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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Kaulbach's Wandgemälde.
ständlicher als Cornelius' Cartons; denn hier fühlte sich Niemand bedrückt
durch die Uebermacht religiöser Begeisterung, hier redete überall ein ganz
moderner, liberal aufgeklärter Geist, der, kühl bis an's Herz hinan, die
Gestalten des Alterthums, des Mittelalters, der Renaissance mit der
gleichen Leichtigkeit aus dem Aermel schüttelte und in den Bildern der
erlösten, aus Babels Zwingburg fröhlich ausziehenden Völker auch den
Freiheitsdrang der neuen Zeit unmittelbar zu befriedigen wußte.

Besonders glücklich gelangen ihm erhabene allegorische Einzelfiguren,
wie die Sage; die Gestalten der historischen Gruppenbilder dagegen wurden
allmählich, da sie ja allesammt kein persönliches Leben führten, sondern
nur Ideen darstellten, so schablonenhaft, daß man jedes Geschöpf der Kaul-
bach'schen Muse an dem süßlich verzogenen Munde, der immer einem
liegenden Paragraphenzeichen glich, sofort erkennen konnte. Das Alles
aber war flott, frisch, wirksam gemalt; die Fruchtbarkeit des Künstlers
schien unerschöpflich, die elegante gedämpfte Färbung der Wasserglasmalerei
behagte dem modernen Geschmacke mehr als die Strenge des Fresco. Die
Fülle der feinen Beziehungen und Anspielungen in diesen geschichtsphilo-
sophischen Gemälden gab reichen Stoff für das überbildete Geschwätz, das
an der Spree geistreich hieß; der Berliner fühlte sich so grundgescheidt,
wenn er in der unmöglichen Gruppe der friedlich aus dem brennenden
Jerusalem hinwegflüchtenden Christen eine große Idee entdeckte oder in
dem Shakespeare auf dem Bilde des Reformationszeitalters das Gesicht
eines bekannten Kunstkritikers wiedererkannte.

Mancher Zug in Kaulbach's Charakter erinnerte an Heine oder Voltaire.
Den deutschen Dichter überragte er freilich weit durch seine mächtige Gestal-
tungskraft; hinter dem Franzosen stand er zurück, weil er nicht wie dieser die
nationale Bildung eines reichen Jahrhunderts in sich verkörperte, sondern
nur eine flüchtige Erscheinungsform unserer liberalen Aufklärung. Der
Schelm aber saß ihm stets im Nacken, er blieb immer der Künstler des Rei-
neke Fuchs, der lebenskluge Menschenkenner und Menschenverächter. Auch
in diesen Jahren, da alle Welt seine idealen Geschichtsbilder anstaunte, be-
kundete sich sein Talent immer am stärksten und eigenthümlichsten, wenn er
in kleinen übermüthigen humoristischen Zeichnungen, die sich oft kaum vor
das Vaterauge der Sittenpolizei hinauswagen durften, die Sinnlichkeit und
die Narrheit der Welt verhöhnte. Leider hielt sich dieser satirische Drang
nicht immer in seinen natürlichen Schranken. Als König Ludwig ihm die
Außenwände der Neuen Pinakothek zur Bemalung übergab, da konnte Kaul-
bach der Versuchung nicht widerstehen, die gesammte neue Münchener Kunst,
die doch seine eigene Mutter war, grausam zu verspotten und beleidigte
das künstlerische, wie das sittliche Feingefühl durch die widerliche Geschmack-
losigkeit kolossaler Caricaturen.

Mit wachsendem Widerwillen verfolgte Cornelius das ganz moderne
Schaffen dieses abtrünnigen Schülers, und tief mußte es ihn wurmen,

Kaulbach’s Wandgemälde.
ſtändlicher als Cornelius’ Cartons; denn hier fühlte ſich Niemand bedrückt
durch die Uebermacht religiöſer Begeiſterung, hier redete überall ein ganz
moderner, liberal aufgeklärter Geiſt, der, kühl bis an’s Herz hinan, die
Geſtalten des Alterthums, des Mittelalters, der Renaiſſance mit der
gleichen Leichtigkeit aus dem Aermel ſchüttelte und in den Bildern der
erlöſten, aus Babels Zwingburg fröhlich ausziehenden Völker auch den
Freiheitsdrang der neuen Zeit unmittelbar zu befriedigen wußte.

Beſonders glücklich gelangen ihm erhabene allegoriſche Einzelfiguren,
wie die Sage; die Geſtalten der hiſtoriſchen Gruppenbilder dagegen wurden
allmählich, da ſie ja alleſammt kein perſönliches Leben führten, ſondern
nur Ideen darſtellten, ſo ſchablonenhaft, daß man jedes Geſchöpf der Kaul-
bach’ſchen Muſe an dem ſüßlich verzogenen Munde, der immer einem
liegenden Paragraphenzeichen glich, ſofort erkennen konnte. Das Alles
aber war flott, friſch, wirkſam gemalt; die Fruchtbarkeit des Künſtlers
ſchien unerſchöpflich, die elegante gedämpfte Färbung der Waſſerglasmalerei
behagte dem modernen Geſchmacke mehr als die Strenge des Fresco. Die
Fülle der feinen Beziehungen und Anſpielungen in dieſen geſchichtsphilo-
ſophiſchen Gemälden gab reichen Stoff für das überbildete Geſchwätz, das
an der Spree geiſtreich hieß; der Berliner fühlte ſich ſo grundgeſcheidt,
wenn er in der unmöglichen Gruppe der friedlich aus dem brennenden
Jeruſalem hinwegflüchtenden Chriſten eine große Idee entdeckte oder in
dem Shakeſpeare auf dem Bilde des Reformationszeitalters das Geſicht
eines bekannten Kunſtkritikers wiedererkannte.

Mancher Zug in Kaulbach’s Charakter erinnerte an Heine oder Voltaire.
Den deutſchen Dichter überragte er freilich weit durch ſeine mächtige Geſtal-
tungskraft; hinter dem Franzoſen ſtand er zurück, weil er nicht wie dieſer die
nationale Bildung eines reichen Jahrhunderts in ſich verkörperte, ſondern
nur eine flüchtige Erſcheinungsform unſerer liberalen Aufklärung. Der
Schelm aber ſaß ihm ſtets im Nacken, er blieb immer der Künſtler des Rei-
neke Fuchs, der lebenskluge Menſchenkenner und Menſchenverächter. Auch
in dieſen Jahren, da alle Welt ſeine idealen Geſchichtsbilder anſtaunte, be-
kundete ſich ſein Talent immer am ſtärkſten und eigenthümlichſten, wenn er
in kleinen übermüthigen humoriſtiſchen Zeichnungen, die ſich oft kaum vor
das Vaterauge der Sittenpolizei hinauswagen durften, die Sinnlichkeit und
die Narrheit der Welt verhöhnte. Leider hielt ſich dieſer ſatiriſche Drang
nicht immer in ſeinen natürlichen Schranken. Als König Ludwig ihm die
Außenwände der Neuen Pinakothek zur Bemalung übergab, da konnte Kaul-
bach der Verſuchung nicht widerſtehen, die geſammte neue Münchener Kunſt,
die doch ſeine eigene Mutter war, grauſam zu verſpotten und beleidigte
das künſtleriſche, wie das ſittliche Feingefühl durch die widerliche Geſchmack-
loſigkeit koloſſaler Caricaturen.

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Schaffen dieſes abtrünnigen Schülers, und tief mußte es ihn wurmen,

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[399/0413] Kaulbach’s Wandgemälde. ſtändlicher als Cornelius’ Cartons; denn hier fühlte ſich Niemand bedrückt durch die Uebermacht religiöſer Begeiſterung, hier redete überall ein ganz moderner, liberal aufgeklärter Geiſt, der, kühl bis an’s Herz hinan, die Geſtalten des Alterthums, des Mittelalters, der Renaiſſance mit der gleichen Leichtigkeit aus dem Aermel ſchüttelte und in den Bildern der erlöſten, aus Babels Zwingburg fröhlich ausziehenden Völker auch den Freiheitsdrang der neuen Zeit unmittelbar zu befriedigen wußte. Beſonders glücklich gelangen ihm erhabene allegoriſche Einzelfiguren, wie die Sage; die Geſtalten der hiſtoriſchen Gruppenbilder dagegen wurden allmählich, da ſie ja alleſammt kein perſönliches Leben führten, ſondern nur Ideen darſtellten, ſo ſchablonenhaft, daß man jedes Geſchöpf der Kaul- bach’ſchen Muſe an dem ſüßlich verzogenen Munde, der immer einem liegenden Paragraphenzeichen glich, ſofort erkennen konnte. Das Alles aber war flott, friſch, wirkſam gemalt; die Fruchtbarkeit des Künſtlers ſchien unerſchöpflich, die elegante gedämpfte Färbung der Waſſerglasmalerei behagte dem modernen Geſchmacke mehr als die Strenge des Fresco. Die Fülle der feinen Beziehungen und Anſpielungen in dieſen geſchichtsphilo- ſophiſchen Gemälden gab reichen Stoff für das überbildete Geſchwätz, das an der Spree geiſtreich hieß; der Berliner fühlte ſich ſo grundgeſcheidt, wenn er in der unmöglichen Gruppe der friedlich aus dem brennenden Jeruſalem hinwegflüchtenden Chriſten eine große Idee entdeckte oder in dem Shakeſpeare auf dem Bilde des Reformationszeitalters das Geſicht eines bekannten Kunſtkritikers wiedererkannte. Mancher Zug in Kaulbach’s Charakter erinnerte an Heine oder Voltaire. Den deutſchen Dichter überragte er freilich weit durch ſeine mächtige Geſtal- tungskraft; hinter dem Franzoſen ſtand er zurück, weil er nicht wie dieſer die nationale Bildung eines reichen Jahrhunderts in ſich verkörperte, ſondern nur eine flüchtige Erſcheinungsform unſerer liberalen Aufklärung. Der Schelm aber ſaß ihm ſtets im Nacken, er blieb immer der Künſtler des Rei- neke Fuchs, der lebenskluge Menſchenkenner und Menſchenverächter. Auch in dieſen Jahren, da alle Welt ſeine idealen Geſchichtsbilder anſtaunte, be- kundete ſich ſein Talent immer am ſtärkſten und eigenthümlichſten, wenn er in kleinen übermüthigen humoriſtiſchen Zeichnungen, die ſich oft kaum vor das Vaterauge der Sittenpolizei hinauswagen durften, die Sinnlichkeit und die Narrheit der Welt verhöhnte. Leider hielt ſich dieſer ſatiriſche Drang nicht immer in ſeinen natürlichen Schranken. Als König Ludwig ihm die Außenwände der Neuen Pinakothek zur Bemalung übergab, da konnte Kaul- bach der Verſuchung nicht widerſtehen, die geſammte neue Münchener Kunſt, die doch ſeine eigene Mutter war, grauſam zu verſpotten und beleidigte das künſtleriſche, wie das ſittliche Feingefühl durch die widerliche Geſchmack- loſigkeit koloſſaler Caricaturen. Mit wachſendem Widerwillen verfolgte Cornelius das ganz moderne Schaffen dieſes abtrünnigen Schülers, und tief mußte es ihn wurmen,

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/413>, abgerufen am 21.11.2024.