Fleiße sauber ausgemalt, gewissenhaft der Natur nachgebildet, frisch und kräftig, frei von gefühlsseliger Schönfärberei, so realistisch gehalten, daß selbst die Sprache beständig wechselte: der schwäbische Dialekt der Bauern- gespräche und sogar der Bauernbriefe hob sich grell, oft häßlich ab von dem Hochdeutsch der Erzählung und der allzu reichlich eingestreuten Re- flexionen. Auerbach hatte sein Manuscript der liberalen Bassermann- schen Buchhandlung in Mannheim, der jetzt auch Karl Mathy angehörte, zugesendet, und Mathy's treffliche Hausfrau fühlte sich glückselig, da sie die Blätter zuerst durchmusterte und dies neue Kleinod deutscher Dichtung gleichsam entdeckte. Auch Freiligrath, der allezeit neidlos empfängliche, rief begeistert: "das ist ein Buch! ich kann es Dir nicht sagen wie mich's gepackt hat recht in tiefster Seele;" und den Brüdern Grimm diente diese Fülle oberländischer, dem Volksmunde sorgsam abgelauschter Wörter und Redewendungen als eine willkommene Fundgrube sprachlicher Forschung.
Der erste Erfolg der Dorfgeschichten war groß und wohlverdient. Uebersättigt von den süßen Salonnovellen der Taschenbücher stürzten sich die Leser mit Behagen auf diese derbe Hausmannskost, und selbst die blasirte vornehme Welt fand eine Zeitlang den Tolpatsch originell, den Ivo pi- kant, das Vefele allerliebst. In der Gesellschaft wurde der junge Dichter wie ein fröhlicher Salon-Tyroler betrachtet; er erzählte auch im Gespräche meisterhaft, redete mit erstaunlicher Offenherzigkeit über seine Entwürfe und nahm jeden Beifall begierig auf; ein guter treuer Kamerad, ein warm- herziger liberaler Patriot, erwarb er sich viele Freunde und selbst sein stark jüdisch gefärbter Spinozismus schien, nach der Meinung jener Tage, von der vorherrschenden christlichen Aufklärung nicht sehr weit ab- zuweichen. Zahlreiche Nachahmer, die sehr bald in Manier verfielen, be- mächtigten sich sogleich der neu entdeckten Dorfwelt; aus allen dunklen Winkeln deutscher Erde, aus Oberschlesien und aus dem Ries, stieg in den nächsten zehn Jahren ein Geschlecht von Tölpeln und Rüpeln empor, und je roher, je plumper diese Bauern es trieben, desto lauter wurden sie bewundert als aus dem Leben gegriffene Gestalten, desto lebhafter reizten sie das stoffliche, ethnographische Interesse der Lesewelt. Unleugbar lag eine erziehende Kraft in solchen einfachen Stoffen, die jeder Leser bis in's Einzelne nachprüfen konnte; wer sich daran wagte mußte der Natur treu bleiben. Seit die Dorfgeschichten aufkamen wurden auch die nach schöneren Kränzen strebenden Dichter gezwungen zu einer genauen, andächtigen Beob- achtung des wirklichen Lebens, welche der deutschen Poesie nur zu oft fehlte.
Als der Reiz der Neuheit verflog, da bemerkte man freilich, daß Auerbach selbst nicht gänzlich in und mit seinen Menschen lebte; eine so mächtige, so unvergeßliche Gestalt wie der Hofschulze im Münchhausen ge- lang ihm nie, obgleich er viel mehr berechnete Kunstmittel aufwendete als Immermann. Er spottete gern über die theoretisirenden Künstler, die das Ei hart sieden und hernach noch ausbrüten wollten. Im Grunde be-
V. 5. Realismus in Kunſt und Wiſſenſchaft.
Fleiße ſauber ausgemalt, gewiſſenhaft der Natur nachgebildet, friſch und kräftig, frei von gefühlsſeliger Schönfärberei, ſo realiſtiſch gehalten, daß ſelbſt die Sprache beſtändig wechſelte: der ſchwäbiſche Dialekt der Bauern- geſpräche und ſogar der Bauernbriefe hob ſich grell, oft häßlich ab von dem Hochdeutſch der Erzählung und der allzu reichlich eingeſtreuten Re- flexionen. Auerbach hatte ſein Manuſcript der liberalen Baſſermann- ſchen Buchhandlung in Mannheim, der jetzt auch Karl Mathy angehörte, zugeſendet, und Mathy’s treffliche Hausfrau fühlte ſich glückſelig, da ſie die Blätter zuerſt durchmuſterte und dies neue Kleinod deutſcher Dichtung gleichſam entdeckte. Auch Freiligrath, der allezeit neidlos empfängliche, rief begeiſtert: „das iſt ein Buch! ich kann es Dir nicht ſagen wie mich’s gepackt hat recht in tiefſter Seele;“ und den Brüdern Grimm diente dieſe Fülle oberländiſcher, dem Volksmunde ſorgſam abgelauſchter Wörter und Redewendungen als eine willkommene Fundgrube ſprachlicher Forſchung.
Der erſte Erfolg der Dorfgeſchichten war groß und wohlverdient. Ueberſättigt von den ſüßen Salonnovellen der Taſchenbücher ſtürzten ſich die Leſer mit Behagen auf dieſe derbe Hausmannskoſt, und ſelbſt die blaſirte vornehme Welt fand eine Zeitlang den Tolpatſch originell, den Ivo pi- kant, das Vefele allerliebſt. In der Geſellſchaft wurde der junge Dichter wie ein fröhlicher Salon-Tyroler betrachtet; er erzählte auch im Geſpräche meiſterhaft, redete mit erſtaunlicher Offenherzigkeit über ſeine Entwürfe und nahm jeden Beifall begierig auf; ein guter treuer Kamerad, ein warm- herziger liberaler Patriot, erwarb er ſich viele Freunde und ſelbſt ſein ſtark jüdiſch gefärbter Spinozismus ſchien, nach der Meinung jener Tage, von der vorherrſchenden chriſtlichen Aufklärung nicht ſehr weit ab- zuweichen. Zahlreiche Nachahmer, die ſehr bald in Manier verfielen, be- mächtigten ſich ſogleich der neu entdeckten Dorfwelt; aus allen dunklen Winkeln deutſcher Erde, aus Oberſchleſien und aus dem Ries, ſtieg in den nächſten zehn Jahren ein Geſchlecht von Tölpeln und Rüpeln empor, und je roher, je plumper dieſe Bauern es trieben, deſto lauter wurden ſie bewundert als aus dem Leben gegriffene Geſtalten, deſto lebhafter reizten ſie das ſtoffliche, ethnographiſche Intereſſe der Leſewelt. Unleugbar lag eine erziehende Kraft in ſolchen einfachen Stoffen, die jeder Leſer bis in’s Einzelne nachprüfen konnte; wer ſich daran wagte mußte der Natur treu bleiben. Seit die Dorfgeſchichten aufkamen wurden auch die nach ſchöneren Kränzen ſtrebenden Dichter gezwungen zu einer genauen, andächtigen Beob- achtung des wirklichen Lebens, welche der deutſchen Poeſie nur zu oft fehlte.
Als der Reiz der Neuheit verflog, da bemerkte man freilich, daß Auerbach ſelbſt nicht gänzlich in und mit ſeinen Menſchen lebte; eine ſo mächtige, ſo unvergeßliche Geſtalt wie der Hofſchulze im Münchhauſen ge- lang ihm nie, obgleich er viel mehr berechnete Kunſtmittel aufwendete als Immermann. Er ſpottete gern über die theoretiſirenden Künſtler, die das Ei hart ſieden und hernach noch ausbrüten wollten. Im Grunde be-
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Fleiße ſauber ausgemalt, gewiſſenhaft der Natur nachgebildet, friſch und
kräftig, frei von gefühlsſeliger Schönfärberei, ſo realiſtiſch gehalten, daß
ſelbſt die Sprache beſtändig wechſelte: der ſchwäbiſche Dialekt der Bauern-
geſpräche und ſogar der Bauernbriefe hob ſich grell, oft häßlich ab von
dem Hochdeutſch der Erzählung und der allzu reichlich eingeſtreuten Re-
flexionen. Auerbach hatte ſein Manuſcript der liberalen Baſſermann-
ſchen Buchhandlung in Mannheim, der jetzt auch Karl Mathy angehörte,
zugeſendet, und Mathy’s treffliche Hausfrau fühlte ſich glückſelig, da ſie die
Blätter zuerſt durchmuſterte und dies neue Kleinod deutſcher Dichtung
gleichſam entdeckte. Auch Freiligrath, der allezeit neidlos empfängliche,
rief begeiſtert: „das iſt ein Buch! ich kann es Dir nicht ſagen wie mich’s
gepackt hat recht in tiefſter Seele;“ und den Brüdern Grimm diente
dieſe Fülle oberländiſcher, dem Volksmunde ſorgſam abgelauſchter Wörter
und Redewendungen als eine willkommene Fundgrube ſprachlicher Forſchung.
Der erſte Erfolg der Dorfgeſchichten war groß und wohlverdient.
Ueberſättigt von den ſüßen Salonnovellen der Taſchenbücher ſtürzten ſich
die Leſer mit Behagen auf dieſe derbe Hausmannskoſt, und ſelbſt die blaſirte
vornehme Welt fand eine Zeitlang den Tolpatſch originell, den Ivo pi-
kant, das Vefele allerliebſt. In der Geſellſchaft wurde der junge Dichter
wie ein fröhlicher Salon-Tyroler betrachtet; er erzählte auch im Geſpräche
meiſterhaft, redete mit erſtaunlicher Offenherzigkeit über ſeine Entwürfe und
nahm jeden Beifall begierig auf; ein guter treuer Kamerad, ein warm-
herziger liberaler Patriot, erwarb er ſich viele Freunde und ſelbſt ſein
ſtark jüdiſch gefärbter Spinozismus ſchien, nach der Meinung jener
Tage, von der vorherrſchenden chriſtlichen Aufklärung nicht ſehr weit ab-
zuweichen. Zahlreiche Nachahmer, die ſehr bald in Manier verfielen, be-
mächtigten ſich ſogleich der neu entdeckten Dorfwelt; aus allen dunklen
Winkeln deutſcher Erde, aus Oberſchleſien und aus dem Ries, ſtieg in
den nächſten zehn Jahren ein Geſchlecht von Tölpeln und Rüpeln empor,
und je roher, je plumper dieſe Bauern es trieben, deſto lauter wurden
ſie bewundert als aus dem Leben gegriffene Geſtalten, deſto lebhafter
reizten ſie das ſtoffliche, ethnographiſche Intereſſe der Leſewelt. Unleugbar
lag eine erziehende Kraft in ſolchen einfachen Stoffen, die jeder Leſer bis in’s
Einzelne nachprüfen konnte; wer ſich daran wagte mußte der Natur treu
bleiben. Seit die Dorfgeſchichten aufkamen wurden auch die nach ſchöneren
Kränzen ſtrebenden Dichter gezwungen zu einer genauen, andächtigen Beob-
achtung des wirklichen Lebens, welche der deutſchen Poeſie nur zu oft fehlte.
Als der Reiz der Neuheit verflog, da bemerkte man freilich, daß
Auerbach ſelbſt nicht gänzlich in und mit ſeinen Menſchen lebte; eine ſo
mächtige, ſo unvergeßliche Geſtalt wie der Hofſchulze im Münchhauſen ge-
lang ihm nie, obgleich er viel mehr berechnete Kunſtmittel aufwendete
als Immermann. Er ſpottete gern über die theoretiſirenden Künſtler, die
das Ei hart ſieden und hernach noch ausbrüten wollten. Im Grunde be-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/400>, abgerufen am 21.11.2024.
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