so eifrig vorgegangen war, zeigte sich jetzt sehr bedachtsam, weil er den Ein- spruch der Westmächte fürchtete. Preußen und Rußland zogen ihre Truppen aus Krakau zurück, auch die drei Residenten kehrten heim, die Stadt wurde vorläufig von österreichischen Regimentern bewacht; denn die drei Mächte, die sich, etwa mit dem gleichen Rechte wie die Schutzmächte Griechenlands, les puissances creatrices et protectrices de Cracovie nannten, wollten der Welt unzweifelhaft beweisen, daß ihr Schützling augenblicklich gar keine Regierung mehr besäße.*) Gleichwohl ließ Metternich den ganzen Sommer verstreichen ohne die Gesandten Preußens und Rußlands zu der verab- redeten Conferenz zu berufen; er sagte weise: zum Bekennen der Grund- sätze bin ich immer rasch bereit, aber zum Handeln warte ich die rechte Zeit ab.**)
Im Juli besuchte König Friedrich Wilhelm den österreichischen Staats- kanzler auf der Durchreise in Königswart, und hier bot sich ganz von selbst die Gelegenheit, Preußens handelspolitische Forderungen unbedingt und nachdrücklich auszusprechen. Sie blieb unbenutzt; das politische Ge- spräch bewegte sich nur um die preußische Verfassungsfrage. Erst nachher, am 28. August, sendete der König an Metternich einen jener unglück- lichen, gemüthvollen Briefe, wodurch er schon so oft klare diplomatische Geschäftssachen verdunkelt hatte. Er wünsche, so schrieb er, in Krakau den bestehenden Zustand, also auch die Handelsfreiheit bis zu einer neuen Uebereinkunft zu erhalten, er wolle jedoch "im Vertrage bleiben und nicht abspringen" und überlasse dem Wiener Hofe vertrauensvoll, den rechten Zeitpunkt für die Einverleibung zu bestimmen. Metternich antwortete (27. Sept.) mit einigen nichtssagenden Betheuerungen: "Heute ist der Moment der Handlung noch nicht gekommen. Ich habe die Herren noch nicht einmal um mich versammelt und bitte Ew. Maj. Sich auf jeden Fall auf mich zu verlassen, denn ich gehöre nicht zu denjenigen welche Ver- trauen zu mißbrauchen die Gefahr laufen."***)
Zu allem Unglück war Preußen augenblicklich in Wien wieder so schlecht vertreten wie einst in den bösen Tagen des Fürsten Hatzfeldt. Unter einer schwachen Regierung pflegt die Diplomatie Nationalstolz und Selbst- vertrauen schnell zu verlieren, nirgends schneller als im fremdbrüderlichen Deutschland. Canitz's Nachfolger, Graf Arnim, ein behaglicher Lebemann und Feinschmecker, bekannt unter dem Namen des Kuchen-Arnim's, hatte als Gesandter in Paris viele Freundlichkeit erfahren, weil er dem Bürger- könige immer nach dem Munde sprach; jetzt an der Donau befreundete er sich ebenso rasch mit der k. k. Politik. Alltäglich erschien er Morgens und Abends in der Staatskanzlei, jeder Ausspruch Metternich's war ihm heilig. Arnim wurde angewiesen, zunächst die drei Punkte jener Denkschrift --
*) Canitz, Weisung an Rochow, 24. Juni 1846.
**) Graf Arnim's Bericht, 21. Sept. 1846.
***) Metternich an König Friedrich Wilhelm, 27. Sept. 1846.
Krakauer Freihandel. Graf Arnim in Wien.
ſo eifrig vorgegangen war, zeigte ſich jetzt ſehr bedachtſam, weil er den Ein- ſpruch der Weſtmächte fürchtete. Preußen und Rußland zogen ihre Truppen aus Krakau zurück, auch die drei Reſidenten kehrten heim, die Stadt wurde vorläufig von öſterreichiſchen Regimentern bewacht; denn die drei Mächte, die ſich, etwa mit dem gleichen Rechte wie die Schutzmächte Griechenlands, les puissances créatrices et protectrices de Cracovie nannten, wollten der Welt unzweifelhaft beweiſen, daß ihr Schützling augenblicklich gar keine Regierung mehr beſäße.*) Gleichwohl ließ Metternich den ganzen Sommer verſtreichen ohne die Geſandten Preußens und Rußlands zu der verab- redeten Conferenz zu berufen; er ſagte weiſe: zum Bekennen der Grund- ſätze bin ich immer raſch bereit, aber zum Handeln warte ich die rechte Zeit ab.**)
Im Juli beſuchte König Friedrich Wilhelm den öſterreichiſchen Staats- kanzler auf der Durchreiſe in Königswart, und hier bot ſich ganz von ſelbſt die Gelegenheit, Preußens handelspolitiſche Forderungen unbedingt und nachdrücklich auszuſprechen. Sie blieb unbenutzt; das politiſche Ge- ſpräch bewegte ſich nur um die preußiſche Verfaſſungsfrage. Erſt nachher, am 28. Auguſt, ſendete der König an Metternich einen jener unglück- lichen, gemüthvollen Briefe, wodurch er ſchon ſo oft klare diplomatiſche Geſchäftsſachen verdunkelt hatte. Er wünſche, ſo ſchrieb er, in Krakau den beſtehenden Zuſtand, alſo auch die Handelsfreiheit bis zu einer neuen Uebereinkunft zu erhalten, er wolle jedoch „im Vertrage bleiben und nicht abſpringen“ und überlaſſe dem Wiener Hofe vertrauensvoll, den rechten Zeitpunkt für die Einverleibung zu beſtimmen. Metternich antwortete (27. Sept.) mit einigen nichtsſagenden Betheuerungen: „Heute iſt der Moment der Handlung noch nicht gekommen. Ich habe die Herren noch nicht einmal um mich verſammelt und bitte Ew. Maj. Sich auf jeden Fall auf mich zu verlaſſen, denn ich gehöre nicht zu denjenigen welche Ver- trauen zu mißbrauchen die Gefahr laufen.“***)
Zu allem Unglück war Preußen augenblicklich in Wien wieder ſo ſchlecht vertreten wie einſt in den böſen Tagen des Fürſten Hatzfeldt. Unter einer ſchwachen Regierung pflegt die Diplomatie Nationalſtolz und Selbſt- vertrauen ſchnell zu verlieren, nirgends ſchneller als im fremdbrüderlichen Deutſchland. Canitz’s Nachfolger, Graf Arnim, ein behaglicher Lebemann und Feinſchmecker, bekannt unter dem Namen des Kuchen-Arnim’s, hatte als Geſandter in Paris viele Freundlichkeit erfahren, weil er dem Bürger- könige immer nach dem Munde ſprach; jetzt an der Donau befreundete er ſich ebenſo raſch mit der k. k. Politik. Alltäglich erſchien er Morgens und Abends in der Staatskanzlei, jeder Ausſpruch Metternich’s war ihm heilig. Arnim wurde angewieſen, zunächſt die drei Punkte jener Denkſchrift —
*) Canitz, Weiſung an Rochow, 24. Juni 1846.
**) Graf Arnim’s Bericht, 21. Sept. 1846.
***) Metternich an König Friedrich Wilhelm, 27. Sept. 1846.
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aus Krakau zurück, auch die drei Reſidenten kehrten heim, die Stadt wurde
vorläufig von öſterreichiſchen Regimentern bewacht; denn die drei Mächte,
die ſich, etwa mit dem gleichen Rechte wie die Schutzmächte Griechenlands,
les puissances créatrices et protectrices de Cracovie nannten, wollten
der Welt unzweifelhaft beweiſen, daß ihr Schützling augenblicklich gar keine
Regierung mehr beſäße. *) Gleichwohl ließ Metternich den ganzen Sommer
verſtreichen ohne die Geſandten Preußens und Rußlands zu der verab-
redeten Conferenz zu berufen; er ſagte weiſe: zum Bekennen der Grund-
ſätze bin ich immer raſch bereit, aber zum Handeln warte ich die rechte
Zeit ab. **)
Im Juli beſuchte König Friedrich Wilhelm den öſterreichiſchen Staats-
kanzler auf der Durchreiſe in Königswart, und hier bot ſich ganz von
ſelbſt die Gelegenheit, Preußens handelspolitiſche Forderungen unbedingt
und nachdrücklich auszuſprechen. Sie blieb unbenutzt; das politiſche Ge-
ſpräch bewegte ſich nur um die preußiſche Verfaſſungsfrage. Erſt nachher,
am 28. Auguſt, ſendete der König an Metternich einen jener unglück-
lichen, gemüthvollen Briefe, wodurch er ſchon ſo oft klare diplomatiſche
Geſchäftsſachen verdunkelt hatte. Er wünſche, ſo ſchrieb er, in Krakau
den beſtehenden Zuſtand, alſo auch die Handelsfreiheit bis zu einer neuen
Uebereinkunft zu erhalten, er wolle jedoch „im Vertrage bleiben und nicht
abſpringen“ und überlaſſe dem Wiener Hofe vertrauensvoll, den rechten
Zeitpunkt für die Einverleibung zu beſtimmen. Metternich antwortete
(27. Sept.) mit einigen nichtsſagenden Betheuerungen: „Heute iſt der
Moment der Handlung noch nicht gekommen. Ich habe die Herren noch
nicht einmal um mich verſammelt und bitte Ew. Maj. Sich auf jeden Fall
auf mich zu verlaſſen, denn ich gehöre nicht zu denjenigen welche Ver-
trauen zu mißbrauchen die Gefahr laufen.“ ***)
Zu allem Unglück war Preußen augenblicklich in Wien wieder ſo
ſchlecht vertreten wie einſt in den böſen Tagen des Fürſten Hatzfeldt. Unter
einer ſchwachen Regierung pflegt die Diplomatie Nationalſtolz und Selbſt-
vertrauen ſchnell zu verlieren, nirgends ſchneller als im fremdbrüderlichen
Deutſchland. Canitz’s Nachfolger, Graf Arnim, ein behaglicher Lebemann
und Feinſchmecker, bekannt unter dem Namen des Kuchen-Arnim’s, hatte
als Geſandter in Paris viele Freundlichkeit erfahren, weil er dem Bürger-
könige immer nach dem Munde ſprach; jetzt an der Donau befreundete
er ſich ebenſo raſch mit der k. k. Politik. Alltäglich erſchien er Morgens und
Abends in der Staatskanzlei, jeder Ausſpruch Metternich’s war ihm heilig.
Arnim wurde angewieſen, zunächſt die drei Punkte jener Denkſchrift —
*) Canitz, Weiſung an Rochow, 24. Juni 1846.
**) Graf Arnim’s Bericht, 21. Sept. 1846.
***) Metternich an König Friedrich Wilhelm, 27. Sept. 1846.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 549. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/563>, abgerufen am 22.11.2024.
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