Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.Merckel's Entlassung. Die Nothjahre. ist, deren Vorfahren die Rolle der Straßenräuber, der Mordbrenner soschön spielten ... Wenn die Statuen der Könige in Trümmer stürzen, wird Euer Name sich mischen in den Sturm der Elemente und wie Donner- gebrüll den letzten Tyrannen erschrecken, in der Mitte seiner gezwungenen Schaarwächter, vom Lager, daß er zittere vor der erwachten Menschheit und fliehe wie ein Knabe." Der König sendete sofort den Geh. Rath Mathis als Commissar hinüber; in dessen Gefolge befand sich der junge schlaue Referendar Stieber, der hier zum ersten male seinen polizeilichen Spürsinn bewährte. Im Verdachte der Mitwissenschaft stand außer dem unermüdlichen demagogischen Schulmeister Wander*) vornehmlich der Fabri- kant Schlöffel in Eichberg, ein grimmiger Radicaler, der mit den Schweizer Flüchtlingen viel verkehrte. Der greise Oberpräsident aber wollte dem ange- sehenen Fabrikanten eine solche Thorheit doch nicht zutrauen; er behandelte Schlöffel gütig, hielt ihn nur kurze Zeit in Haft. Deßhalb entspann sich zwischen Merckel und Mathis ein heftiger Streit, und der König, der schon über die saumselige Behandlung der Webernöthe aufgebracht war, verfügte nunmehr die Entlassung des Oberpräsidenten. Merckel hatte ihn früher ge- beten, er möge es ihm selber sagen, wenn er zu seiner physischen oder moralischen Kraft kein Vertrauen mehr hege. Nun mußte der Minister des Innern kurzweg schreiben: dieser Zeitpunkt ist jetzt eingetreten, Se. Majestät sind von der Unzulässigkeit der bisherigen Verwaltung des Ober- präsidiums ganz überzeugt.**) So trat der Mann zurück, der seit mehr denn einem Menschenalter allen Schlesiern für das natürliche Haupt der Provinz galt und namentlich während seiner zweiten Amtsführung sich das allgemeine Vertrauen erworben hatte. Jetzt feierte man ihn, begreif- lich genug, als ein Opfer der Reaction. In einem gerührten Abschieds- schreiben dankte er für die zahllosen Beweise der Liebe seiner schlesischen "Vaterlandsgenossen". Der Erfolg der Untersuchung schien ihm Recht zu geben. Schlöffel wurde freigesprochen, da sich nichts Sicheres erweisen ließ; nur Wurm mußte, zum Tode verurtheilt, in's Zuchthaus gehen. Dann brach über ganz Deutschland eine jener schweren Theuerungs- *) S. o. V. 241. **) Cabinetsordre an Geh. Rath Mathis 18. März; Schlöffel an Merckel 18. März,
Antwort 19. März; Berichte an den König, vom Minister Graf Arnim 24. März, von Mathis 9. April; Thile, Weisung an Graf Arnim, 26. April 1845. Merckel’s Entlaſſung. Die Nothjahre. iſt, deren Vorfahren die Rolle der Straßenräuber, der Mordbrenner ſoſchön ſpielten … Wenn die Statuen der Könige in Trümmer ſtürzen, wird Euer Name ſich miſchen in den Sturm der Elemente und wie Donner- gebrüll den letzten Tyrannen erſchrecken, in der Mitte ſeiner gezwungenen Schaarwächter, vom Lager, daß er zittere vor der erwachten Menſchheit und fliehe wie ein Knabe.“ Der König ſendete ſofort den Geh. Rath Mathis als Commiſſar hinüber; in deſſen Gefolge befand ſich der junge ſchlaue Referendar Stieber, der hier zum erſten male ſeinen polizeilichen Spürſinn bewährte. Im Verdachte der Mitwiſſenſchaft ſtand außer dem unermüdlichen demagogiſchen Schulmeiſter Wander*) vornehmlich der Fabri- kant Schlöffel in Eichberg, ein grimmiger Radicaler, der mit den Schweizer Flüchtlingen viel verkehrte. Der greiſe Oberpräſident aber wollte dem ange- ſehenen Fabrikanten eine ſolche Thorheit doch nicht zutrauen; er behandelte Schlöffel gütig, hielt ihn nur kurze Zeit in Haft. Deßhalb entſpann ſich zwiſchen Merckel und Mathis ein heftiger Streit, und der König, der ſchon über die ſaumſelige Behandlung der Webernöthe aufgebracht war, verfügte nunmehr die Entlaſſung des Oberpräſidenten. Merckel hatte ihn früher ge- beten, er möge es ihm ſelber ſagen, wenn er zu ſeiner phyſiſchen oder moraliſchen Kraft kein Vertrauen mehr hege. Nun mußte der Miniſter des Innern kurzweg ſchreiben: dieſer Zeitpunkt iſt jetzt eingetreten, Se. Majeſtät ſind von der Unzuläſſigkeit der bisherigen Verwaltung des Ober- präſidiums ganz überzeugt.**) So trat der Mann zurück, der ſeit mehr denn einem Menſchenalter allen Schleſiern für das natürliche Haupt der Provinz galt und namentlich während ſeiner zweiten Amtsführung ſich das allgemeine Vertrauen erworben hatte. Jetzt feierte man ihn, begreif- lich genug, als ein Opfer der Reaction. In einem gerührten Abſchieds- ſchreiben dankte er für die zahlloſen Beweiſe der Liebe ſeiner ſchleſiſchen „Vaterlandsgenoſſen“. Der Erfolg der Unterſuchung ſchien ihm Recht zu geben. Schlöffel wurde freigeſprochen, da ſich nichts Sicheres erweiſen ließ; nur Wurm mußte, zum Tode verurtheilt, in’s Zuchthaus gehen. Dann brach über ganz Deutſchland eine jener ſchweren Theuerungs- *) S. o. V. 241. **) Cabinetsordre an Geh. Rath Mathis 18. März; Schlöffel an Merckel 18. März,
Antwort 19. März; Berichte an den König, vom Miniſter Graf Arnim 24. März, von Mathis 9. April; Thile, Weiſung an Graf Arnim, 26. April 1845. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0535" n="521"/><fw place="top" type="header">Merckel’s Entlaſſung. Die Nothjahre.</fw><lb/> iſt, deren Vorfahren die Rolle der Straßenräuber, der Mordbrenner ſo<lb/> ſchön ſpielten … Wenn die Statuen der Könige in Trümmer ſtürzen,<lb/> wird Euer Name ſich miſchen in den Sturm der Elemente und wie Donner-<lb/> gebrüll den letzten Tyrannen erſchrecken, in der Mitte ſeiner gezwungenen<lb/> Schaarwächter, vom Lager, daß er zittere vor der erwachten Menſchheit<lb/> und fliehe wie ein Knabe.“ Der König ſendete ſofort den Geh. Rath<lb/> Mathis als Commiſſar hinüber; in deſſen Gefolge befand ſich der junge<lb/> ſchlaue Referendar Stieber, der hier zum erſten male ſeinen polizeilichen<lb/> Spürſinn bewährte. Im Verdachte der Mitwiſſenſchaft ſtand außer dem<lb/> unermüdlichen demagogiſchen Schulmeiſter Wander<note place="foot" n="*)">S. o. <hi rendition="#aq">V.</hi> 241.</note> vornehmlich der Fabri-<lb/> kant Schlöffel in Eichberg, ein grimmiger Radicaler, der mit den Schweizer<lb/> Flüchtlingen viel verkehrte. Der greiſe Oberpräſident aber wollte dem ange-<lb/> ſehenen Fabrikanten eine ſolche Thorheit doch nicht zutrauen; er behandelte<lb/> Schlöffel gütig, hielt ihn nur kurze Zeit in Haft. Deßhalb entſpann ſich<lb/> zwiſchen Merckel und Mathis ein heftiger Streit, und der König, der ſchon<lb/> über die ſaumſelige Behandlung der Webernöthe aufgebracht war, verfügte<lb/> nunmehr die Entlaſſung des Oberpräſidenten. Merckel hatte ihn früher ge-<lb/> beten, er möge es ihm ſelber ſagen, wenn er zu ſeiner phyſiſchen oder<lb/> moraliſchen Kraft kein Vertrauen mehr hege. Nun mußte der Miniſter<lb/> des Innern kurzweg ſchreiben: dieſer Zeitpunkt iſt jetzt eingetreten, Se.<lb/> Majeſtät ſind von der Unzuläſſigkeit der bisherigen Verwaltung des Ober-<lb/> präſidiums ganz überzeugt.<note place="foot" n="**)">Cabinetsordre an Geh. Rath Mathis 18. März; Schlöffel an Merckel 18. März,<lb/> Antwort 19. März; Berichte an den König, vom Miniſter Graf Arnim 24. März, von<lb/> Mathis 9. April; Thile, Weiſung an Graf Arnim, 26. April 1845.</note> So trat der Mann zurück, der ſeit mehr<lb/> denn einem Menſchenalter allen Schleſiern für das natürliche Haupt der<lb/> Provinz galt und namentlich während ſeiner zweiten Amtsführung ſich<lb/> das allgemeine Vertrauen erworben hatte. Jetzt feierte man ihn, begreif-<lb/> lich genug, als ein Opfer der Reaction. In einem gerührten Abſchieds-<lb/> ſchreiben dankte er für die zahlloſen Beweiſe der Liebe ſeiner ſchleſiſchen<lb/> „Vaterlandsgenoſſen“. Der Erfolg der Unterſuchung ſchien ihm Recht zu<lb/> geben. Schlöffel wurde freigeſprochen, da ſich nichts Sicheres erweiſen<lb/> ließ; nur Wurm mußte, zum Tode verurtheilt, in’s Zuchthaus gehen.</p><lb/> <p>Dann brach über ganz Deutſchland eine jener ſchweren Theuerungs-<lb/> zeiten herein, welche in der Geſchichte faſt regelmäßig den Revolutionen vor-<lb/> angehen. Die Ernte der Jahre 1846 und 47 mißrieth ſo gänzlich, daß<lb/> der Zollverein, deſſen Getreidehandel ſonſt immer eine ſtarke Mehrausfuhr<lb/> aufwies, im erſten Jahre faſt 2,<hi rendition="#sub">9</hi> Mill., im zweiten 5 Mill. Scheffel Roggen<lb/> mehr als die Ausfuhr betrug einführen mußte. Am durchſchnittlichen<lb/> Ertrage der Roggenernte fehlte in Mitteldeutſchland faſt ein Viertel. Und<lb/> was für unnatürliche Zuſtände in den einzelnen Landestheilen! Die halb-<lb/> verhungerten Oſtpreußen mußten, weil ſie ſelber nicht zahlen konnten, den<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [521/0535]
Merckel’s Entlaſſung. Die Nothjahre.
iſt, deren Vorfahren die Rolle der Straßenräuber, der Mordbrenner ſo
ſchön ſpielten … Wenn die Statuen der Könige in Trümmer ſtürzen,
wird Euer Name ſich miſchen in den Sturm der Elemente und wie Donner-
gebrüll den letzten Tyrannen erſchrecken, in der Mitte ſeiner gezwungenen
Schaarwächter, vom Lager, daß er zittere vor der erwachten Menſchheit
und fliehe wie ein Knabe.“ Der König ſendete ſofort den Geh. Rath
Mathis als Commiſſar hinüber; in deſſen Gefolge befand ſich der junge
ſchlaue Referendar Stieber, der hier zum erſten male ſeinen polizeilichen
Spürſinn bewährte. Im Verdachte der Mitwiſſenſchaft ſtand außer dem
unermüdlichen demagogiſchen Schulmeiſter Wander *) vornehmlich der Fabri-
kant Schlöffel in Eichberg, ein grimmiger Radicaler, der mit den Schweizer
Flüchtlingen viel verkehrte. Der greiſe Oberpräſident aber wollte dem ange-
ſehenen Fabrikanten eine ſolche Thorheit doch nicht zutrauen; er behandelte
Schlöffel gütig, hielt ihn nur kurze Zeit in Haft. Deßhalb entſpann ſich
zwiſchen Merckel und Mathis ein heftiger Streit, und der König, der ſchon
über die ſaumſelige Behandlung der Webernöthe aufgebracht war, verfügte
nunmehr die Entlaſſung des Oberpräſidenten. Merckel hatte ihn früher ge-
beten, er möge es ihm ſelber ſagen, wenn er zu ſeiner phyſiſchen oder
moraliſchen Kraft kein Vertrauen mehr hege. Nun mußte der Miniſter
des Innern kurzweg ſchreiben: dieſer Zeitpunkt iſt jetzt eingetreten, Se.
Majeſtät ſind von der Unzuläſſigkeit der bisherigen Verwaltung des Ober-
präſidiums ganz überzeugt. **) So trat der Mann zurück, der ſeit mehr
denn einem Menſchenalter allen Schleſiern für das natürliche Haupt der
Provinz galt und namentlich während ſeiner zweiten Amtsführung ſich
das allgemeine Vertrauen erworben hatte. Jetzt feierte man ihn, begreif-
lich genug, als ein Opfer der Reaction. In einem gerührten Abſchieds-
ſchreiben dankte er für die zahlloſen Beweiſe der Liebe ſeiner ſchleſiſchen
„Vaterlandsgenoſſen“. Der Erfolg der Unterſuchung ſchien ihm Recht zu
geben. Schlöffel wurde freigeſprochen, da ſich nichts Sicheres erweiſen
ließ; nur Wurm mußte, zum Tode verurtheilt, in’s Zuchthaus gehen.
Dann brach über ganz Deutſchland eine jener ſchweren Theuerungs-
zeiten herein, welche in der Geſchichte faſt regelmäßig den Revolutionen vor-
angehen. Die Ernte der Jahre 1846 und 47 mißrieth ſo gänzlich, daß
der Zollverein, deſſen Getreidehandel ſonſt immer eine ſtarke Mehrausfuhr
aufwies, im erſten Jahre faſt 2,9 Mill., im zweiten 5 Mill. Scheffel Roggen
mehr als die Ausfuhr betrug einführen mußte. Am durchſchnittlichen
Ertrage der Roggenernte fehlte in Mitteldeutſchland faſt ein Viertel. Und
was für unnatürliche Zuſtände in den einzelnen Landestheilen! Die halb-
verhungerten Oſtpreußen mußten, weil ſie ſelber nicht zahlen konnten, den
*) S. o. V. 241.
**) Cabinetsordre an Geh. Rath Mathis 18. März; Schlöffel an Merckel 18. März,
Antwort 19. März; Berichte an den König, vom Miniſter Graf Arnim 24. März, von
Mathis 9. April; Thile, Weiſung an Graf Arnim, 26. April 1845.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |