den Krakauer Packhof, die freie Durchfuhr, die Eisenbahn -- durchzusetzen, sodann in gründlicher Verhandlung noch andere Entschädigungen für den preußischen Verkehr auszubedingen; der endgiltigen Einverleibung sollte er keinenfalls eher zustimmen als wenn die handelspolitische Frage zu Preußens Befriedigung geordnet sei. Er verstand aber von volkswirth- schaftlichen Dingen nicht das Mindeste und that auch gar nichts um sich zu belehren.
Zu Ende Octobers erklärte Metternich plötzlich, nachdem er dem drän- genden russischen Gesandten so lange widerstanden hatte: jetzt sei der rechte Augenblick für die Einverleibung gekommen. Die Zeit war gut gewählt, denn die Westmächte hatten sich eben in diesen Tagen wegen der spanischen Thronfolgefrage dermaßen entzweit, daß ein gemeinsamer thatkräftiger Widerspruch von ihnen nicht zu erwarten stand; überdies meldete der com- mandirende k. k. General aus Krakau in einem kläglichen Berichte, der na- türlich bestellte Arbeit war: die Ordnung lasse sich schlechterdings nicht mehr aufrecht halten, die förmliche Einverleibung nicht länger mehr hinausschieben. Je ängstlicher der Wiener Hof bisher gezögert hatte, um so rascher schritt er nunmehr an's Werk: er hoffte durch die vollendete Thatsache zugleich die Westmächte zu überraschen und das arglose Preußen zu betrügen. Was war die Geschichte des Zollvereins anders als eine Kette österreichischer Nieder- lagen? Jetzt galt es Rache zu nehmen für so viele Schmach und dem preußischen Nebenbuhler gerade auf dem handelspolitischen Gebiete, wo er bisher immer siegreich gewesen, eine empfindliche Beschämung zu bereiten.
Durch diese fröhliche Hoffnung fühlte sich Metternich wie verjüngt; mit ungewohnter Entschlossenheit bereitete er Schlag auf Schlag die Entschei- dung vor. In den ersten Novembertagen berief er Arnim und Medem zur Conferenz. Am 6. Nov. gab er dem Preußen die schriftliche Zusicherung, daß Oesterreich die drei Punkte jener Denkschrift annehme.*) Ueber alles Weitere -- so sagte er gemüthlich, und der Russe stimmte zu -- könnten Oesterreich und Preußen sich ja späterhin noch verständigen. Arnim ließ sich durch dies sanfte Gerede gewinnen, obgleich er soeben noch aus Berlin die erneute Weisung erhalten hatte, er solle die Einverleibung ablehnen, so lange nicht die Zusagen des April-Protokolls erfüllt und die Handels- fragen geordnet wären.**) Noch am selben Tage unterzeichneten die drei Bevollmächtigten ein Protokoll, das nochmals aussprach, die Schutzmächte befänden sich in "der Nothwendigkeit, eine Schöpfung nicht wieder in's Leben zu rufen und nicht wieder herzustellen, welche, nachdem sie die Langmuth ihrer Begründer erschöpft, sich selber aufgelöst hat." Daraufhin wurde der Vertrag vom 3. Mai 1815, der die Republik begründet hatte, zurück- genommen und förmlich verfügt, daß ihr Gebiet, wie vor dem Jahre 1809,
*) Metternich an Arnim, 6. Nov. 1846.
**) Canitz, Weisung an Arnim, 31. Oct. 1846.
V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
den Krakauer Packhof, die freie Durchfuhr, die Eiſenbahn — durchzuſetzen, ſodann in gründlicher Verhandlung noch andere Entſchädigungen für den preußiſchen Verkehr auszubedingen; der endgiltigen Einverleibung ſollte er keinenfalls eher zuſtimmen als wenn die handelspolitiſche Frage zu Preußens Befriedigung geordnet ſei. Er verſtand aber von volkswirth- ſchaftlichen Dingen nicht das Mindeſte und that auch gar nichts um ſich zu belehren.
Zu Ende Octobers erklärte Metternich plötzlich, nachdem er dem drän- genden ruſſiſchen Geſandten ſo lange widerſtanden hatte: jetzt ſei der rechte Augenblick für die Einverleibung gekommen. Die Zeit war gut gewählt, denn die Weſtmächte hatten ſich eben in dieſen Tagen wegen der ſpaniſchen Thronfolgefrage dermaßen entzweit, daß ein gemeinſamer thatkräftiger Widerſpruch von ihnen nicht zu erwarten ſtand; überdies meldete der com- mandirende k. k. General aus Krakau in einem kläglichen Berichte, der na- türlich beſtellte Arbeit war: die Ordnung laſſe ſich ſchlechterdings nicht mehr aufrecht halten, die förmliche Einverleibung nicht länger mehr hinausſchieben. Je ängſtlicher der Wiener Hof bisher gezögert hatte, um ſo raſcher ſchritt er nunmehr an’s Werk: er hoffte durch die vollendete Thatſache zugleich die Weſtmächte zu überraſchen und das argloſe Preußen zu betrügen. Was war die Geſchichte des Zollvereins anders als eine Kette öſterreichiſcher Nieder- lagen? Jetzt galt es Rache zu nehmen für ſo viele Schmach und dem preußiſchen Nebenbuhler gerade auf dem handelspolitiſchen Gebiete, wo er bisher immer ſiegreich geweſen, eine empfindliche Beſchämung zu bereiten.
Durch dieſe fröhliche Hoffnung fühlte ſich Metternich wie verjüngt; mit ungewohnter Entſchloſſenheit bereitete er Schlag auf Schlag die Entſchei- dung vor. In den erſten Novembertagen berief er Arnim und Medem zur Conferenz. Am 6. Nov. gab er dem Preußen die ſchriftliche Zuſicherung, daß Oeſterreich die drei Punkte jener Denkſchrift annehme.*) Ueber alles Weitere — ſo ſagte er gemüthlich, und der Ruſſe ſtimmte zu — könnten Oeſterreich und Preußen ſich ja ſpäterhin noch verſtändigen. Arnim ließ ſich durch dies ſanfte Gerede gewinnen, obgleich er ſoeben noch aus Berlin die erneute Weiſung erhalten hatte, er ſolle die Einverleibung ablehnen, ſo lange nicht die Zuſagen des April-Protokolls erfüllt und die Handels- fragen geordnet wären.**) Noch am ſelben Tage unterzeichneten die drei Bevollmächtigten ein Protokoll, das nochmals ausſprach, die Schutzmächte befänden ſich in „der Nothwendigkeit, eine Schöpfung nicht wieder in’s Leben zu rufen und nicht wieder herzuſtellen, welche, nachdem ſie die Langmuth ihrer Begründer erſchöpft, ſich ſelber aufgelöſt hat.“ Daraufhin wurde der Vertrag vom 3. Mai 1815, der die Republik begründet hatte, zurück- genommen und förmlich verfügt, daß ihr Gebiet, wie vor dem Jahre 1809,
*) Metternich an Arnim, 6. Nov. 1846.
**) Canitz, Weiſung an Arnim, 31. Oct. 1846.
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[550/0564]
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ſodann in gründlicher Verhandlung noch andere Entſchädigungen für den
preußiſchen Verkehr auszubedingen; der endgiltigen Einverleibung ſollte
er keinenfalls eher zuſtimmen als wenn die handelspolitiſche Frage zu
Preußens Befriedigung geordnet ſei. Er verſtand aber von volkswirth-
ſchaftlichen Dingen nicht das Mindeſte und that auch gar nichts um ſich
zu belehren.
Zu Ende Octobers erklärte Metternich plötzlich, nachdem er dem drän-
genden ruſſiſchen Geſandten ſo lange widerſtanden hatte: jetzt ſei der rechte
Augenblick für die Einverleibung gekommen. Die Zeit war gut gewählt,
denn die Weſtmächte hatten ſich eben in dieſen Tagen wegen der ſpaniſchen
Thronfolgefrage dermaßen entzweit, daß ein gemeinſamer thatkräftiger
Widerſpruch von ihnen nicht zu erwarten ſtand; überdies meldete der com-
mandirende k. k. General aus Krakau in einem kläglichen Berichte, der na-
türlich beſtellte Arbeit war: die Ordnung laſſe ſich ſchlechterdings nicht mehr
aufrecht halten, die förmliche Einverleibung nicht länger mehr hinausſchieben.
Je ängſtlicher der Wiener Hof bisher gezögert hatte, um ſo raſcher ſchritt
er nunmehr an’s Werk: er hoffte durch die vollendete Thatſache zugleich die
Weſtmächte zu überraſchen und das argloſe Preußen zu betrügen. Was war
die Geſchichte des Zollvereins anders als eine Kette öſterreichiſcher Nieder-
lagen? Jetzt galt es Rache zu nehmen für ſo viele Schmach und dem
preußiſchen Nebenbuhler gerade auf dem handelspolitiſchen Gebiete, wo er
bisher immer ſiegreich geweſen, eine empfindliche Beſchämung zu bereiten.
Durch dieſe fröhliche Hoffnung fühlte ſich Metternich wie verjüngt; mit
ungewohnter Entſchloſſenheit bereitete er Schlag auf Schlag die Entſchei-
dung vor. In den erſten Novembertagen berief er Arnim und Medem
zur Conferenz. Am 6. Nov. gab er dem Preußen die ſchriftliche Zuſicherung,
daß Oeſterreich die drei Punkte jener Denkſchrift annehme. *) Ueber alles
Weitere — ſo ſagte er gemüthlich, und der Ruſſe ſtimmte zu — könnten
Oeſterreich und Preußen ſich ja ſpäterhin noch verſtändigen. Arnim ließ
ſich durch dies ſanfte Gerede gewinnen, obgleich er ſoeben noch aus Berlin
die erneute Weiſung erhalten hatte, er ſolle die Einverleibung ablehnen,
ſo lange nicht die Zuſagen des April-Protokolls erfüllt und die Handels-
fragen geordnet wären. **) Noch am ſelben Tage unterzeichneten die drei
Bevollmächtigten ein Protokoll, das nochmals ausſprach, die Schutzmächte
befänden ſich in „der Nothwendigkeit, eine Schöpfung nicht wieder in’s Leben
zu rufen und nicht wieder herzuſtellen, welche, nachdem ſie die Langmuth
ihrer Begründer erſchöpft, ſich ſelber aufgelöſt hat.“ Daraufhin wurde
der Vertrag vom 3. Mai 1815, der die Republik begründet hatte, zurück-
genommen und förmlich verfügt, daß ihr Gebiet, wie vor dem Jahre 1809,
*) Metternich an Arnim, 6. Nov. 1846.
**) Canitz, Weiſung an Arnim, 31. Oct. 1846.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 550. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/564>, abgerufen am 22.11.2024.
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