Ausland durch kräftige Retorsionen zur Milderung seiner Schifffahrts- gesetze zu nöthigen und also die allgemeine Handelsfreiheit vorzubereiten. Freudig ging König Friedrich Wilhelm auf Rönne's Vorschläge ein; sein allezeit begeisterter Bunsen meinte schon, dieser Schifffahrtsbund würde die Briten zur Aufhebung der Navigations-Akte zwingen.*) In den Hansestädten vertrat der Bremische Senator Duckwitz die patriotischen Gedanken mit schönem Eifer; auch durch eine veröffentlichte Denkschrift vertheidigte er Rönne's Pläne. Obgleich er selbst weiter blickte als seine Mitbürger, so konnte er sich doch nicht verbergen, daß die Hansen dem Zollvereine so bald nicht beitreten würden, und schrieb also an List beschwichtigend: die Schifffahrtssache sei viel wichtiger als "der elende Hader über Zoll- anschluß". Auf diesen elenden Zollanschluß kam aber schlechterdings Alles an; denn so lange die Nordseeküste sich der nationalen Zollgemeinschaft versagte schwebte der Schifffahrtsbund in der Luft. Mit vollem Rechte erwiderten Kühne, Beuth und die anderen erfahrenen Geschäftsmänner des Finanzministeriums: ein solcher Bund könnte höchstens die deutschen Schiffe einander gleichstellen, nicht aber ihre Ladungen, und dies sei doch das Wesentliche. Zudem hatte der Zollverein bisher alle Unterscheidungs- zölle verschmäht; der Gefahr feindseliger Retorsionen, welche ein Diffe- renzialzoll-System immer in sich birgt, konnte er sich doch nur aussetzen, wenn die Vorhäfen ihm wirklich gehorchten.
Trotz dieser augenfälligen Bedenken verfolgte Rönne seine Pläne weiter; der Zwiespalt in der Leitung der preußischen Handelspolitik zeigte sich grell. Im Jahre 1847 verhandelte Geh. Rath v. Patow deshalb zu Bremen mit Duckwitz und jenem Hannoveraner Witte, den man erst kürzlich wegen grober Feindseligkeit aus Berlin hatte ausweisen müssen. Er versicherte mit warmen Worten, sein König wünschte durch den Schifffahrtsbund "das Princip der deutschen Einheit" zu sichern. Doch mit löblicher Gesinnung allein ließ sich die harte Geschäftssache nicht bewältigen, schließlich scheiterte Alles an dem entschiedenen Widerspruche Hamburgs. Die Senatoren Kirchen- pauer und Geffcken entwarfen eine gründliche Denkschrift über "das Diffe- renzialzoll-System", die alsbald gedruckt und von der Freihandelspartei mit Jubel begrüßt wurde. Siegreich in der Kritik, wies sie nach, daß Ham- burgs Zwischenhandel, wie er war, Unterscheidungszölle in der That nicht ertragen konnte. Irgend einen Gegenvorschlag zum Schutze der deutschen Schifffahrt boten die Hamburger freilich nicht, denn nach ihrer Meinung war die schimpfliche Anarchie an unserer Nordseeküste ein beneidenswerther Zustand des "Freihandels"; und frohlockend verkündete Prince Smith im Berliner Freihandelsvereine, daß wieder einmal nichts zu Stande ge- kommen war.
Mittlerweile hatte die preußische Regierung in London sehr nachdrück-
*) Bunsen's Berichte, 31. Juli 1846, 11. Aug. 1847 ff.
Deutſcher Schifffahrtsbund.
Ausland durch kräftige Retorſionen zur Milderung ſeiner Schifffahrts- geſetze zu nöthigen und alſo die allgemeine Handelsfreiheit vorzubereiten. Freudig ging König Friedrich Wilhelm auf Rönne’s Vorſchläge ein; ſein allezeit begeiſterter Bunſen meinte ſchon, dieſer Schifffahrtsbund würde die Briten zur Aufhebung der Navigations-Akte zwingen.*) In den Hanſeſtädten vertrat der Bremiſche Senator Duckwitz die patriotiſchen Gedanken mit ſchönem Eifer; auch durch eine veröffentlichte Denkſchrift vertheidigte er Rönne’s Pläne. Obgleich er ſelbſt weiter blickte als ſeine Mitbürger, ſo konnte er ſich doch nicht verbergen, daß die Hanſen dem Zollvereine ſo bald nicht beitreten würden, und ſchrieb alſo an Liſt beſchwichtigend: die Schifffahrtsſache ſei viel wichtiger als „der elende Hader über Zoll- anſchluß“. Auf dieſen elenden Zollanſchluß kam aber ſchlechterdings Alles an; denn ſo lange die Nordſeeküſte ſich der nationalen Zollgemeinſchaft verſagte ſchwebte der Schifffahrtsbund in der Luft. Mit vollem Rechte erwiderten Kühne, Beuth und die anderen erfahrenen Geſchäftsmänner des Finanzminiſteriums: ein ſolcher Bund könnte höchſtens die deutſchen Schiffe einander gleichſtellen, nicht aber ihre Ladungen, und dies ſei doch das Weſentliche. Zudem hatte der Zollverein bisher alle Unterſcheidungs- zölle verſchmäht; der Gefahr feindſeliger Retorſionen, welche ein Diffe- renzialzoll-Syſtem immer in ſich birgt, konnte er ſich doch nur ausſetzen, wenn die Vorhäfen ihm wirklich gehorchten.
Trotz dieſer augenfälligen Bedenken verfolgte Rönne ſeine Pläne weiter; der Zwieſpalt in der Leitung der preußiſchen Handelspolitik zeigte ſich grell. Im Jahre 1847 verhandelte Geh. Rath v. Patow deshalb zu Bremen mit Duckwitz und jenem Hannoveraner Witte, den man erſt kürzlich wegen grober Feindſeligkeit aus Berlin hatte ausweiſen müſſen. Er verſicherte mit warmen Worten, ſein König wünſchte durch den Schifffahrtsbund „das Princip der deutſchen Einheit“ zu ſichern. Doch mit löblicher Geſinnung allein ließ ſich die harte Geſchäftsſache nicht bewältigen, ſchließlich ſcheiterte Alles an dem entſchiedenen Widerſpruche Hamburgs. Die Senatoren Kirchen- pauer und Geffcken entwarfen eine gründliche Denkſchrift über „das Diffe- renzialzoll-Syſtem“, die alsbald gedruckt und von der Freihandelspartei mit Jubel begrüßt wurde. Siegreich in der Kritik, wies ſie nach, daß Ham- burgs Zwiſchenhandel, wie er war, Unterſcheidungszölle in der That nicht ertragen konnte. Irgend einen Gegenvorſchlag zum Schutze der deutſchen Schifffahrt boten die Hamburger freilich nicht, denn nach ihrer Meinung war die ſchimpfliche Anarchie an unſerer Nordſeeküſte ein beneidenswerther Zuſtand des „Freihandels“; und frohlockend verkündete Prince Smith im Berliner Freihandelsvereine, daß wieder einmal nichts zu Stande ge- kommen war.
Mittlerweile hatte die preußiſche Regierung in London ſehr nachdrück-
*) Bunſen’s Berichte, 31. Juli 1846, 11. Aug. 1847 ff.
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Deutſcher Schifffahrtsbund.
Ausland durch kräftige Retorſionen zur Milderung ſeiner Schifffahrts-
geſetze zu nöthigen und alſo die allgemeine Handelsfreiheit vorzubereiten.
Freudig ging König Friedrich Wilhelm auf Rönne’s Vorſchläge ein; ſein
allezeit begeiſterter Bunſen meinte ſchon, dieſer Schifffahrtsbund würde die
Briten zur Aufhebung der Navigations-Akte zwingen. *) In den Hanſeſtädten
vertrat der Bremiſche Senator Duckwitz die patriotiſchen Gedanken mit
ſchönem Eifer; auch durch eine veröffentlichte Denkſchrift vertheidigte er
Rönne’s Pläne. Obgleich er ſelbſt weiter blickte als ſeine Mitbürger, ſo
konnte er ſich doch nicht verbergen, daß die Hanſen dem Zollvereine ſo
bald nicht beitreten würden, und ſchrieb alſo an Liſt beſchwichtigend:
die Schifffahrtsſache ſei viel wichtiger als „der elende Hader über Zoll-
anſchluß“. Auf dieſen elenden Zollanſchluß kam aber ſchlechterdings Alles
an; denn ſo lange die Nordſeeküſte ſich der nationalen Zollgemeinſchaft
verſagte ſchwebte der Schifffahrtsbund in der Luft. Mit vollem Rechte
erwiderten Kühne, Beuth und die anderen erfahrenen Geſchäftsmänner
des Finanzminiſteriums: ein ſolcher Bund könnte höchſtens die deutſchen
Schiffe einander gleichſtellen, nicht aber ihre Ladungen, und dies ſei doch
das Weſentliche. Zudem hatte der Zollverein bisher alle Unterſcheidungs-
zölle verſchmäht; der Gefahr feindſeliger Retorſionen, welche ein Diffe-
renzialzoll-Syſtem immer in ſich birgt, konnte er ſich doch nur ausſetzen,
wenn die Vorhäfen ihm wirklich gehorchten.
Trotz dieſer augenfälligen Bedenken verfolgte Rönne ſeine Pläne weiter;
der Zwieſpalt in der Leitung der preußiſchen Handelspolitik zeigte ſich grell.
Im Jahre 1847 verhandelte Geh. Rath v. Patow deshalb zu Bremen mit
Duckwitz und jenem Hannoveraner Witte, den man erſt kürzlich wegen grober
Feindſeligkeit aus Berlin hatte ausweiſen müſſen. Er verſicherte mit warmen
Worten, ſein König wünſchte durch den Schifffahrtsbund „das Princip
der deutſchen Einheit“ zu ſichern. Doch mit löblicher Geſinnung allein
ließ ſich die harte Geſchäftsſache nicht bewältigen, ſchließlich ſcheiterte Alles
an dem entſchiedenen Widerſpruche Hamburgs. Die Senatoren Kirchen-
pauer und Geffcken entwarfen eine gründliche Denkſchrift über „das Diffe-
renzialzoll-Syſtem“, die alsbald gedruckt und von der Freihandelspartei mit
Jubel begrüßt wurde. Siegreich in der Kritik, wies ſie nach, daß Ham-
burgs Zwiſchenhandel, wie er war, Unterſcheidungszölle in der That nicht
ertragen konnte. Irgend einen Gegenvorſchlag zum Schutze der deutſchen
Schifffahrt boten die Hamburger freilich nicht, denn nach ihrer Meinung
war die ſchimpfliche Anarchie an unſerer Nordſeeküſte ein beneidenswerther
Zuſtand des „Freihandels“; und frohlockend verkündete Prince Smith im
Berliner Freihandelsvereine, daß wieder einmal nichts zu Stande ge-
kommen war.
Mittlerweile hatte die preußiſche Regierung in London ſehr nachdrück-
*) Bunſen’s Berichte, 31. Juli 1846, 11. Aug. 1847 ff.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/499>, abgerufen am 26.06.2024.
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