V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthschaft.
Parteien das Verlangen nach nationaler Macht so stürmisch aus, daß sogar die selbstgenügsamen Hansen nicht umhin konnten, ihre patriotische Gesinnung irgendwie zu bethätigen. Schon im Jahre 1841 entwarf Bürgermeister Smidt von Bremen den Plan eines deutschen Schifffahrts- bundes, der allen deutschen und österreichischen Schiffen, dem Auslande gegenüber, eine gemeinsame Heimath (country) sichern sollte. Smidt legte seine Entwürfe dem preußischen Hofe und dem Fürsten Metternich persönlich vor. Um sie zu vertheidigen, bereiste sodann der hamburgische Bundesgesandte Karl Sieveking die deutschen Hauptstädte, ein treuer Patriot von hoher Bildung und ernster Frömmigkeit, der, mit Neander und Gene- ral Gerlach nahe befreundet, als Mitbegründer des Rauhen Hauses allen Kirchlichgesinnten theuer war.
Leider bewies Smidt's Denkschrift nur, wie doctrinär auch ein kluger Staatsmann künsteln kann sobald er sich scheut das Nothwendige zu wollen. Daß der Bundestag die nationale Schifffahrt nicht zu beschützen vermochte, stand längst außer allem Zweifel; ward aber neben dem Deutschen Bunde und neben dem Zollvereine noch ein Schifffahrtsbund errichtet, so ver- wirrte sich die deutsche Politik, die dem Auslande jetzt schon kaum ver- ständlich war, bis zum Unerträglichen. Und war es nicht eine naive Zumuthung, daß der Zollverein, der mit der einzigen Ausnahme Preußens nur aus Binnenstaaten bestand, durch seine Gesammtmacht der han- sischen Schifffahrt Begünstigungen verschaffen sollte -- ohne jede handels- politische Gegenleistung? Nun gar der Vorschlag, auch Oesterreich in den Schifffahrtsbund aufzunehmen erschien fast wie eine Bedrohung des Zoll- vereins selbst. Kurz und schlagend bemerkte Canitz: das einfache Mittel zur Begründung des Schifffahrtsbundes wäre der Eintritt der Hanse- städte in den Zollverein; aber dieser Unannehmlichkeit will man entgehen!*) Auch das preußische Auswärtige Amt wollte sich auf nichts einlassen, da Bülow noch auf den Anschluß der Nordseeküste hoffte; überdies, schrieb der Minister (28. März 1843), hat Preußen schon durchgesetzt, daß Eng- land die Vorhäfen im Wesentlichen wie die Zollvereinshäfen behandelt, "es ist hierdurch ein Theil gewonnen (und wir glauben so viel als das Bedürfniß erfordert) von demjenigen was der vorgeschlagene deutsche Schifffahrtsbund bezweckt."**)
Einige Jahre nachher (1845) nahm Rönne, der in immer neuen Entwürfen schwelgte, den also gescheiterten Plan wieder auf und verband damit den Vorschlag eines Differenzialzoll-Systems, wie es Arnim in seinem Testamente empfohlen hatte. Eine Denkschrift des preußischen Handels- amts verlangte, daß die deutschen Küstenstaaten zu einem Schifffahrts- bunde zusammenträten um die deutsche Schifffahrt zu begünstigen, das
*) Canitz's Berichte, März 1843.
**) Bülow, Weisung an Canitz, 28. März 1843.
V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthſchaft.
Parteien das Verlangen nach nationaler Macht ſo ſtürmiſch aus, daß ſogar die ſelbſtgenügſamen Hanſen nicht umhin konnten, ihre patriotiſche Geſinnung irgendwie zu bethätigen. Schon im Jahre 1841 entwarf Bürgermeiſter Smidt von Bremen den Plan eines deutſchen Schifffahrts- bundes, der allen deutſchen und öſterreichiſchen Schiffen, dem Auslande gegenüber, eine gemeinſame Heimath (country) ſichern ſollte. Smidt legte ſeine Entwürfe dem preußiſchen Hofe und dem Fürſten Metternich perſönlich vor. Um ſie zu vertheidigen, bereiſte ſodann der hamburgiſche Bundesgeſandte Karl Sieveking die deutſchen Hauptſtädte, ein treuer Patriot von hoher Bildung und ernſter Frömmigkeit, der, mit Neander und Gene- ral Gerlach nahe befreundet, als Mitbegründer des Rauhen Hauſes allen Kirchlichgeſinnten theuer war.
Leider bewies Smidt’s Denkſchrift nur, wie doctrinär auch ein kluger Staatsmann künſteln kann ſobald er ſich ſcheut das Nothwendige zu wollen. Daß der Bundestag die nationale Schifffahrt nicht zu beſchützen vermochte, ſtand längſt außer allem Zweifel; ward aber neben dem Deutſchen Bunde und neben dem Zollvereine noch ein Schifffahrtsbund errichtet, ſo ver- wirrte ſich die deutſche Politik, die dem Auslande jetzt ſchon kaum ver- ſtändlich war, bis zum Unerträglichen. Und war es nicht eine naive Zumuthung, daß der Zollverein, der mit der einzigen Ausnahme Preußens nur aus Binnenſtaaten beſtand, durch ſeine Geſammtmacht der han- ſiſchen Schifffahrt Begünſtigungen verſchaffen ſollte — ohne jede handels- politiſche Gegenleiſtung? Nun gar der Vorſchlag, auch Oeſterreich in den Schifffahrtsbund aufzunehmen erſchien faſt wie eine Bedrohung des Zoll- vereins ſelbſt. Kurz und ſchlagend bemerkte Canitz: das einfache Mittel zur Begründung des Schifffahrtsbundes wäre der Eintritt der Hanſe- ſtädte in den Zollverein; aber dieſer Unannehmlichkeit will man entgehen!*) Auch das preußiſche Auswärtige Amt wollte ſich auf nichts einlaſſen, da Bülow noch auf den Anſchluß der Nordſeeküſte hoffte; überdies, ſchrieb der Miniſter (28. März 1843), hat Preußen ſchon durchgeſetzt, daß Eng- land die Vorhäfen im Weſentlichen wie die Zollvereinshäfen behandelt, „es iſt hierdurch ein Theil gewonnen (und wir glauben ſo viel als das Bedürfniß erfordert) von demjenigen was der vorgeſchlagene deutſche Schifffahrtsbund bezweckt.“**)
Einige Jahre nachher (1845) nahm Rönne, der in immer neuen Entwürfen ſchwelgte, den alſo geſcheiterten Plan wieder auf und verband damit den Vorſchlag eines Differenzialzoll-Syſtems, wie es Arnim in ſeinem Teſtamente empfohlen hatte. Eine Denkſchrift des preußiſchen Handels- amts verlangte, daß die deutſchen Küſtenſtaaten zu einem Schifffahrts- bunde zuſammenträten um die deutſche Schifffahrt zu begünſtigen, das
*) Canitz’s Berichte, März 1843.
**) Bülow, Weiſung an Canitz, 28. März 1843.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0498"n="484"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">V.</hi> 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthſchaft.</fw><lb/>
Parteien das Verlangen nach nationaler Macht ſo ſtürmiſch aus, daß<lb/>ſogar die ſelbſtgenügſamen Hanſen nicht umhin konnten, ihre patriotiſche<lb/>
Geſinnung irgendwie zu bethätigen. Schon im Jahre 1841 entwarf<lb/>
Bürgermeiſter Smidt von Bremen den Plan eines deutſchen Schifffahrts-<lb/>
bundes, der allen deutſchen und öſterreichiſchen Schiffen, dem Auslande<lb/>
gegenüber, eine gemeinſame Heimath (<hirendition="#aq">country</hi>) ſichern ſollte. Smidt<lb/>
legte ſeine Entwürfe dem preußiſchen Hofe und dem Fürſten Metternich<lb/>
perſönlich vor. Um ſie zu vertheidigen, bereiſte ſodann der hamburgiſche<lb/>
Bundesgeſandte Karl Sieveking die deutſchen Hauptſtädte, ein treuer Patriot<lb/>
von hoher Bildung und ernſter Frömmigkeit, der, mit Neander und Gene-<lb/>
ral Gerlach nahe befreundet, als Mitbegründer des Rauhen Hauſes allen<lb/>
Kirchlichgeſinnten theuer war.</p><lb/><p>Leider bewies Smidt’s Denkſchrift nur, wie doctrinär auch ein kluger<lb/>
Staatsmann künſteln kann ſobald er ſich ſcheut das Nothwendige zu wollen.<lb/>
Daß der Bundestag die nationale Schifffahrt nicht zu beſchützen vermochte,<lb/>ſtand längſt außer allem Zweifel; ward aber neben dem Deutſchen Bunde<lb/>
und neben dem Zollvereine noch ein Schifffahrtsbund errichtet, ſo ver-<lb/>
wirrte ſich die deutſche Politik, die dem Auslande jetzt ſchon kaum ver-<lb/>ſtändlich war, bis zum Unerträglichen. Und war es nicht eine naive<lb/>
Zumuthung, daß der Zollverein, der mit der einzigen Ausnahme Preußens<lb/>
nur aus Binnenſtaaten beſtand, durch ſeine Geſammtmacht der han-<lb/>ſiſchen Schifffahrt Begünſtigungen verſchaffen ſollte — ohne jede handels-<lb/>
politiſche Gegenleiſtung? Nun gar der Vorſchlag, auch Oeſterreich in den<lb/>
Schifffahrtsbund aufzunehmen erſchien faſt wie eine Bedrohung des Zoll-<lb/>
vereins ſelbſt. Kurz und ſchlagend bemerkte Canitz: das einfache Mittel<lb/>
zur Begründung des Schifffahrtsbundes wäre der Eintritt der Hanſe-<lb/>ſtädte in den Zollverein; aber dieſer Unannehmlichkeit will man entgehen!<noteplace="foot"n="*)">Canitz’s Berichte, März 1843.</note><lb/>
Auch das preußiſche Auswärtige Amt wollte ſich auf nichts einlaſſen, da<lb/>
Bülow noch auf den Anſchluß der Nordſeeküſte hoffte; überdies, ſchrieb<lb/>
der Miniſter (28. März 1843), hat Preußen ſchon durchgeſetzt, daß Eng-<lb/>
land die Vorhäfen im Weſentlichen wie die Zollvereinshäfen behandelt,<lb/>„es iſt hierdurch ein Theil gewonnen (und wir glauben ſo viel als das<lb/>
Bedürfniß erfordert) von demjenigen was der vorgeſchlagene deutſche<lb/>
Schifffahrtsbund bezweckt.“<noteplace="foot"n="**)">Bülow, Weiſung an Canitz, 28. März 1843.</note></p><lb/><p>Einige Jahre nachher (1845) nahm Rönne, der in immer neuen<lb/>
Entwürfen ſchwelgte, den alſo geſcheiterten Plan wieder auf und verband<lb/>
damit den Vorſchlag eines Differenzialzoll-Syſtems, wie es Arnim in ſeinem<lb/>
Teſtamente empfohlen hatte. Eine Denkſchrift des preußiſchen Handels-<lb/>
amts verlangte, daß die deutſchen Küſtenſtaaten zu einem Schifffahrts-<lb/>
bunde zuſammenträten um die deutſche Schifffahrt zu begünſtigen, das<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[484/0498]
V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthſchaft.
Parteien das Verlangen nach nationaler Macht ſo ſtürmiſch aus, daß
ſogar die ſelbſtgenügſamen Hanſen nicht umhin konnten, ihre patriotiſche
Geſinnung irgendwie zu bethätigen. Schon im Jahre 1841 entwarf
Bürgermeiſter Smidt von Bremen den Plan eines deutſchen Schifffahrts-
bundes, der allen deutſchen und öſterreichiſchen Schiffen, dem Auslande
gegenüber, eine gemeinſame Heimath (country) ſichern ſollte. Smidt
legte ſeine Entwürfe dem preußiſchen Hofe und dem Fürſten Metternich
perſönlich vor. Um ſie zu vertheidigen, bereiſte ſodann der hamburgiſche
Bundesgeſandte Karl Sieveking die deutſchen Hauptſtädte, ein treuer Patriot
von hoher Bildung und ernſter Frömmigkeit, der, mit Neander und Gene-
ral Gerlach nahe befreundet, als Mitbegründer des Rauhen Hauſes allen
Kirchlichgeſinnten theuer war.
Leider bewies Smidt’s Denkſchrift nur, wie doctrinär auch ein kluger
Staatsmann künſteln kann ſobald er ſich ſcheut das Nothwendige zu wollen.
Daß der Bundestag die nationale Schifffahrt nicht zu beſchützen vermochte,
ſtand längſt außer allem Zweifel; ward aber neben dem Deutſchen Bunde
und neben dem Zollvereine noch ein Schifffahrtsbund errichtet, ſo ver-
wirrte ſich die deutſche Politik, die dem Auslande jetzt ſchon kaum ver-
ſtändlich war, bis zum Unerträglichen. Und war es nicht eine naive
Zumuthung, daß der Zollverein, der mit der einzigen Ausnahme Preußens
nur aus Binnenſtaaten beſtand, durch ſeine Geſammtmacht der han-
ſiſchen Schifffahrt Begünſtigungen verſchaffen ſollte — ohne jede handels-
politiſche Gegenleiſtung? Nun gar der Vorſchlag, auch Oeſterreich in den
Schifffahrtsbund aufzunehmen erſchien faſt wie eine Bedrohung des Zoll-
vereins ſelbſt. Kurz und ſchlagend bemerkte Canitz: das einfache Mittel
zur Begründung des Schifffahrtsbundes wäre der Eintritt der Hanſe-
ſtädte in den Zollverein; aber dieſer Unannehmlichkeit will man entgehen! *)
Auch das preußiſche Auswärtige Amt wollte ſich auf nichts einlaſſen, da
Bülow noch auf den Anſchluß der Nordſeeküſte hoffte; überdies, ſchrieb
der Miniſter (28. März 1843), hat Preußen ſchon durchgeſetzt, daß Eng-
land die Vorhäfen im Weſentlichen wie die Zollvereinshäfen behandelt,
„es iſt hierdurch ein Theil gewonnen (und wir glauben ſo viel als das
Bedürfniß erfordert) von demjenigen was der vorgeſchlagene deutſche
Schifffahrtsbund bezweckt.“ **)
Einige Jahre nachher (1845) nahm Rönne, der in immer neuen
Entwürfen ſchwelgte, den alſo geſcheiterten Plan wieder auf und verband
damit den Vorſchlag eines Differenzialzoll-Syſtems, wie es Arnim in ſeinem
Teſtamente empfohlen hatte. Eine Denkſchrift des preußiſchen Handels-
amts verlangte, daß die deutſchen Küſtenſtaaten zu einem Schifffahrts-
bunde zuſammenträten um die deutſche Schifffahrt zu begünſtigen, das
*) Canitz’s Berichte, März 1843.
**) Bülow, Weiſung an Canitz, 28. März 1843.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/498>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.