verschwand, zuletzt in eine erhabene Gedankenkunst, die, überreich an po- etischer Erfindung, doch nur ihm selber angehörte. Ganz aus seinem persön- lichen Gefühle heraus schuf er ein Epos mit eingeflochtenen Chorgesängen, das über die Grenzen aller überlieferten Kunstgattungen verwegen hinweg- schritt. Seine warmen Bewunderer Rauch und Rietschel verlangten beide, er sollte die schönen Gruppenbilder von den Seligsprechungen nicht in Far- ben ausführen lassen, sondern als Reliefs in weißem Marmor; und die beiden großen Bildhauer wußten doch genau, daß gerade das Relief der strengsten plastischen Formen bedarf und allen malerischen Reiz ver- schmähen muß. So stand Cornelius bald einsam in der verwandelten Welt; das Publicum "das mit gleichem Appetit Häcksel und Ananas frißt" hatte er von jeher verachtet und zu einem der neuen Coloristen sagte er kurzab: Sie haben vollkommen erreicht was ich mich mein Lebenlang sorgfältig zu vermeiden bemüht habe. Als der Freund zweier Könige war er durch das Leben geschritten, und unbefangen, wahrlich nicht um zu schmeicheln setzte er die Bildnisse der preußischen Königsfamilie in sein Gemälde von der Erwartung des jüngsten Gerichts; die Gesalbten des Herrn sollten das Leben der Menschheit leiten bis dereinst der letzte aller Könige seine Krone in die Hände des Gekreuzigten niederlegte. Er wollte es nicht anders wissen, und ganz unbegreiflich blieben ihm die Ideen der Volksherrschaft, die jetzt über die Welt hereinbrachen.
Wie viel leichter verstand Kaulbach sich in die neue Zeit zu finden, der Vielgewandte, der kurz vor der Revolution nach Berlin berufen wurde, um für das Treppenhaus des Neuen Museums Colossalbilder aus der Geschichte der Menschheit zu malen. Seiner virtuosen Gewandtheit ge- lang es, die schon erkaltende Theilnahme für das Colossale noch einmal zu beleben und ein volles Jahrzehnt hindurch blieb er, den Meister ganz verdunkelnd, der Lieblingskünstler der Berliner. Der unbefangene Tiefsinn der alten italienischen Historienmalerei, die den Geist der Ver- gangenheit einfach in den großen Thaten großer Menschen künstlerisch auszugestalten suchte, erschien dem vielbelesenen Monarchen zu schlicht. Nicht der Wille und die That, sondern die Idee war ihm der Inhalt des historischen Lebens; er erging sich gern in geschichtsphilosophischen Betrachtungen, die er ohne es selbst zu ahnen doch dem gescholtenen Hegel verdankte, und in diesem Sinne sollte auch Kaulbach den Ideenge- halt der Geschichte durch große symbolische Bilder darstellen. Die beiden ersten und schönsten dieser mächtigen Entwürfe, die Hunnenschlacht und die Zerstörung Babylons, zeigten noch die geschlossene Einheit einer dra- matischen Handlung, die späteren nur ein verwirrendes Durcheinander geistreicher Einfälle, bei denen sich der grübelnde Verstand allerhand denken mochte. Es war eine gelehrte Kunst, so alexandrinisch wie der unglück- selige Bau des Neuen Museums selber, ganz begreiflich nur mit Hilfe wissenschaftlicher Commentare, und doch dem Durchschnittsmenschen ver-
V. 5. Realismus in Kunſt und Wiſſenſchaft.
verſchwand, zuletzt in eine erhabene Gedankenkunſt, die, überreich an po- etiſcher Erfindung, doch nur ihm ſelber angehörte. Ganz aus ſeinem perſön- lichen Gefühle heraus ſchuf er ein Epos mit eingeflochtenen Chorgeſängen, das über die Grenzen aller überlieferten Kunſtgattungen verwegen hinweg- ſchritt. Seine warmen Bewunderer Rauch und Rietſchel verlangten beide, er ſollte die ſchönen Gruppenbilder von den Seligſprechungen nicht in Far- ben ausführen laſſen, ſondern als Reliefs in weißem Marmor; und die beiden großen Bildhauer wußten doch genau, daß gerade das Relief der ſtrengſten plaſtiſchen Formen bedarf und allen maleriſchen Reiz ver- ſchmähen muß. So ſtand Cornelius bald einſam in der verwandelten Welt; das Publicum „das mit gleichem Appetit Häckſel und Ananas frißt“ hatte er von jeher verachtet und zu einem der neuen Coloriſten ſagte er kurzab: Sie haben vollkommen erreicht was ich mich mein Lebenlang ſorgfältig zu vermeiden bemüht habe. Als der Freund zweier Könige war er durch das Leben geſchritten, und unbefangen, wahrlich nicht um zu ſchmeicheln ſetzte er die Bildniſſe der preußiſchen Königsfamilie in ſein Gemälde von der Erwartung des jüngſten Gerichts; die Geſalbten des Herrn ſollten das Leben der Menſchheit leiten bis dereinſt der letzte aller Könige ſeine Krone in die Hände des Gekreuzigten niederlegte. Er wollte es nicht anders wiſſen, und ganz unbegreiflich blieben ihm die Ideen der Volksherrſchaft, die jetzt über die Welt hereinbrachen.
Wie viel leichter verſtand Kaulbach ſich in die neue Zeit zu finden, der Vielgewandte, der kurz vor der Revolution nach Berlin berufen wurde, um für das Treppenhaus des Neuen Muſeums Coloſſalbilder aus der Geſchichte der Menſchheit zu malen. Seiner virtuoſen Gewandtheit ge- lang es, die ſchon erkaltende Theilnahme für das Coloſſale noch einmal zu beleben und ein volles Jahrzehnt hindurch blieb er, den Meiſter ganz verdunkelnd, der Lieblingskünſtler der Berliner. Der unbefangene Tiefſinn der alten italieniſchen Hiſtorienmalerei, die den Geiſt der Ver- gangenheit einfach in den großen Thaten großer Menſchen künſtleriſch auszugeſtalten ſuchte, erſchien dem vielbeleſenen Monarchen zu ſchlicht. Nicht der Wille und die That, ſondern die Idee war ihm der Inhalt des hiſtoriſchen Lebens; er erging ſich gern in geſchichtsphiloſophiſchen Betrachtungen, die er ohne es ſelbſt zu ahnen doch dem geſcholtenen Hegel verdankte, und in dieſem Sinne ſollte auch Kaulbach den Ideenge- halt der Geſchichte durch große ſymboliſche Bilder darſtellen. Die beiden erſten und ſchönſten dieſer mächtigen Entwürfe, die Hunnenſchlacht und die Zerſtörung Babylons, zeigten noch die geſchloſſene Einheit einer dra- matiſchen Handlung, die ſpäteren nur ein verwirrendes Durcheinander geiſtreicher Einfälle, bei denen ſich der grübelnde Verſtand allerhand denken mochte. Es war eine gelehrte Kunſt, ſo alexandriniſch wie der unglück- ſelige Bau des Neuen Muſeums ſelber, ganz begreiflich nur mit Hilfe wiſſenſchaftlicher Commentare, und doch dem Durchſchnittsmenſchen ver-
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V. 5. Realismus in Kunſt und Wiſſenſchaft.
verſchwand, zuletzt in eine erhabene Gedankenkunſt, die, überreich an po-
etiſcher Erfindung, doch nur ihm ſelber angehörte. Ganz aus ſeinem perſön-
lichen Gefühle heraus ſchuf er ein Epos mit eingeflochtenen Chorgeſängen,
das über die Grenzen aller überlieferten Kunſtgattungen verwegen hinweg-
ſchritt. Seine warmen Bewunderer Rauch und Rietſchel verlangten beide,
er ſollte die ſchönen Gruppenbilder von den Seligſprechungen nicht in Far-
ben ausführen laſſen, ſondern als Reliefs in weißem Marmor; und die
beiden großen Bildhauer wußten doch genau, daß gerade das Relief
der ſtrengſten plaſtiſchen Formen bedarf und allen maleriſchen Reiz ver-
ſchmähen muß. So ſtand Cornelius bald einſam in der verwandelten Welt;
das Publicum „das mit gleichem Appetit Häckſel und Ananas frißt“
hatte er von jeher verachtet und zu einem der neuen Coloriſten ſagte er
kurzab: Sie haben vollkommen erreicht was ich mich mein Lebenlang
ſorgfältig zu vermeiden bemüht habe. Als der Freund zweier Könige war
er durch das Leben geſchritten, und unbefangen, wahrlich nicht um zu
ſchmeicheln ſetzte er die Bildniſſe der preußiſchen Königsfamilie in ſein
Gemälde von der Erwartung des jüngſten Gerichts; die Geſalbten des
Herrn ſollten das Leben der Menſchheit leiten bis dereinſt der letzte aller
Könige ſeine Krone in die Hände des Gekreuzigten niederlegte. Er wollte
es nicht anders wiſſen, und ganz unbegreiflich blieben ihm die Ideen der
Volksherrſchaft, die jetzt über die Welt hereinbrachen.
Wie viel leichter verſtand Kaulbach ſich in die neue Zeit zu finden,
der Vielgewandte, der kurz vor der Revolution nach Berlin berufen wurde,
um für das Treppenhaus des Neuen Muſeums Coloſſalbilder aus der
Geſchichte der Menſchheit zu malen. Seiner virtuoſen Gewandtheit ge-
lang es, die ſchon erkaltende Theilnahme für das Coloſſale noch einmal
zu beleben und ein volles Jahrzehnt hindurch blieb er, den Meiſter
ganz verdunkelnd, der Lieblingskünſtler der Berliner. Der unbefangene
Tiefſinn der alten italieniſchen Hiſtorienmalerei, die den Geiſt der Ver-
gangenheit einfach in den großen Thaten großer Menſchen künſtleriſch
auszugeſtalten ſuchte, erſchien dem vielbeleſenen Monarchen zu ſchlicht.
Nicht der Wille und die That, ſondern die Idee war ihm der Inhalt
des hiſtoriſchen Lebens; er erging ſich gern in geſchichtsphiloſophiſchen
Betrachtungen, die er ohne es ſelbſt zu ahnen doch dem geſcholtenen
Hegel verdankte, und in dieſem Sinne ſollte auch Kaulbach den Ideenge-
halt der Geſchichte durch große ſymboliſche Bilder darſtellen. Die beiden
erſten und ſchönſten dieſer mächtigen Entwürfe, die Hunnenſchlacht und
die Zerſtörung Babylons, zeigten noch die geſchloſſene Einheit einer dra-
matiſchen Handlung, die ſpäteren nur ein verwirrendes Durcheinander
geiſtreicher Einfälle, bei denen ſich der grübelnde Verſtand allerhand denken
mochte. Es war eine gelehrte Kunſt, ſo alexandriniſch wie der unglück-
ſelige Bau des Neuen Muſeums ſelber, ganz begreiflich nur mit Hilfe
wiſſenſchaftlicher Commentare, und doch dem Durchſchnittsmenſchen ver-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/412>, abgerufen am 16.06.2024.
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