V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthschaft.
seiner Kolonien an Deutschland abtreten könne um den Gefahren unserer Uebervölkerung abzuhelfen, da erwiderte Peel: das ließe sich schwer aus- führen; warum wolle Deutschland nicht lieber Puerto Rico erwerben? Diese Insel war freilich viel zu klein, ihr tropisches Klima auch für starke europäische Ansiedlungen ganz ungeeignet; sie besaß jedoch den großen Vorzug, daß sie der Krone Spanien gehörte, die englische Großmuth konnte sie mithin ohne schmerzliche Unkosten den Deutschen anbieten.
Aus diesem Gewoge nebelhafter Entwürfe tauchte doch einmal ein Plan auf, der nicht völlig aussichtslos schien. Californien, das wüste Land an der Südsee, dessen Goldschätze damals noch Niemand ahnte, war zur Zeit fast herrenlos, die bankrotte Republik Mexiko schien nicht abgeneigt, das werth- lose Besitzthum für mäßigen Preis zu veräußern. Was konnte den ideen- reichen Köpfen Rönne's und Bunsen's willkommener sein? Beide hofften dies californische Land für Preußen zu erwerben und in der Bai von San Francisco einen großen Freihafen zu gründen. Aberdeen zeigte sich wieder sehr großmüthig; er stimmte fröhlich zu und fragte, ob Preußen nicht gleich weiter nördlich ausgreifen und das Gebiet von Oregon dazu erwerben wolle. Allerdings mußte Bunsen wissen, daß die Vereinigten Staaten, nach der Monroe-Doctrin, eine europäische Kolonie auf ihrem Continente nicht dulden würden; er erfuhr sogar aus dem eigenen Munde des amerikanischen Staats- secretärs Mac Lane, daß die Unions-Regierung ernstlich beabsichtigte, die Wirren in Mittelamerika zu benutzen um ihr eigenes Gebiet bis zur Meerenge von Panama auszudehnen. Trotzdem war die Erwerbung Cali- forniens nicht ganz undenkbar, wenn Preußen sich insgeheim mit Mexiko verständigte und -- seine Kolonie durch eine Seemacht beschützte! Auch dafür wußte Bunsen Rath; wann wäre er je um einen Einfall verlegen gewesen? Dänemark, der Todfeind der alten Hansa, der Unterdrücker des Deutschthums in Schleswig, war doch Mitglied des Deutschen Bundes und konnte die Kosten seiner Flotte nur schwer erschwingen. Weßhalb sollte also der Dänenkönig nicht Großadmiral der neuen Hansa, des Zollver- eins werden und als solcher die preußische Kolonie Californien mit seinem Danebrog vertheidigen? Dann genügten ein oder zwei preußische Bataillone um das Land im Innern zu sichern. Diese Vorschläge entwickelte der preußische Gesandte seinem Amtsgenossen, dem Grafen Reventlow, einem eifrigen Dänen, der insgeheim den englischen Hof für die Vernichtung der Selbständigkeit Schleswigholsteins zu gewinnen suchte, doch mit Bunsen nahe befreundet war und auch jetzt die zärtlichen Worte nicht sparte. Das Auswärtige Amt aber konnte nicht umhin, die Berichte des er- findungsreichen Diplomaten am Rande mit einigen großen Fragezeichen zu schmücken, und Bunsen fühlte sich tief bekümmert, als seine Ideen von dem natürlichen Tode aller Seifenblasen ereilt wurden.*)
*) Bunsen's Berichte, 25. Aug. 1842, 30. Juli 1844, 5. März 1845, 18. Aug. 1846.
V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthſchaft.
ſeiner Kolonien an Deutſchland abtreten könne um den Gefahren unſerer Uebervölkerung abzuhelfen, da erwiderte Peel: das ließe ſich ſchwer aus- führen; warum wolle Deutſchland nicht lieber Puerto Rico erwerben? Dieſe Inſel war freilich viel zu klein, ihr tropiſches Klima auch für ſtarke europäiſche Anſiedlungen ganz ungeeignet; ſie beſaß jedoch den großen Vorzug, daß ſie der Krone Spanien gehörte, die engliſche Großmuth konnte ſie mithin ohne ſchmerzliche Unkoſten den Deutſchen anbieten.
Aus dieſem Gewoge nebelhafter Entwürfe tauchte doch einmal ein Plan auf, der nicht völlig ausſichtslos ſchien. Californien, das wüſte Land an der Südſee, deſſen Goldſchätze damals noch Niemand ahnte, war zur Zeit faſt herrenlos, die bankrotte Republik Mexiko ſchien nicht abgeneigt, das werth- loſe Beſitzthum für mäßigen Preis zu veräußern. Was konnte den ideen- reichen Köpfen Rönne’s und Bunſen’s willkommener ſein? Beide hofften dies californiſche Land für Preußen zu erwerben und in der Bai von San Francisco einen großen Freihafen zu gründen. Aberdeen zeigte ſich wieder ſehr großmüthig; er ſtimmte fröhlich zu und fragte, ob Preußen nicht gleich weiter nördlich ausgreifen und das Gebiet von Oregon dazu erwerben wolle. Allerdings mußte Bunſen wiſſen, daß die Vereinigten Staaten, nach der Monroe-Doctrin, eine europäiſche Kolonie auf ihrem Continente nicht dulden würden; er erfuhr ſogar aus dem eigenen Munde des amerikaniſchen Staats- ſecretärs Mac Lane, daß die Unions-Regierung ernſtlich beabſichtigte, die Wirren in Mittelamerika zu benutzen um ihr eigenes Gebiet bis zur Meerenge von Panama auszudehnen. Trotzdem war die Erwerbung Cali- forniens nicht ganz undenkbar, wenn Preußen ſich insgeheim mit Mexiko verſtändigte und — ſeine Kolonie durch eine Seemacht beſchützte! Auch dafür wußte Bunſen Rath; wann wäre er je um einen Einfall verlegen geweſen? Dänemark, der Todfeind der alten Hanſa, der Unterdrücker des Deutſchthums in Schleswig, war doch Mitglied des Deutſchen Bundes und konnte die Koſten ſeiner Flotte nur ſchwer erſchwingen. Weßhalb ſollte alſo der Dänenkönig nicht Großadmiral der neuen Hanſa, des Zollver- eins werden und als ſolcher die preußiſche Kolonie Californien mit ſeinem Danebrog vertheidigen? Dann genügten ein oder zwei preußiſche Bataillone um das Land im Innern zu ſichern. Dieſe Vorſchläge entwickelte der preußiſche Geſandte ſeinem Amtsgenoſſen, dem Grafen Reventlow, einem eifrigen Dänen, der insgeheim den engliſchen Hof für die Vernichtung der Selbſtändigkeit Schleswigholſteins zu gewinnen ſuchte, doch mit Bunſen nahe befreundet war und auch jetzt die zärtlichen Worte nicht ſparte. Das Auswärtige Amt aber konnte nicht umhin, die Berichte des er- findungsreichen Diplomaten am Rande mit einigen großen Fragezeichen zu ſchmücken, und Bunſen fühlte ſich tief bekümmert, als ſeine Ideen von dem natürlichen Tode aller Seifenblaſen ereilt wurden.*)
*) Bunſen’s Berichte, 25. Aug. 1842, 30. Juli 1844, 5. März 1845, 18. Aug. 1846.
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V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthſchaft.
ſeiner Kolonien an Deutſchland abtreten könne um den Gefahren unſerer
Uebervölkerung abzuhelfen, da erwiderte Peel: das ließe ſich ſchwer aus-
führen; warum wolle Deutſchland nicht lieber Puerto Rico erwerben?
Dieſe Inſel war freilich viel zu klein, ihr tropiſches Klima auch für ſtarke
europäiſche Anſiedlungen ganz ungeeignet; ſie beſaß jedoch den großen
Vorzug, daß ſie der Krone Spanien gehörte, die engliſche Großmuth konnte
ſie mithin ohne ſchmerzliche Unkoſten den Deutſchen anbieten.
Aus dieſem Gewoge nebelhafter Entwürfe tauchte doch einmal ein Plan
auf, der nicht völlig ausſichtslos ſchien. Californien, das wüſte Land an der
Südſee, deſſen Goldſchätze damals noch Niemand ahnte, war zur Zeit faſt
herrenlos, die bankrotte Republik Mexiko ſchien nicht abgeneigt, das werth-
loſe Beſitzthum für mäßigen Preis zu veräußern. Was konnte den ideen-
reichen Köpfen Rönne’s und Bunſen’s willkommener ſein? Beide hofften
dies californiſche Land für Preußen zu erwerben und in der Bai von San
Francisco einen großen Freihafen zu gründen. Aberdeen zeigte ſich wieder
ſehr großmüthig; er ſtimmte fröhlich zu und fragte, ob Preußen nicht gleich
weiter nördlich ausgreifen und das Gebiet von Oregon dazu erwerben wolle.
Allerdings mußte Bunſen wiſſen, daß die Vereinigten Staaten, nach der
Monroe-Doctrin, eine europäiſche Kolonie auf ihrem Continente nicht dulden
würden; er erfuhr ſogar aus dem eigenen Munde des amerikaniſchen Staats-
ſecretärs Mac Lane, daß die Unions-Regierung ernſtlich beabſichtigte, die
Wirren in Mittelamerika zu benutzen um ihr eigenes Gebiet bis zur
Meerenge von Panama auszudehnen. Trotzdem war die Erwerbung Cali-
forniens nicht ganz undenkbar, wenn Preußen ſich insgeheim mit Mexiko
verſtändigte und — ſeine Kolonie durch eine Seemacht beſchützte! Auch
dafür wußte Bunſen Rath; wann wäre er je um einen Einfall verlegen
geweſen? Dänemark, der Todfeind der alten Hanſa, der Unterdrücker
des Deutſchthums in Schleswig, war doch Mitglied des Deutſchen Bundes
und konnte die Koſten ſeiner Flotte nur ſchwer erſchwingen. Weßhalb ſollte
alſo der Dänenkönig nicht Großadmiral der neuen Hanſa, des Zollver-
eins werden und als ſolcher die preußiſche Kolonie Californien mit ſeinem
Danebrog vertheidigen? Dann genügten ein oder zwei preußiſche Bataillone
um das Land im Innern zu ſichern. Dieſe Vorſchläge entwickelte der
preußiſche Geſandte ſeinem Amtsgenoſſen, dem Grafen Reventlow, einem
eifrigen Dänen, der insgeheim den engliſchen Hof für die Vernichtung
der Selbſtändigkeit Schleswigholſteins zu gewinnen ſuchte, doch mit Bunſen
nahe befreundet war und auch jetzt die zärtlichen Worte nicht ſparte.
Das Auswärtige Amt aber konnte nicht umhin, die Berichte des er-
findungsreichen Diplomaten am Rande mit einigen großen Fragezeichen zu
ſchmücken, und Bunſen fühlte ſich tief bekümmert, als ſeine Ideen von
dem natürlichen Tode aller Seifenblaſen ereilt wurden. *)
*) Bunſen’s Berichte, 25. Aug. 1842, 30. Juli 1844, 5. März 1845, 18. Aug. 1846.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/504>, abgerufen am 22.11.2024.
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