtarkten kirchlichen Lebens manches beitrugen.
Nach ſolchem Mißerfolge ſchien es um ſo rathſamer, zunächſt die
Verfaſſung der preußiſchen Landeskirche unter Dach zu bringen. Auf
Pfingſten 1846 berief der König die erſte evangeliſche Generalſynode.
Sie beſtand aus 37 Geiſtlichen und 38 Laien — aus den General-
ſuperintendenten, aus Vertretern der theologiſchen und juriſtiſchen Facul-
täten und einigen durch die Kirchenbehörden der Provinzen vorgeſchlagenen
Mitgliedern geiſtlichen und weltlichen Standes; ſie erſchien mithin als eine
Notabelnverſammlung, welche zwar nicht den Willen der Kirche förmlich
ausſprechen konnte, aber durch Anſehen, Einſicht, Erfahrung wohl be-
fähigt war, die künftige Kirchenverfaſſung vorzubereiten. Mehr verlangte
Friedrich Wilhelm auch nicht; er ließ noch keinen Verfaſſungsplan aus-
arbeiten, ſondern erwartete zunächſt nur, daß die Berufenen „ſich aus-
ſprächen“. Aber wie gehäſſig wurden ſeine edlen Abſichten wieder miß-
deutet. Das Bürgerthum der großen Städte des Oſtens war durch den
lichtfreundlichen Adreſſenſturm ſtark erregt; um Ronge zu ehren hatten
die Berliner ſogar Volksverſammlungen unter den Zelten abzuhalten
gewagt. Nach all dem wirren freigeiſteriſchen Gerede dieſer Jahre hatte
man für die kirchlichen Pläne des Monarchen nur noch Hohn und freche
Witze. Als die Erzbilder der Roſſebändiger auf der neuen Schloßterraſſe
aufgeſtellt wurden, da hieß es überall, der König könne ſeinen Hengſten-
berg gar nicht nahe genug bei ſich haben; Varnhagen aber und ſein Kreis
verurtheilten die Generalſynode ſchon im Voraus als eine geiſtliche Spie-
lerei der Weltlichen. Zehn Städte ſendeten ihren zur Generalſynode ein-
berufenen Mitbürgern Weiſungen im Sinne der modiſchen Aufklärung;
die Magdeburger erklärten ihrem Stadtrath Grubitz, ſie könnten dieſe Ver-
ſammlung nicht als eine Vertretung der Landeskirche anerkennen, und
*) Snethlage an Thile, 5. Febr. Thile’s Bericht an den König, 5. Febr. 1846.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/378>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.