nahm er mit kühlem Danke an, den zweiten ließ er ungnädig dem Ver- fasser zurücksenden.*)
Dahlmann und Droysen gebrauchten nur das gute Recht des Histo- rikers, wenn sie aus den Erfahrungen der Vergangenheit ernste Lehren für die Gegenwart zu gewinnen suchten. Aber neben dieser berechtigten Tendenz wagte sich auch die unberechtigte des boshaften Anspielens und des versteckten Anwinkens hervor, ein schlechtes Handwerk, das sich mit der Würde der Geschichte nie verträgt. David Fr. Strauß hatte die letzten Jahre, tief darniedergedrückt durch seine unglückliche Ehe mit der schönen Sängerin Agnese Schebest, ganz unthätig verbracht; und recht genesen war er auch noch nicht, als er, der ehelichen Fesseln endlich ledig, seine streitbare Feder wieder ergriff und den lange verhaltenen Groll wider König Friedrich Wilhelm in der Flugschrift "der Romantiker auf dem Throne der Cäsaren" entlud. Das Beste daran war der witzige Titel, der denn auch genügte, der sehr wenig gelesenen Schrift einen in Zei- tungen und Büchern dauernden Ruhm zu verschaffen. Julianus, der ge- waltige Feldherr, der ernste, prosaische, ganz in politischen Sorgen aufgehende Staatsmann wurde hier mit dem romantischen Preußenkönige verglichen, weil der gestrenge Römer die alte mit dem römischen Staate unzertrennlich verwachsene Staatsreligion wieder herzustellen versucht hatte und das Christenthum, nach Straußens Ansicht, heutzutage ebenso verlebt sein sollte wie damals das Heidenthum. Nur der verblendete Haß konnte zwei in Art und Unart so grundverschiedene Charaktere nebeneinander stellen, und die frostigen Witze über den romantischen Dombau des Tempels von Jerusalem oder über Julian's altgläubige Cabinetsordres ließen den ab- geschmackten Einfall nur noch widerlicher erscheinen.
Geistreicher, kräftiger als Strauß schwang einige Jahre nach der Revolution sein Landsmann, der Bonner Historiker Otto Abel die Geißel der Satire, indem er einen -- dem preußischen Monarchen un- verkennbar verwandten -- Charakter schilderte, Theodat, den König der Ostgothen, den gelehrten Schwächling, der durch friedensselige Thaten- scheu das glorreiche Erbe großer Vorfahren zerstörte. Abel schrieb nicht mit der Bosheit des Parteihasses, sondern mit tiefem patriotischem Schmerze, er störte seine Erzählung durch kein einziges Wort unmittel- barer Anspielung, und noch heute, da die Halbwahrheit aller solcher histo- rischen Vergleichungen von der ruhigeren Nachwelt längst durchschaut ist, kann seine Schrift als ein kleines Meisterstück historischer Charakteristik mit unbefangener Freude genossen werden. Was Strauß nur in einem übellaunigen Capriccio flüchtig andeutete, das führte der Berliner Historiker Adolf Schmidt in der ganzen Breite gelehrter Pedanterei schwerfällig aus. Seine "Geschichte der Denk- und Glaubensfreiheit" unter den ersten
*) Nach einer brieflichen Mittheilung von J. G. Droysen.
Droyſen. Hiſtoriſche Satiren.
nahm er mit kühlem Danke an, den zweiten ließ er ungnädig dem Ver- faſſer zurückſenden.*)
Dahlmann und Droyſen gebrauchten nur das gute Recht des Hiſto- rikers, wenn ſie aus den Erfahrungen der Vergangenheit ernſte Lehren für die Gegenwart zu gewinnen ſuchten. Aber neben dieſer berechtigten Tendenz wagte ſich auch die unberechtigte des boshaften Anſpielens und des verſteckten Anwinkens hervor, ein ſchlechtes Handwerk, das ſich mit der Würde der Geſchichte nie verträgt. David Fr. Strauß hatte die letzten Jahre, tief darniedergedrückt durch ſeine unglückliche Ehe mit der ſchönen Sängerin Agneſe Schebeſt, ganz unthätig verbracht; und recht geneſen war er auch noch nicht, als er, der ehelichen Feſſeln endlich ledig, ſeine ſtreitbare Feder wieder ergriff und den lange verhaltenen Groll wider König Friedrich Wilhelm in der Flugſchrift „der Romantiker auf dem Throne der Cäſaren“ entlud. Das Beſte daran war der witzige Titel, der denn auch genügte, der ſehr wenig geleſenen Schrift einen in Zei- tungen und Büchern dauernden Ruhm zu verſchaffen. Julianus, der ge- waltige Feldherr, der ernſte, proſaiſche, ganz in politiſchen Sorgen aufgehende Staatsmann wurde hier mit dem romantiſchen Preußenkönige verglichen, weil der geſtrenge Römer die alte mit dem römiſchen Staate unzertrennlich verwachſene Staatsreligion wieder herzuſtellen verſucht hatte und das Chriſtenthum, nach Straußens Anſicht, heutzutage ebenſo verlebt ſein ſollte wie damals das Heidenthum. Nur der verblendete Haß konnte zwei in Art und Unart ſo grundverſchiedene Charaktere nebeneinander ſtellen, und die froſtigen Witze über den romantiſchen Dombau des Tempels von Jeruſalem oder über Julian’s altgläubige Cabinetsordres ließen den ab- geſchmackten Einfall nur noch widerlicher erſcheinen.
Geiſtreicher, kräftiger als Strauß ſchwang einige Jahre nach der Revolution ſein Landsmann, der Bonner Hiſtoriker Otto Abel die Geißel der Satire, indem er einen — dem preußiſchen Monarchen un- verkennbar verwandten — Charakter ſchilderte, Theodat, den König der Oſtgothen, den gelehrten Schwächling, der durch friedensſelige Thaten- ſcheu das glorreiche Erbe großer Vorfahren zerſtörte. Abel ſchrieb nicht mit der Bosheit des Parteihaſſes, ſondern mit tiefem patriotiſchem Schmerze, er ſtörte ſeine Erzählung durch kein einziges Wort unmittel- barer Anſpielung, und noch heute, da die Halbwahrheit aller ſolcher hiſto- riſchen Vergleichungen von der ruhigeren Nachwelt längſt durchſchaut iſt, kann ſeine Schrift als ein kleines Meiſterſtück hiſtoriſcher Charakteriſtik mit unbefangener Freude genoſſen werden. Was Strauß nur in einem übellaunigen Capriccio flüchtig andeutete, das führte der Berliner Hiſtoriker Adolf Schmidt in der ganzen Breite gelehrter Pedanterei ſchwerfällig aus. Seine „Geſchichte der Denk- und Glaubensfreiheit“ unter den erſten
*) Nach einer brieflichen Mittheilung von J. G. Droyſen.
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nahm er mit kühlem Danke an, den zweiten ließ er ungnädig dem Ver-
faſſer zurückſenden. *)
Dahlmann und Droyſen gebrauchten nur das gute Recht des Hiſto-
rikers, wenn ſie aus den Erfahrungen der Vergangenheit ernſte Lehren
für die Gegenwart zu gewinnen ſuchten. Aber neben dieſer berechtigten
Tendenz wagte ſich auch die unberechtigte des boshaften Anſpielens und
des verſteckten Anwinkens hervor, ein ſchlechtes Handwerk, das ſich mit
der Würde der Geſchichte nie verträgt. David Fr. Strauß hatte die
letzten Jahre, tief darniedergedrückt durch ſeine unglückliche Ehe mit der
ſchönen Sängerin Agneſe Schebeſt, ganz unthätig verbracht; und recht
geneſen war er auch noch nicht, als er, der ehelichen Feſſeln endlich ledig,
ſeine ſtreitbare Feder wieder ergriff und den lange verhaltenen Groll wider
König Friedrich Wilhelm in der Flugſchrift „der Romantiker auf dem
Throne der Cäſaren“ entlud. Das Beſte daran war der witzige Titel,
der denn auch genügte, der ſehr wenig geleſenen Schrift einen in Zei-
tungen und Büchern dauernden Ruhm zu verſchaffen. Julianus, der ge-
waltige Feldherr, der ernſte, proſaiſche, ganz in politiſchen Sorgen aufgehende
Staatsmann wurde hier mit dem romantiſchen Preußenkönige verglichen,
weil der geſtrenge Römer die alte mit dem römiſchen Staate unzertrennlich
verwachſene Staatsreligion wieder herzuſtellen verſucht hatte und das
Chriſtenthum, nach Straußens Anſicht, heutzutage ebenſo verlebt ſein
ſollte wie damals das Heidenthum. Nur der verblendete Haß konnte zwei
in Art und Unart ſo grundverſchiedene Charaktere nebeneinander ſtellen,
und die froſtigen Witze über den romantiſchen Dombau des Tempels von
Jeruſalem oder über Julian’s altgläubige Cabinetsordres ließen den ab-
geſchmackten Einfall nur noch widerlicher erſcheinen.
Geiſtreicher, kräftiger als Strauß ſchwang einige Jahre nach der
Revolution ſein Landsmann, der Bonner Hiſtoriker Otto Abel die
Geißel der Satire, indem er einen — dem preußiſchen Monarchen un-
verkennbar verwandten — Charakter ſchilderte, Theodat, den König der
Oſtgothen, den gelehrten Schwächling, der durch friedensſelige Thaten-
ſcheu das glorreiche Erbe großer Vorfahren zerſtörte. Abel ſchrieb nicht
mit der Bosheit des Parteihaſſes, ſondern mit tiefem patriotiſchem
Schmerze, er ſtörte ſeine Erzählung durch kein einziges Wort unmittel-
barer Anſpielung, und noch heute, da die Halbwahrheit aller ſolcher hiſto-
riſchen Vergleichungen von der ruhigeren Nachwelt längſt durchſchaut iſt,
kann ſeine Schrift als ein kleines Meiſterſtück hiſtoriſcher Charakteriſtik
mit unbefangener Freude genoſſen werden. Was Strauß nur in einem
übellaunigen Capriccio flüchtig andeutete, das führte der Berliner Hiſtoriker
Adolf Schmidt in der ganzen Breite gelehrter Pedanterei ſchwerfällig
aus. Seine „Geſchichte der Denk- und Glaubensfreiheit“ unter den erſten
*) Nach einer brieflichen Mittheilung von J. G. Droyſen.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/425>, abgerufen am 21.11.2024.
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