ein großer Vereinigter Landtag, eine Versammlung aller Provinzialstände einberufen werden. Ueber diesen letzteren Plan äußerte sich der König vorerst noch nicht, obwohl er ihn in der Stille unverbrüchlich fest hielt. Was er aber für die Huldigung beabsichtigte, das gab er schon zu An- fang Juli seinen Ministern kund, und sagte in seinem Handschreiben: er besitze noch nicht die Autorität und das Vertrauen, welche sein Vater sich einst durch eine lange, gesegnete Regierung erworben hätte, darum dürfe er die ständische Frage nicht unentschieden lassen. Auch Boyen, Voß, Leopold Gerlach nahmen theil an den Berathungen, die sich durch Wochen hinzogen und zumal den Prinzen von Preußen tief erregten.
Für den Vorschlag des Königs erklärte sich nur einer der Befragten, General Boyen. Der alte Kriegsmann sah voraus, daß die erwartungs- volle Stille im Volke nicht mehr lange anhalten konnte, und sagte in einer Denkschrift vom 8. August: "In einem solchen zweifelhaften Falle ist es die Hauptfrage: soll die Regierung sich drängen lassen oder die Initiative ergreifen?" Ueberdies erwartete er bestimmt einen neuen Krieg gegen Frankreich, und wie er schon im Jahre 1808 die Berufung einer Ständeversammlung angerathen hatte, um die Krone zum Kampfe gegen Napoleon zu stärken, so verlangte er auch jetzt, daß unsere bewaffnete Macht "geistig höher" stehen müsse als die Heerschaaren der Propaganda. Darum betrachtete er "diesen durch eine sonderbare Kette von Verhält- nissen herbeigeführten Gedanken eines ständischen Ausschusses ... als das beste und einfachste Mittel für unsere inneren und äußeren Staatsver- hältnisse. ... Kann Jemand noch ein besseres Mittel angeben, in Gottes Namen! Aber für die gesetzliche Lenkung des Volksgeistes muß etwas in Zeiten geschehen." In einem Begleitschreiben rief er dem Könige zu: "Wir stehen gegenwärtig am Rubicon, aber der Uebergang hat nicht wie bei Caesar die Zerstörung zum Zweck. Nein, das Zeil ist das muthige Erhalten und zeitgemäße Aufbauen der vaterländischen Einrichtungen. Dies ist die von der göttlichen Vorsehung Eurer Majestät zugewiesene Aufgabe."*) So klar der General das Ziel erkannte, ebenso schwer täuschte er sich über die Mittel und Wege. Eine Versammlung von 32 Provinzial- Abgeordneten war kein Reichstag, sondern nur ein ständischer Ausschuß, wie sie Boyen ja auch selbst nannte; durch eine so kümmerliche, fast spöttische Erfüllung des alten Königswortes konnten die Preußen weder befriedigt noch begeistert, sondern nur aufgereizt werden zur Forderung ihrer verbrieften Rechte. Diese Gefahr lag so nahe, daß selbst General Thile, der sich anfangs zu seinem Freunde Boyen gehalten hatte, bald bedenklich wurde, der Prinz von Preußen aber und die anderen Minister allesammt den Monarchen dringend warnten.
Dergestalt bewährte Friedrich Wilhelm jetzt schon seine verhängniß-
*) Boyen's Denkschrift nebst Begleitschreiben an den König, 8. Aug. 1840.
3*
Das Teſtament des alten Königs.
ein großer Vereinigter Landtag, eine Verſammlung aller Provinzialſtände einberufen werden. Ueber dieſen letzteren Plan äußerte ſich der König vorerſt noch nicht, obwohl er ihn in der Stille unverbrüchlich feſt hielt. Was er aber für die Huldigung beabſichtigte, das gab er ſchon zu An- fang Juli ſeinen Miniſtern kund, und ſagte in ſeinem Handſchreiben: er beſitze noch nicht die Autorität und das Vertrauen, welche ſein Vater ſich einſt durch eine lange, geſegnete Regierung erworben hätte, darum dürfe er die ſtändiſche Frage nicht unentſchieden laſſen. Auch Boyen, Voß, Leopold Gerlach nahmen theil an den Berathungen, die ſich durch Wochen hinzogen und zumal den Prinzen von Preußen tief erregten.
Für den Vorſchlag des Königs erklärte ſich nur einer der Befragten, General Boyen. Der alte Kriegsmann ſah voraus, daß die erwartungs- volle Stille im Volke nicht mehr lange anhalten konnte, und ſagte in einer Denkſchrift vom 8. Auguſt: „In einem ſolchen zweifelhaften Falle iſt es die Hauptfrage: ſoll die Regierung ſich drängen laſſen oder die Initiative ergreifen?“ Ueberdies erwartete er beſtimmt einen neuen Krieg gegen Frankreich, und wie er ſchon im Jahre 1808 die Berufung einer Ständeverſammlung angerathen hatte, um die Krone zum Kampfe gegen Napoleon zu ſtärken, ſo verlangte er auch jetzt, daß unſere bewaffnete Macht „geiſtig höher“ ſtehen müſſe als die Heerſchaaren der Propaganda. Darum betrachtete er „dieſen durch eine ſonderbare Kette von Verhält- niſſen herbeigeführten Gedanken eines ſtändiſchen Ausſchuſſes … als das beſte und einfachſte Mittel für unſere inneren und äußeren Staatsver- hältniſſe. … Kann Jemand noch ein beſſeres Mittel angeben, in Gottes Namen! Aber für die geſetzliche Lenkung des Volksgeiſtes muß etwas in Zeiten geſchehen.“ In einem Begleitſchreiben rief er dem Könige zu: „Wir ſtehen gegenwärtig am Rubicon, aber der Uebergang hat nicht wie bei Caeſar die Zerſtörung zum Zweck. Nein, das Zeil iſt das muthige Erhalten und zeitgemäße Aufbauen der vaterländiſchen Einrichtungen. Dies iſt die von der göttlichen Vorſehung Eurer Majeſtät zugewieſene Aufgabe.“*) So klar der General das Ziel erkannte, ebenſo ſchwer täuſchte er ſich über die Mittel und Wege. Eine Verſammlung von 32 Provinzial- Abgeordneten war kein Reichstag, ſondern nur ein ſtändiſcher Ausſchuß, wie ſie Boyen ja auch ſelbſt nannte; durch eine ſo kümmerliche, faſt ſpöttiſche Erfüllung des alten Königswortes konnten die Preußen weder befriedigt noch begeiſtert, ſondern nur aufgereizt werden zur Forderung ihrer verbrieften Rechte. Dieſe Gefahr lag ſo nahe, daß ſelbſt General Thile, der ſich anfangs zu ſeinem Freunde Boyen gehalten hatte, bald bedenklich wurde, der Prinz von Preußen aber und die anderen Miniſter alleſammt den Monarchen dringend warnten.
Dergeſtalt bewährte Friedrich Wilhelm jetzt ſchon ſeine verhängniß-
*) Boyen’s Denkſchrift nebſt Begleitſchreiben an den König, 8. Aug. 1840.
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Das Teſtament des alten Königs.
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einberufen werden. Ueber dieſen letzteren Plan äußerte ſich der König
vorerſt noch nicht, obwohl er ihn in der Stille unverbrüchlich feſt hielt.
Was er aber für die Huldigung beabſichtigte, das gab er ſchon zu An-
fang Juli ſeinen Miniſtern kund, und ſagte in ſeinem Handſchreiben: er
beſitze noch nicht die Autorität und das Vertrauen, welche ſein Vater ſich
einſt durch eine lange, geſegnete Regierung erworben hätte, darum dürfe
er die ſtändiſche Frage nicht unentſchieden laſſen. Auch Boyen, Voß,
Leopold Gerlach nahmen theil an den Berathungen, die ſich durch Wochen
hinzogen und zumal den Prinzen von Preußen tief erregten.
Für den Vorſchlag des Königs erklärte ſich nur einer der Befragten,
General Boyen. Der alte Kriegsmann ſah voraus, daß die erwartungs-
volle Stille im Volke nicht mehr lange anhalten konnte, und ſagte in
einer Denkſchrift vom 8. Auguſt: „In einem ſolchen zweifelhaften Falle
iſt es die Hauptfrage: ſoll die Regierung ſich drängen laſſen oder die
Initiative ergreifen?“ Ueberdies erwartete er beſtimmt einen neuen Krieg
gegen Frankreich, und wie er ſchon im Jahre 1808 die Berufung einer
Ständeverſammlung angerathen hatte, um die Krone zum Kampfe gegen
Napoleon zu ſtärken, ſo verlangte er auch jetzt, daß unſere bewaffnete
Macht „geiſtig höher“ ſtehen müſſe als die Heerſchaaren der Propaganda.
Darum betrachtete er „dieſen durch eine ſonderbare Kette von Verhält-
niſſen herbeigeführten Gedanken eines ſtändiſchen Ausſchuſſes … als das
beſte und einfachſte Mittel für unſere inneren und äußeren Staatsver-
hältniſſe. … Kann Jemand noch ein beſſeres Mittel angeben, in Gottes
Namen! Aber für die geſetzliche Lenkung des Volksgeiſtes muß etwas in
Zeiten geſchehen.“ In einem Begleitſchreiben rief er dem Könige zu:
„Wir ſtehen gegenwärtig am Rubicon, aber der Uebergang hat nicht wie
bei Caeſar die Zerſtörung zum Zweck. Nein, das Zeil iſt das muthige
Erhalten und zeitgemäße Aufbauen der vaterländiſchen Einrichtungen.
Dies iſt die von der göttlichen Vorſehung Eurer Majeſtät zugewieſene
Aufgabe.“ *) So klar der General das Ziel erkannte, ebenſo ſchwer täuſchte
er ſich über die Mittel und Wege. Eine Verſammlung von 32 Provinzial-
Abgeordneten war kein Reichstag, ſondern nur ein ſtändiſcher Ausſchuß,
wie ſie Boyen ja auch ſelbſt nannte; durch eine ſo kümmerliche, faſt
ſpöttiſche Erfüllung des alten Königswortes konnten die Preußen weder
befriedigt noch begeiſtert, ſondern nur aufgereizt werden zur Forderung
ihrer verbrieften Rechte. Dieſe Gefahr lag ſo nahe, daß ſelbſt General
Thile, der ſich anfangs zu ſeinem Freunde Boyen gehalten hatte, bald
bedenklich wurde, der Prinz von Preußen aber und die anderen Miniſter
alleſammt den Monarchen dringend warnten.
Dergeſtalt bewährte Friedrich Wilhelm jetzt ſchon ſeine verhängniß-
*) Boyen’s Denkſchrift nebſt Begleitſchreiben an den König, 8. Aug. 1840.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/49>, abgerufen am 21.11.2024.
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