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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthschaft.
ergrimmte Volk, Alles zertrümmernd, selten raubend, in den Fabriken
der Nachbarorte. Und es war wirklich nur die Raserei der Noth, was
diese Tobenden verblendete; von den Schriften der Communisten hatten die
Armen, die sich Abends ihre kalte Stube mit einem Kienspahn erleuch-
teten, nie ein Wort gelesen. Zu spät erkannte Merckel, wie gründlich er
sich über die Lage getäuscht hatte. Er eilte selbst herbei; Truppen stellten,
nicht ohne Blutvergießen, die Ordnung her, 83 Gefangene wurden ab-
geführt, die Hauptschuldigen zu schweren Strafen verurtheilt. Nun sen-
dete die Krone einen Generalbevollmächtigten, Geh. Rath v. Minutoli,
zur Untersuchung des Nothstandes, ließ durch die Seehandlung neue
Spinnereien errichten, die Erwerblosen bei großen Straßenbauten beschäf-
tigen, daneben auch mannichfache baare Unterstützungen vertheilen.

Doch die Ueberlegenheit des englischen Wettbewerbs war nach so vielen
Unterlassungssünden nicht mehr zu besiegen, auf die Selbsthilfe der Arbeiter
konnte man ebenso wenig zählen, wie auf die Einsicht der Unternehmer;
die Lage der Weber blieb fast so elend wie zuvor. So war den Angriffen
des Radicalismus Thür und Thor geöffnet, und der König befahl strenge
Wachsamkeit wider die schlesischen Blätter, "in welchen das Bestreben, die
unteren gegen die höheren Stände, die Armen gegen die Wohlhabenden
aufzuregen, nicht zu verkennen ist."*) In Breslau erschien ein halb-
communistisches Blatt, der Volksspiegel; der anrüchige Literat Pelz ver-
faßte unter dem Namen Treumund Welp aufregende Schriften, und
der Düsseldorfer Maler Karl Hübner aus Ostpreußen ließ in Berlin ein
Tendenzgemälde "die schlesischen Weber" ausstellen, dem nachher ähnliche,
grob handgreifliche Bilder von Auspfändungen und Wilddieben folgten.
Heine aber benutzte die Gelegenheit, um wieder einmal seinen Groll an
dem Monarchen auszulassen, der sich doch während dieser traurigen Wirren
weit volksfreundlicher gezeigt hatte als sein Beamtenthum. Er sang das
Weberlied:

Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,
Den unser Elend nicht konnte erweichen,
Der den letzten Groschen von uns erpreßt
Und uns wie Hunde erschießen läßt.
Wir weben, wir weben!

Einige Monate nachher, im Frühjahr 1845 wurde im Hirschberger Thale
eine Eidgenossenschaft entdeckt, die auf den Umsturz von Staat und Gesell-
schaft hinarbeitete. An ihrer Spitze stand ein Tischler Wurm zu Warmbrunn.
Auch er gehörte keinem der auswärtigen Geheimbünde an; er kannte je-
doch ihre Schriften und hatte ganz in ihrem Sinne eine Proclamation ent-
worfen, um die Gebirgsbewohner aufzurufen gegen "die Unterdrücker der
arbeitenden Klassen -- jene verächtliche Klasse von Menschen, die man
den Adel nennt, deren Ursprung in den finstersten Zeiten der Barbarei

*) König Friedrich Wilhelm an Thile, o. D.

V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthſchaft.
ergrimmte Volk, Alles zertrümmernd, ſelten raubend, in den Fabriken
der Nachbarorte. Und es war wirklich nur die Raſerei der Noth, was
dieſe Tobenden verblendete; von den Schriften der Communiſten hatten die
Armen, die ſich Abends ihre kalte Stube mit einem Kienſpahn erleuch-
teten, nie ein Wort geleſen. Zu ſpät erkannte Merckel, wie gründlich er
ſich über die Lage getäuſcht hatte. Er eilte ſelbſt herbei; Truppen ſtellten,
nicht ohne Blutvergießen, die Ordnung her, 83 Gefangene wurden ab-
geführt, die Hauptſchuldigen zu ſchweren Strafen verurtheilt. Nun ſen-
dete die Krone einen Generalbevollmächtigten, Geh. Rath v. Minutoli,
zur Unterſuchung des Nothſtandes, ließ durch die Seehandlung neue
Spinnereien errichten, die Erwerbloſen bei großen Straßenbauten beſchäf-
tigen, daneben auch mannichfache baare Unterſtützungen vertheilen.

Doch die Ueberlegenheit des engliſchen Wettbewerbs war nach ſo vielen
Unterlaſſungsſünden nicht mehr zu beſiegen, auf die Selbſthilfe der Arbeiter
konnte man ebenſo wenig zählen, wie auf die Einſicht der Unternehmer;
die Lage der Weber blieb faſt ſo elend wie zuvor. So war den Angriffen
des Radicalismus Thür und Thor geöffnet, und der König befahl ſtrenge
Wachſamkeit wider die ſchleſiſchen Blätter, „in welchen das Beſtreben, die
unteren gegen die höheren Stände, die Armen gegen die Wohlhabenden
aufzuregen, nicht zu verkennen iſt.“*) In Breslau erſchien ein halb-
communiſtiſches Blatt, der Volksſpiegel; der anrüchige Literat Pelz ver-
faßte unter dem Namen Treumund Welp aufregende Schriften, und
der Düſſeldorfer Maler Karl Hübner aus Oſtpreußen ließ in Berlin ein
Tendenzgemälde „die ſchleſiſchen Weber“ ausſtellen, dem nachher ähnliche,
grob handgreifliche Bilder von Auspfändungen und Wilddieben folgten.
Heine aber benutzte die Gelegenheit, um wieder einmal ſeinen Groll an
dem Monarchen auszulaſſen, der ſich doch während dieſer traurigen Wirren
weit volksfreundlicher gezeigt hatte als ſein Beamtenthum. Er ſang das
Weberlied:

Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,
Den unſer Elend nicht konnte erweichen,
Der den letzten Groſchen von uns erpreßt
Und uns wie Hunde erſchießen läßt.
Wir weben, wir weben!

Einige Monate nachher, im Frühjahr 1845 wurde im Hirſchberger Thale
eine Eidgenoſſenſchaft entdeckt, die auf den Umſturz von Staat und Geſell-
ſchaft hinarbeitete. An ihrer Spitze ſtand ein Tiſchler Wurm zu Warmbrunn.
Auch er gehörte keinem der auswärtigen Geheimbünde an; er kannte je-
doch ihre Schriften und hatte ganz in ihrem Sinne eine Proclamation ent-
worfen, um die Gebirgsbewohner aufzurufen gegen „die Unterdrücker der
arbeitenden Klaſſen — jene verächtliche Klaſſe von Menſchen, die man
den Adel nennt, deren Urſprung in den finſterſten Zeiten der Barbarei

*) König Friedrich Wilhelm an Thile, o. D.
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[520/0534] V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthſchaft. ergrimmte Volk, Alles zertrümmernd, ſelten raubend, in den Fabriken der Nachbarorte. Und es war wirklich nur die Raſerei der Noth, was dieſe Tobenden verblendete; von den Schriften der Communiſten hatten die Armen, die ſich Abends ihre kalte Stube mit einem Kienſpahn erleuch- teten, nie ein Wort geleſen. Zu ſpät erkannte Merckel, wie gründlich er ſich über die Lage getäuſcht hatte. Er eilte ſelbſt herbei; Truppen ſtellten, nicht ohne Blutvergießen, die Ordnung her, 83 Gefangene wurden ab- geführt, die Hauptſchuldigen zu ſchweren Strafen verurtheilt. Nun ſen- dete die Krone einen Generalbevollmächtigten, Geh. Rath v. Minutoli, zur Unterſuchung des Nothſtandes, ließ durch die Seehandlung neue Spinnereien errichten, die Erwerbloſen bei großen Straßenbauten beſchäf- tigen, daneben auch mannichfache baare Unterſtützungen vertheilen. Doch die Ueberlegenheit des engliſchen Wettbewerbs war nach ſo vielen Unterlaſſungsſünden nicht mehr zu beſiegen, auf die Selbſthilfe der Arbeiter konnte man ebenſo wenig zählen, wie auf die Einſicht der Unternehmer; die Lage der Weber blieb faſt ſo elend wie zuvor. So war den Angriffen des Radicalismus Thür und Thor geöffnet, und der König befahl ſtrenge Wachſamkeit wider die ſchleſiſchen Blätter, „in welchen das Beſtreben, die unteren gegen die höheren Stände, die Armen gegen die Wohlhabenden aufzuregen, nicht zu verkennen iſt.“ *) In Breslau erſchien ein halb- communiſtiſches Blatt, der Volksſpiegel; der anrüchige Literat Pelz ver- faßte unter dem Namen Treumund Welp aufregende Schriften, und der Düſſeldorfer Maler Karl Hübner aus Oſtpreußen ließ in Berlin ein Tendenzgemälde „die ſchleſiſchen Weber“ ausſtellen, dem nachher ähnliche, grob handgreifliche Bilder von Auspfändungen und Wilddieben folgten. Heine aber benutzte die Gelegenheit, um wieder einmal ſeinen Groll an dem Monarchen auszulaſſen, der ſich doch während dieſer traurigen Wirren weit volksfreundlicher gezeigt hatte als ſein Beamtenthum. Er ſang das Weberlied: Ein Fluch dem König, dem König der Reichen, Den unſer Elend nicht konnte erweichen, Der den letzten Groſchen von uns erpreßt Und uns wie Hunde erſchießen läßt. Wir weben, wir weben! Einige Monate nachher, im Frühjahr 1845 wurde im Hirſchberger Thale eine Eidgenoſſenſchaft entdeckt, die auf den Umſturz von Staat und Geſell- ſchaft hinarbeitete. An ihrer Spitze ſtand ein Tiſchler Wurm zu Warmbrunn. Auch er gehörte keinem der auswärtigen Geheimbünde an; er kannte je- doch ihre Schriften und hatte ganz in ihrem Sinne eine Proclamation ent- worfen, um die Gebirgsbewohner aufzurufen gegen „die Unterdrücker der arbeitenden Klaſſen — jene verächtliche Klaſſe von Menſchen, die man den Adel nennt, deren Urſprung in den finſterſten Zeiten der Barbarei *) König Friedrich Wilhelm an Thile, o. D.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/534>, abgerufen am 22.11.2024.