V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthschaft.
halten, nicht gestalten konnte. Wie er einst gegen das preußische Zoll- gesetz getobt hatte, das doch seine eigenen Ideale verwirklichte, so schalt er jetzt ungestüm auf die preußische Handelspolitik und untergrub das Vertrauen zu der führenden Macht des Zollvereins, obgleich er die Noth- wendigkeit der preußischen Hegemonie wohl begriff. In seinem blinden Zorne bemerkte der edle Enthusiast nicht mehr, welche dämonischen Kräfte der Zwietracht und des Bruderhasses er entfesselte. Abel und die ganze Heerschaar der bairischen Ultramontanen stimmten ihm schadenfroh zu, und bald ließ sich auch schon der Ruf hören: statt des unfähigen Preußens müsse Oesterreich die Führung des Zollvereins übernehmen -- eine For- derung, die von List selbst allerdings nie gebilligt wurde.
Mißtrauen zwischen Nord und Süd war unter allen Gefahren, welche den Zollverein bedrohen konnten, die schwerste; denn das vertrauensvolle Einverständniß von Preußen-Hessen und Baiern-Württemberg hatte ihn einst begründet; zerriß dies Band, so ging der erste Anfang praktischer deutscher Einheit verloren. Es war die tragische Schuld in List's stür- mischem Leben, daß dieser begeisterte Patriot, der das ganze Vaterland mit glühender Liebe umfaßte, doch die Kluft zwischen dem Süden und dem Norden gewaltsam erweiterte. Er betrieb die schutzzöllnerische Agi- tation, die ja ihre guten Gründe hatte, mit einer solchen Erbitterung, daß der im Süden schon halb verblaßte Preußenhaß mächtig wieder auf- brauste. Der Same des Unfriedens, der damals ausgestreut wurde, trug noch nach vielen Jahren arge Früchte; noch bis zum Jahre 1866 ließen sich in der süddeutschen Presse, zumal in den Blättern des Hauses Cotta die Nachklänge dieses rohen Schutzzöllnerhasses vernehmen. Nachdem Preußen nachweislich so große finanzielle Opfer für den Zollverein ge- bracht hatte, verbreitete man im Süden ein Witzbild, das die Dinge gradezu auf den Kopf stellte: die Kuh des Zollvereins wurde von dem geduldigen süddeutschen Michel festgehalten und von Preußen gemolken. List selbst scheute sich nicht, der preußischen Regierung vorzuwerfen, daß sie den Zollverein zu ihrem Vortheil ausbeute. Er erging sich -- und mehr noch sein Anhang -- in wüsten, demagogischen Anklagen. Er jam- merte, das wehrlose Deutschland würde von der Handelspolitik des Aus- lands ausgeplündert, und vergaß undankbar, daß der Zollverein die wirth- schaftliche Fremdherrschaft im Wesentlichen doch schon gebrochen hatte, und jetzt nur noch in Frage stand, ob nicht einzelne Gewerbszweige eines stärkeren Schutzes bedürften.
Diese trockene Geschäftsfrage, wie viel Zoll eine Waare zu ertragen vermöge, wurde mit einer Wuth behandelt, als ob nur Landesverräther anderer Meinung sein könnten. Geborene Kämpfer lieben, sich ihre Feinde als Zerrgestalten vor die Augen zu halten. Wie Luther aus dem Coch- läus einen Rotzlöffel, aus dem Herzog von Braunschweig einen Hans Worscht machte um dann diese Fratzen nach Herzenslust zu zerzausen, so
V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthſchaft.
halten, nicht geſtalten konnte. Wie er einſt gegen das preußiſche Zoll- geſetz getobt hatte, das doch ſeine eigenen Ideale verwirklichte, ſo ſchalt er jetzt ungeſtüm auf die preußiſche Handelspolitik und untergrub das Vertrauen zu der führenden Macht des Zollvereins, obgleich er die Noth- wendigkeit der preußiſchen Hegemonie wohl begriff. In ſeinem blinden Zorne bemerkte der edle Enthuſiaſt nicht mehr, welche dämoniſchen Kräfte der Zwietracht und des Bruderhaſſes er entfeſſelte. Abel und die ganze Heerſchaar der bairiſchen Ultramontanen ſtimmten ihm ſchadenfroh zu, und bald ließ ſich auch ſchon der Ruf hören: ſtatt des unfähigen Preußens müſſe Oeſterreich die Führung des Zollvereins übernehmen — eine For- derung, die von Liſt ſelbſt allerdings nie gebilligt wurde.
Mißtrauen zwiſchen Nord und Süd war unter allen Gefahren, welche den Zollverein bedrohen konnten, die ſchwerſte; denn das vertrauensvolle Einverſtändniß von Preußen-Heſſen und Baiern-Württemberg hatte ihn einſt begründet; zerriß dies Band, ſo ging der erſte Anfang praktiſcher deutſcher Einheit verloren. Es war die tragiſche Schuld in Liſt’s ſtür- miſchem Leben, daß dieſer begeiſterte Patriot, der das ganze Vaterland mit glühender Liebe umfaßte, doch die Kluft zwiſchen dem Süden und dem Norden gewaltſam erweiterte. Er betrieb die ſchutzzöllneriſche Agi- tation, die ja ihre guten Gründe hatte, mit einer ſolchen Erbitterung, daß der im Süden ſchon halb verblaßte Preußenhaß mächtig wieder auf- brauſte. Der Same des Unfriedens, der damals ausgeſtreut wurde, trug noch nach vielen Jahren arge Früchte; noch bis zum Jahre 1866 ließen ſich in der ſüddeutſchen Preſſe, zumal in den Blättern des Hauſes Cotta die Nachklänge dieſes rohen Schutzzöllnerhaſſes vernehmen. Nachdem Preußen nachweislich ſo große finanzielle Opfer für den Zollverein ge- bracht hatte, verbreitete man im Süden ein Witzbild, das die Dinge gradezu auf den Kopf ſtellte: die Kuh des Zollvereins wurde von dem geduldigen ſüddeutſchen Michel feſtgehalten und von Preußen gemolken. Liſt ſelbſt ſcheute ſich nicht, der preußiſchen Regierung vorzuwerfen, daß ſie den Zollverein zu ihrem Vortheil ausbeute. Er erging ſich — und mehr noch ſein Anhang — in wüſten, demagogiſchen Anklagen. Er jam- merte, das wehrloſe Deutſchland würde von der Handelspolitik des Aus- lands ausgeplündert, und vergaß undankbar, daß der Zollverein die wirth- ſchaftliche Fremdherrſchaft im Weſentlichen doch ſchon gebrochen hatte, und jetzt nur noch in Frage ſtand, ob nicht einzelne Gewerbszweige eines ſtärkeren Schutzes bedürften.
Dieſe trockene Geſchäftsfrage, wie viel Zoll eine Waare zu ertragen vermöge, wurde mit einer Wuth behandelt, als ob nur Landesverräther anderer Meinung ſein könnten. Geborene Kämpfer lieben, ſich ihre Feinde als Zerrgeſtalten vor die Augen zu halten. Wie Luther aus dem Coch- läus einen Rotzlöffel, aus dem Herzog von Braunſchweig einen Hans Worſcht machte um dann dieſe Fratzen nach Herzensluſt zu zerzauſen, ſo
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V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthſchaft.
halten, nicht geſtalten konnte. Wie er einſt gegen das preußiſche Zoll-
geſetz getobt hatte, das doch ſeine eigenen Ideale verwirklichte, ſo ſchalt
er jetzt ungeſtüm auf die preußiſche Handelspolitik und untergrub das
Vertrauen zu der führenden Macht des Zollvereins, obgleich er die Noth-
wendigkeit der preußiſchen Hegemonie wohl begriff. In ſeinem blinden
Zorne bemerkte der edle Enthuſiaſt nicht mehr, welche dämoniſchen Kräfte
der Zwietracht und des Bruderhaſſes er entfeſſelte. Abel und die ganze
Heerſchaar der bairiſchen Ultramontanen ſtimmten ihm ſchadenfroh zu,
und bald ließ ſich auch ſchon der Ruf hören: ſtatt des unfähigen Preußens
müſſe Oeſterreich die Führung des Zollvereins übernehmen — eine For-
derung, die von Liſt ſelbſt allerdings nie gebilligt wurde.
Mißtrauen zwiſchen Nord und Süd war unter allen Gefahren, welche
den Zollverein bedrohen konnten, die ſchwerſte; denn das vertrauensvolle
Einverſtändniß von Preußen-Heſſen und Baiern-Württemberg hatte ihn
einſt begründet; zerriß dies Band, ſo ging der erſte Anfang praktiſcher
deutſcher Einheit verloren. Es war die tragiſche Schuld in Liſt’s ſtür-
miſchem Leben, daß dieſer begeiſterte Patriot, der das ganze Vaterland
mit glühender Liebe umfaßte, doch die Kluft zwiſchen dem Süden und
dem Norden gewaltſam erweiterte. Er betrieb die ſchutzzöllneriſche Agi-
tation, die ja ihre guten Gründe hatte, mit einer ſolchen Erbitterung,
daß der im Süden ſchon halb verblaßte Preußenhaß mächtig wieder auf-
brauſte. Der Same des Unfriedens, der damals ausgeſtreut wurde, trug
noch nach vielen Jahren arge Früchte; noch bis zum Jahre 1866 ließen
ſich in der ſüddeutſchen Preſſe, zumal in den Blättern des Hauſes Cotta
die Nachklänge dieſes rohen Schutzzöllnerhaſſes vernehmen. Nachdem
Preußen nachweislich ſo große finanzielle Opfer für den Zollverein ge-
bracht hatte, verbreitete man im Süden ein Witzbild, das die Dinge
gradezu auf den Kopf ſtellte: die Kuh des Zollvereins wurde von dem
geduldigen ſüddeutſchen Michel feſtgehalten und von Preußen gemolken.
Liſt ſelbſt ſcheute ſich nicht, der preußiſchen Regierung vorzuwerfen, daß
ſie den Zollverein zu ihrem Vortheil ausbeute. Er erging ſich — und
mehr noch ſein Anhang — in wüſten, demagogiſchen Anklagen. Er jam-
merte, das wehrloſe Deutſchland würde von der Handelspolitik des Aus-
lands ausgeplündert, und vergaß undankbar, daß der Zollverein die wirth-
ſchaftliche Fremdherrſchaft im Weſentlichen doch ſchon gebrochen hatte,
und jetzt nur noch in Frage ſtand, ob nicht einzelne Gewerbszweige eines
ſtärkeren Schutzes bedürften.
Dieſe trockene Geſchäftsfrage, wie viel Zoll eine Waare zu ertragen
vermöge, wurde mit einer Wuth behandelt, als ob nur Landesverräther
anderer Meinung ſein könnten. Geborene Kämpfer lieben, ſich ihre Feinde
als Zerrgeſtalten vor die Augen zu halten. Wie Luther aus dem Coch-
läus einen Rotzlöffel, aus dem Herzog von Braunſchweig einen Hans
Worſcht machte um dann dieſe Fratzen nach Herzensluſt zu zerzauſen, ſo
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/466>, abgerufen am 22.11.2024.
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