Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.Deutsche Communisten in Paris. verflogen war die religiöse Begeisterung der alten St. Simonisten, längstüberwunden ihre idealistische Forderung: Jedem nach seiner Fähigkeit, jeder Fähigkeit nach ihren Leistungen. Das junge Geschlecht sagte kurz- ab: Jedem nach seinen Bedürfnissen; nur die Milderen begnügten sich mit der vieldeutigen "Organisation der Arbeit". Da der Geldbeutel unter dem Bürgerkönigthum Alles war und die Charte jedes politische Recht an einen hohen Census knüpfte, so mußte die radicale Opposition unausbleib- lich ihre Angriffe wider das Eigenthum selber richten. Ein wüthender Haß gegen die besitzenden Klassen beseelte alle diese Parteien, mochten sie sich nun Cabetisten, Egalitäre oder Reformisten nennen; und auch darin zeigte sich der französische Charakter der Bewegung, daß der Name Bour- geoisie längst zum Schimpfwort geworden war, während der Name des deutschen Bürgerthums, trotz allen Schmähungen der Radicalen, noch immer in Ehren blieb. In wunderbarer doctrinärer Verblendung wollte Guizot von allen den Anzeichen einer furchtbaren socialen Revolution nichts bemerken; er wähnte das Volk zufrieden, weil er jederzeit auf die Zu- stimmung der ergebenen Kammermehrheit, des pays legal sicher zählen konnte; er bestritt sogar, daß ein vierter Stand bestände, da ja sein ge- liebter Tiers-etat nach unten hin rechtlich nicht abgeschlossen war. Ganz so selbstgefällig wie der leitende Staatsmann selbst versicherte das Ministerium des Innern dem preußischen Gesandten: bei "dem lichten und positiven Geiste der Franzosen" fänden die Lehren Proudhon's, Cabet's, Constant's wenig Anklang; die deutschen Arbeiter zeigten sich empfänglicher, denn sie liebten humane und philosophische Träumerei, auch die Lehren der Wieder- täufer und der Illuminaten wirkten unter ihnen noch nach. Was die fran- zösische Polizei im Einzelnen über den deutschen Communistenbund zu berich- ten wußte, bedeutete nicht viel: sie gab nur an, daß der Verein hunderte von Mitgliedern zählte, darunter viele Juden und namentlich Arbeiter der feineren Berufszweige, Setzer, Mechaniker, Elfenbeindreher; unter den deutschen Landschaften waren Kursachsen, Thüringen und die Pfalz stark vertreten.*) Einige der in Paris zusammengeströmten deutschen Literaten, Ruge, *) Renseignements sur le communisme Allemand, ausgearbeitet in der Polizei- Abtheilung des französischen Ministeriums des Innern, 17. Juni 1845 durch Graf Arnim nach Berlin gesendet. 33*
Deutſche Communiſten in Paris. verflogen war die religiöſe Begeiſterung der alten St. Simoniſten, längſtüberwunden ihre idealiſtiſche Forderung: Jedem nach ſeiner Fähigkeit, jeder Fähigkeit nach ihren Leiſtungen. Das junge Geſchlecht ſagte kurz- ab: Jedem nach ſeinen Bedürfniſſen; nur die Milderen begnügten ſich mit der vieldeutigen „Organiſation der Arbeit“. Da der Geldbeutel unter dem Bürgerkönigthum Alles war und die Charte jedes politiſche Recht an einen hohen Cenſus knüpfte, ſo mußte die radicale Oppoſition unausbleib- lich ihre Angriffe wider das Eigenthum ſelber richten. Ein wüthender Haß gegen die beſitzenden Klaſſen beſeelte alle dieſe Parteien, mochten ſie ſich nun Cabetiſten, Egalitäre oder Reformiſten nennen; und auch darin zeigte ſich der franzöſiſche Charakter der Bewegung, daß der Name Bour- geoiſie längſt zum Schimpfwort geworden war, während der Name des deutſchen Bürgerthums, trotz allen Schmähungen der Radicalen, noch immer in Ehren blieb. In wunderbarer doctrinärer Verblendung wollte Guizot von allen den Anzeichen einer furchtbaren ſocialen Revolution nichts bemerken; er wähnte das Volk zufrieden, weil er jederzeit auf die Zu- ſtimmung der ergebenen Kammermehrheit, des pays légal ſicher zählen konnte; er beſtritt ſogar, daß ein vierter Stand beſtände, da ja ſein ge- liebter Tiers-état nach unten hin rechtlich nicht abgeſchloſſen war. Ganz ſo ſelbſtgefällig wie der leitende Staatsmann ſelbſt verſicherte das Miniſterium des Innern dem preußiſchen Geſandten: bei „dem lichten und poſitiven Geiſte der Franzoſen“ fänden die Lehren Proudhon’s, Cabet’s, Conſtant’s wenig Anklang; die deutſchen Arbeiter zeigten ſich empfänglicher, denn ſie liebten humane und philoſophiſche Träumerei, auch die Lehren der Wieder- täufer und der Illuminaten wirkten unter ihnen noch nach. Was die fran- zöſiſche Polizei im Einzelnen über den deutſchen Communiſtenbund zu berich- ten wußte, bedeutete nicht viel: ſie gab nur an, daß der Verein hunderte von Mitgliedern zählte, darunter viele Juden und namentlich Arbeiter der feineren Berufszweige, Setzer, Mechaniker, Elfenbeindreher; unter den deutſchen Landſchaften waren Kurſachſen, Thüringen und die Pfalz ſtark vertreten.*) Einige der in Paris zuſammengeſtrömten deutſchen Literaten, Ruge, *) Renseignements sur le communisme Allemand, ausgearbeitet in der Polizei- Abtheilung des franzöſiſchen Miniſteriums des Innern, 17. Juni 1845 durch Graf Arnim nach Berlin geſendet. 33*
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Deutſche Communiſten in Paris.
verflogen war die religiöſe Begeiſterung der alten St. Simoniſten, längſt
überwunden ihre idealiſtiſche Forderung: Jedem nach ſeiner Fähigkeit,
jeder Fähigkeit nach ihren Leiſtungen. Das junge Geſchlecht ſagte kurz-
ab: Jedem nach ſeinen Bedürfniſſen; nur die Milderen begnügten ſich
mit der vieldeutigen „Organiſation der Arbeit“. Da der Geldbeutel unter
dem Bürgerkönigthum Alles war und die Charte jedes politiſche Recht an
einen hohen Cenſus knüpfte, ſo mußte die radicale Oppoſition unausbleib-
lich ihre Angriffe wider das Eigenthum ſelber richten. Ein wüthender
Haß gegen die beſitzenden Klaſſen beſeelte alle dieſe Parteien, mochten ſie
ſich nun Cabetiſten, Egalitäre oder Reformiſten nennen; und auch darin
zeigte ſich der franzöſiſche Charakter der Bewegung, daß der Name Bour-
geoiſie längſt zum Schimpfwort geworden war, während der Name des
deutſchen Bürgerthums, trotz allen Schmähungen der Radicalen, noch
immer in Ehren blieb. In wunderbarer doctrinärer Verblendung wollte
Guizot von allen den Anzeichen einer furchtbaren ſocialen Revolution nichts
bemerken; er wähnte das Volk zufrieden, weil er jederzeit auf die Zu-
ſtimmung der ergebenen Kammermehrheit, des pays légal ſicher zählen
konnte; er beſtritt ſogar, daß ein vierter Stand beſtände, da ja ſein ge-
liebter Tiers-état nach unten hin rechtlich nicht abgeſchloſſen war. Ganz ſo
ſelbſtgefällig wie der leitende Staatsmann ſelbſt verſicherte das Miniſterium
des Innern dem preußiſchen Geſandten: bei „dem lichten und poſitiven
Geiſte der Franzoſen“ fänden die Lehren Proudhon’s, Cabet’s, Conſtant’s
wenig Anklang; die deutſchen Arbeiter zeigten ſich empfänglicher, denn ſie
liebten humane und philoſophiſche Träumerei, auch die Lehren der Wieder-
täufer und der Illuminaten wirkten unter ihnen noch nach. Was die fran-
zöſiſche Polizei im Einzelnen über den deutſchen Communiſtenbund zu berich-
ten wußte, bedeutete nicht viel: ſie gab nur an, daß der Verein hunderte von
Mitgliedern zählte, darunter viele Juden und namentlich Arbeiter der feineren
Berufszweige, Setzer, Mechaniker, Elfenbeindreher; unter den deutſchen
Landſchaften waren Kurſachſen, Thüringen und die Pfalz ſtark vertreten. *)
Einige der in Paris zuſammengeſtrömten deutſchen Literaten, Ruge,
Marx, Börnſtein, Bernays, Heß, Heine begannen eine Zeitſchrift des inter-
nationalen Radicalismus, den Vorwärts; es waren, bezeichnend genug, lauter
Juden, mit der einzigen Ausnahme Ruge’s. Der Vorwärts brachte mehrere
der ſchmutzigſten Zeitgedichte Heine’s, er verherrlichte in Vers und Proſa
den Königsmörder Tſchech und erfand für den König von Preußen den
Namen: Knäs von Rußland — einen Titel, der wegen ſeiner Albernheit
von der geſammten radicalen Welt alsbald freudig nachgeſprochen wurde.
Kaum in’s Leben getreten ward die Zeitſchrift ſchon durch Guizot unterdrückt.
Auch ihre Mitarbeiter hielten nicht lange bei einander aus. Als Heine
*) Renseignements sur le communisme Allemand, ausgearbeitet in der Polizei-
Abtheilung des franzöſiſchen Miniſteriums des Innern, 17. Juni 1845 durch Graf
Arnim nach Berlin geſendet.
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