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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Prinz Adalbert. Amazone.
Eltern, des Prinzen Wilhelm und der frommen Prinzessin Marianne
heranwuchs, da erzählte ihm ein Spielgefährte, Graf v. d. Gröben oft-
mals von den Thaten seines Ahnherrn, des afrikanischen Helden der
Kurbrandenburger; auch der befreundete Nachbar Feldmarschall Gneisenau
sprach gern von seinen amerikanischen Wanderfahrten. Seitdem träumte
der feurige wagelustige Prinz von der weiten Ferne. Dann unternahm er
große Seereisen, als Gast an Bord englischer, russischer, sardinischer Kriegs-
schiffe, und lebte sich in den Beruf des Seemanns ein. Er lernte die Welt
kennen und begriff, wie eng das binnenländische Leben seiner Heimath war.
Für ein wachsendes Volk -- so wiederholte er oft -- kein Wohlstand ohne
Ausbreitung, keine Ausbreitung ohne überseeische Politik, keine überseeische
Politik ohne Flotte. Von Halbheiten wollte er jedoch nichts wissen; viel-
mehr sagte er voraus, daß eine kleine Flotte den großen Seestaaten wie
eine aufreizende Anmaßung erscheinen würde; wolle man den kühnen
Wurf wagen, dann müsse Deutschlands Seemacht bald stark genug werden
um sich zur Schlacht auf die hohe See hinauszuwagen. Solchen Plänen
seines jugendlichen Vetters hörte der König gern zu, aber die Bedenken
der Minister vermochte er nicht zu besiegen. Zunächst befahl er nur (1842)
den Bau des ersten königlich preußischen Kriegsschiffs, der Corvette Amazone,
die befehligt von dem dänischen Capitän Dirckinck-Holmfeld, zur Einübung
der Navigationsschüler häufig die Ostsee, zuweilen auch den Ocean befuhr.
Dies war, außer einigen königlichen Postdampfern in der Ostsee, vor-
läufig Alles, was den Namen einer deutschen Marine verdiente; denn
Jedermann wußte, daß Oesterreichs Flotte, die Erbin Venedigs den Zwecken
deutscher Politik niemals dienen konnte. Sehnsüchtig wiederholten die Pa-
trioten die Klage aus Freiligrath's "Flottenträumen":

Sprach irgendwo in Deutschland eine Tanne:
O könnt' ich hoch als deutscher Kriegsmast ragen!
O könnt' ich stolz die junge Flagge tragen
Des ein'gen Deutschlands in der Nordsee Banne! --

Wie dringend Deutschland einer Seemacht bedurfte, das ward grade
jetzt sehr schmerzlich empfunden, da die anhaltende Auswanderung, die
dem Vaterlande so ganz verloren ging, in weiten Kreisen das Verlangen
nach deutschen Kolonien erweckte. Bunsen sprach darüber oft mit seinen
englischen Freunden. Unermüdlich ließ er seine politischen Seifenblasen
in die geduldige Luft steigen, Peel und Aberdeen standen freundlich lächelnd
dabei, hielten ihm das Seifenbecken und schlugen den Schaum. Sobald
sich das Gerücht von einer deutschen Nationalflagge verbreitete, sagte Aber-
deen zärtlich: das ist ein ausgezeichneter Gedanke; Englands Interesse
verlangt, daß sich zwischen der britischen und der französischen Marine
einige Zwischen-Seemächte (des marines intermediaires) bilden.*) Als
Bunsen aber den leitenden Minister unschuldig fragte, ob England eine

*) Bunsen's Bericht, 20. Juni 1843.

Prinz Adalbert. Amazone.
Eltern, des Prinzen Wilhelm und der frommen Prinzeſſin Marianne
heranwuchs, da erzählte ihm ein Spielgefährte, Graf v. d. Gröben oft-
mals von den Thaten ſeines Ahnherrn, des afrikaniſchen Helden der
Kurbrandenburger; auch der befreundete Nachbar Feldmarſchall Gneiſenau
ſprach gern von ſeinen amerikaniſchen Wanderfahrten. Seitdem träumte
der feurige wageluſtige Prinz von der weiten Ferne. Dann unternahm er
große Seereiſen, als Gaſt an Bord engliſcher, ruſſiſcher, ſardiniſcher Kriegs-
ſchiffe, und lebte ſich in den Beruf des Seemanns ein. Er lernte die Welt
kennen und begriff, wie eng das binnenländiſche Leben ſeiner Heimath war.
Für ein wachſendes Volk — ſo wiederholte er oft — kein Wohlſtand ohne
Ausbreitung, keine Ausbreitung ohne überſeeiſche Politik, keine überſeeiſche
Politik ohne Flotte. Von Halbheiten wollte er jedoch nichts wiſſen; viel-
mehr ſagte er voraus, daß eine kleine Flotte den großen Seeſtaaten wie
eine aufreizende Anmaßung erſcheinen würde; wolle man den kühnen
Wurf wagen, dann müſſe Deutſchlands Seemacht bald ſtark genug werden
um ſich zur Schlacht auf die hohe See hinauszuwagen. Solchen Plänen
ſeines jugendlichen Vetters hörte der König gern zu, aber die Bedenken
der Miniſter vermochte er nicht zu beſiegen. Zunächſt befahl er nur (1842)
den Bau des erſten königlich preußiſchen Kriegsſchiffs, der Corvette Amazone,
die befehligt von dem däniſchen Capitän Dirckinck-Holmfeld, zur Einübung
der Navigationsſchüler häufig die Oſtſee, zuweilen auch den Ocean befuhr.
Dies war, außer einigen königlichen Poſtdampfern in der Oſtſee, vor-
läufig Alles, was den Namen einer deutſchen Marine verdiente; denn
Jedermann wußte, daß Oeſterreichs Flotte, die Erbin Venedigs den Zwecken
deutſcher Politik niemals dienen konnte. Sehnſüchtig wiederholten die Pa-
trioten die Klage aus Freiligrath’s „Flottenträumen“:

Sprach irgendwo in Deutſchland eine Tanne:
O könnt’ ich hoch als deutſcher Kriegsmaſt ragen!
O könnt’ ich ſtolz die junge Flagge tragen
Des ein’gen Deutſchlands in der Nordſee Banne! —

Wie dringend Deutſchland einer Seemacht bedurfte, das ward grade
jetzt ſehr ſchmerzlich empfunden, da die anhaltende Auswanderung, die
dem Vaterlande ſo ganz verloren ging, in weiten Kreiſen das Verlangen
nach deutſchen Kolonien erweckte. Bunſen ſprach darüber oft mit ſeinen
engliſchen Freunden. Unermüdlich ließ er ſeine politiſchen Seifenblaſen
in die geduldige Luft ſteigen, Peel und Aberdeen ſtanden freundlich lächelnd
dabei, hielten ihm das Seifenbecken und ſchlugen den Schaum. Sobald
ſich das Gerücht von einer deutſchen Nationalflagge verbreitete, ſagte Aber-
deen zärtlich: das iſt ein ausgezeichneter Gedanke; Englands Intereſſe
verlangt, daß ſich zwiſchen der britiſchen und der franzöſiſchen Marine
einige Zwiſchen-Seemächte (des marines intermédiaires) bilden.*) Als
Bunſen aber den leitenden Miniſter unſchuldig fragte, ob England eine

*) Bunſen’s Bericht, 20. Juni 1843.
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[489/0503] Prinz Adalbert. Amazone. Eltern, des Prinzen Wilhelm und der frommen Prinzeſſin Marianne heranwuchs, da erzählte ihm ein Spielgefährte, Graf v. d. Gröben oft- mals von den Thaten ſeines Ahnherrn, des afrikaniſchen Helden der Kurbrandenburger; auch der befreundete Nachbar Feldmarſchall Gneiſenau ſprach gern von ſeinen amerikaniſchen Wanderfahrten. Seitdem träumte der feurige wageluſtige Prinz von der weiten Ferne. Dann unternahm er große Seereiſen, als Gaſt an Bord engliſcher, ruſſiſcher, ſardiniſcher Kriegs- ſchiffe, und lebte ſich in den Beruf des Seemanns ein. Er lernte die Welt kennen und begriff, wie eng das binnenländiſche Leben ſeiner Heimath war. Für ein wachſendes Volk — ſo wiederholte er oft — kein Wohlſtand ohne Ausbreitung, keine Ausbreitung ohne überſeeiſche Politik, keine überſeeiſche Politik ohne Flotte. Von Halbheiten wollte er jedoch nichts wiſſen; viel- mehr ſagte er voraus, daß eine kleine Flotte den großen Seeſtaaten wie eine aufreizende Anmaßung erſcheinen würde; wolle man den kühnen Wurf wagen, dann müſſe Deutſchlands Seemacht bald ſtark genug werden um ſich zur Schlacht auf die hohe See hinauszuwagen. Solchen Plänen ſeines jugendlichen Vetters hörte der König gern zu, aber die Bedenken der Miniſter vermochte er nicht zu beſiegen. Zunächſt befahl er nur (1842) den Bau des erſten königlich preußiſchen Kriegsſchiffs, der Corvette Amazone, die befehligt von dem däniſchen Capitän Dirckinck-Holmfeld, zur Einübung der Navigationsſchüler häufig die Oſtſee, zuweilen auch den Ocean befuhr. Dies war, außer einigen königlichen Poſtdampfern in der Oſtſee, vor- läufig Alles, was den Namen einer deutſchen Marine verdiente; denn Jedermann wußte, daß Oeſterreichs Flotte, die Erbin Venedigs den Zwecken deutſcher Politik niemals dienen konnte. Sehnſüchtig wiederholten die Pa- trioten die Klage aus Freiligrath’s „Flottenträumen“: Sprach irgendwo in Deutſchland eine Tanne: O könnt’ ich hoch als deutſcher Kriegsmaſt ragen! O könnt’ ich ſtolz die junge Flagge tragen Des ein’gen Deutſchlands in der Nordſee Banne! — Wie dringend Deutſchland einer Seemacht bedurfte, das ward grade jetzt ſehr ſchmerzlich empfunden, da die anhaltende Auswanderung, die dem Vaterlande ſo ganz verloren ging, in weiten Kreiſen das Verlangen nach deutſchen Kolonien erweckte. Bunſen ſprach darüber oft mit ſeinen engliſchen Freunden. Unermüdlich ließ er ſeine politiſchen Seifenblaſen in die geduldige Luft ſteigen, Peel und Aberdeen ſtanden freundlich lächelnd dabei, hielten ihm das Seifenbecken und ſchlugen den Schaum. Sobald ſich das Gerücht von einer deutſchen Nationalflagge verbreitete, ſagte Aber- deen zärtlich: das iſt ein ausgezeichneter Gedanke; Englands Intereſſe verlangt, daß ſich zwiſchen der britiſchen und der franzöſiſchen Marine einige Zwiſchen-Seemächte (des marines intermédiaires) bilden. *) Als Bunſen aber den leitenden Miniſter unſchuldig fragte, ob England eine *) Bunſen’s Bericht, 20. Juni 1843.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/503>, abgerufen am 22.11.2024.