regierten, sich einander wieder zu nähern. Auf eine ernste Anfrage Preußens, ob der Zollverein fortbestehen solle, antworteten alle Regierungen versöhn- lich. Eine treffliche Schrift Kühne's über die Entwicklung des Zollvereins seit 1834 zeigte auch dem großen Publicum anschaulich, was Deutschland an seinem Handelsbunde besaß. Man begann sich zu verständigen, und als im Sommer 1846 die Zollconferenz zu Berlin wieder zusammen- trat, da meinte Canitz sarkastisch: "der Karlsruher Rausch scheint aus- geschlafen." Die Schutzzöllner freilich mußten für ihren lärmenden Uebermuth büßen. Rönne, der das Getobe sogar durch Indiscretionen gefördert hatte, sah sich jetzt überall zurückgesetzt, er verlangte seine Ent- lassung, die der König jedoch nicht annehmen wollte; und die neuen Vermittlungsanträge, welche Geh. Rath v. Patow auf der Conferenz glücklich vertheidigte, boten der Schutzzoll-Partei etwas weniger als vor- dem die Karlsruher Vorschläge. Es war die Fabel von den sibyllini- schen Büchern. Man einigte sich über eine Erhöhung der Garnzölle, die hinter den Wünschen der Schutzzoll-Partei weit zurückblieb. Die Re- gierungen aber athmeten auf; gleich ihnen die große Mehrheit der Na- tion; denn nachdem der Zollverein diese Gefahr überstanden hatte, war sein Bestand auf lange hinaus gesichert. Ueberdies wurden die Augen der Welt bald durch ernstere politische Kämpfe von den Tarifstreitigkeiten ab- gelenkt. --
Zu der Wiederversöhnung der Zollverbündeten hatte die Unfähigkeit der Hofburg wider Willen mitgeholfen. Wenn die Fanatiker des Schutz- zolls in Süddeutschland beständig einen österreichischen Zollverein ver- langten, so mochten manche nur prahlen, viele meinten die Drohung ernst. Denn seit dem Kölnischen Bischofsstreite entstand im Süden ganz in der Stille eine österreichisch-großdeutsche Partei.*) Ihren Stamm bildeten die Clericalen, dann die preußenfeindlichen Schutzzöllner, endlich die alten Dom- herrengeschlechter, die der fürstbischöflichen Herrlichkeit noch nicht vergessen konnten und ihre Söhne meist im österreichischen Dienste unterbrachten; erst späterhin schlossen sich auch demokratische Genossen an. List selber wollte so weit nicht gehen; unerschöpflich in Einfällen und Plänen stellte er jedoch die gefährliche Forderung auf, daß Baiern die Führung der deutschen Handelspolitik, dem Oriente und den Donauländern gegenüber, übernehmen müsse. Solcher Stimmungen konnte sich die österreichische Politik, wenn sie klug und kühn verfuhr, leicht bemächtigen. Im Kaiser- staate selbst wurde das harte, durch frechen Schmuggel überall durchbrochene Prohibitivsystem gründlich verabscheut. Einzelne Unzufriedene verlangten Anschluß an den deutschen Zollverein, am eifrigsten Graf Chotek, der Oberstburggraf von Böhmen;**) der Graf fand jedoch in seiner eigenen
*) S. o. IV. 724.
**) Canitz's Bericht, 2. Sept. 1842.
Karlsruher Zollconferenz. Verſöhnung.
regierten, ſich einander wieder zu nähern. Auf eine ernſte Anfrage Preußens, ob der Zollverein fortbeſtehen ſolle, antworteten alle Regierungen verſöhn- lich. Eine treffliche Schrift Kühne’s über die Entwicklung des Zollvereins ſeit 1834 zeigte auch dem großen Publicum anſchaulich, was Deutſchland an ſeinem Handelsbunde beſaß. Man begann ſich zu verſtändigen, und als im Sommer 1846 die Zollconferenz zu Berlin wieder zuſammen- trat, da meinte Canitz ſarkaſtiſch: „der Karlsruher Rauſch ſcheint aus- geſchlafen.“ Die Schutzzöllner freilich mußten für ihren lärmenden Uebermuth büßen. Rönne, der das Getobe ſogar durch Indiscretionen gefördert hatte, ſah ſich jetzt überall zurückgeſetzt, er verlangte ſeine Ent- laſſung, die der König jedoch nicht annehmen wollte; und die neuen Vermittlungsanträge, welche Geh. Rath v. Patow auf der Conferenz glücklich vertheidigte, boten der Schutzzoll-Partei etwas weniger als vor- dem die Karlsruher Vorſchläge. Es war die Fabel von den ſibyllini- ſchen Büchern. Man einigte ſich über eine Erhöhung der Garnzölle, die hinter den Wünſchen der Schutzzoll-Partei weit zurückblieb. Die Re- gierungen aber athmeten auf; gleich ihnen die große Mehrheit der Na- tion; denn nachdem der Zollverein dieſe Gefahr überſtanden hatte, war ſein Beſtand auf lange hinaus geſichert. Ueberdies wurden die Augen der Welt bald durch ernſtere politiſche Kämpfe von den Tarifſtreitigkeiten ab- gelenkt. —
Zu der Wiederverſöhnung der Zollverbündeten hatte die Unfähigkeit der Hofburg wider Willen mitgeholfen. Wenn die Fanatiker des Schutz- zolls in Süddeutſchland beſtändig einen öſterreichiſchen Zollverein ver- langten, ſo mochten manche nur prahlen, viele meinten die Drohung ernſt. Denn ſeit dem Kölniſchen Biſchofsſtreite entſtand im Süden ganz in der Stille eine öſterreichiſch-großdeutſche Partei.*) Ihren Stamm bildeten die Clericalen, dann die preußenfeindlichen Schutzzöllner, endlich die alten Dom- herrengeſchlechter, die der fürſtbiſchöflichen Herrlichkeit noch nicht vergeſſen konnten und ihre Söhne meiſt im öſterreichiſchen Dienſte unterbrachten; erſt ſpäterhin ſchloſſen ſich auch demokratiſche Genoſſen an. Liſt ſelber wollte ſo weit nicht gehen; unerſchöpflich in Einfällen und Plänen ſtellte er jedoch die gefährliche Forderung auf, daß Baiern die Führung der deutſchen Handelspolitik, dem Oriente und den Donauländern gegenüber, übernehmen müſſe. Solcher Stimmungen konnte ſich die öſterreichiſche Politik, wenn ſie klug und kühn verfuhr, leicht bemächtigen. Im Kaiſer- ſtaate ſelbſt wurde das harte, durch frechen Schmuggel überall durchbrochene Prohibitivſyſtem gründlich verabſcheut. Einzelne Unzufriedene verlangten Anſchluß an den deutſchen Zollverein, am eifrigſten Graf Chotek, der Oberſtburggraf von Böhmen;**) der Graf fand jedoch in ſeiner eigenen
*) S. o. IV. 724.
**) Canitz’s Bericht, 2. Sept. 1842.
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Karlsruher Zollconferenz. Verſöhnung.
regierten, ſich einander wieder zu nähern. Auf eine ernſte Anfrage Preußens,
ob der Zollverein fortbeſtehen ſolle, antworteten alle Regierungen verſöhn-
lich. Eine treffliche Schrift Kühne’s über die Entwicklung des Zollvereins
ſeit 1834 zeigte auch dem großen Publicum anſchaulich, was Deutſchland
an ſeinem Handelsbunde beſaß. Man begann ſich zu verſtändigen, und
als im Sommer 1846 die Zollconferenz zu Berlin wieder zuſammen-
trat, da meinte Canitz ſarkaſtiſch: „der Karlsruher Rauſch ſcheint aus-
geſchlafen.“ Die Schutzzöllner freilich mußten für ihren lärmenden
Uebermuth büßen. Rönne, der das Getobe ſogar durch Indiscretionen
gefördert hatte, ſah ſich jetzt überall zurückgeſetzt, er verlangte ſeine Ent-
laſſung, die der König jedoch nicht annehmen wollte; und die neuen
Vermittlungsanträge, welche Geh. Rath v. Patow auf der Conferenz
glücklich vertheidigte, boten der Schutzzoll-Partei etwas weniger als vor-
dem die Karlsruher Vorſchläge. Es war die Fabel von den ſibyllini-
ſchen Büchern. Man einigte ſich über eine Erhöhung der Garnzölle,
die hinter den Wünſchen der Schutzzoll-Partei weit zurückblieb. Die Re-
gierungen aber athmeten auf; gleich ihnen die große Mehrheit der Na-
tion; denn nachdem der Zollverein dieſe Gefahr überſtanden hatte, war ſein
Beſtand auf lange hinaus geſichert. Ueberdies wurden die Augen der
Welt bald durch ernſtere politiſche Kämpfe von den Tarifſtreitigkeiten ab-
gelenkt. —
Zu der Wiederverſöhnung der Zollverbündeten hatte die Unfähigkeit
der Hofburg wider Willen mitgeholfen. Wenn die Fanatiker des Schutz-
zolls in Süddeutſchland beſtändig einen öſterreichiſchen Zollverein ver-
langten, ſo mochten manche nur prahlen, viele meinten die Drohung ernſt.
Denn ſeit dem Kölniſchen Biſchofsſtreite entſtand im Süden ganz in der
Stille eine öſterreichiſch-großdeutſche Partei. *) Ihren Stamm bildeten die
Clericalen, dann die preußenfeindlichen Schutzzöllner, endlich die alten Dom-
herrengeſchlechter, die der fürſtbiſchöflichen Herrlichkeit noch nicht vergeſſen
konnten und ihre Söhne meiſt im öſterreichiſchen Dienſte unterbrachten;
erſt ſpäterhin ſchloſſen ſich auch demokratiſche Genoſſen an. Liſt ſelber
wollte ſo weit nicht gehen; unerſchöpflich in Einfällen und Plänen ſtellte
er jedoch die gefährliche Forderung auf, daß Baiern die Führung der
deutſchen Handelspolitik, dem Oriente und den Donauländern gegenüber,
übernehmen müſſe. Solcher Stimmungen konnte ſich die öſterreichiſche
Politik, wenn ſie klug und kühn verfuhr, leicht bemächtigen. Im Kaiſer-
ſtaate ſelbſt wurde das harte, durch frechen Schmuggel überall durchbrochene
Prohibitivſyſtem gründlich verabſcheut. Einzelne Unzufriedene verlangten
Anſchluß an den deutſchen Zollverein, am eifrigſten Graf Chotek, der
Oberſtburggraf von Böhmen; **) der Graf fand jedoch in ſeiner eigenen
*) S. o. IV. 724.
**) Canitz’s Bericht, 2. Sept. 1842.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/487>, abgerufen am 26.06.2024.
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