Englischer als die englischen Minister zeigte sich Bunsen. Der glaubte Alles was die Londoner Presse sagte und versicherte im Ernst, seit Napoleon's Gewaltthaten hätte nichts mehr die britische Nation so furcht- bar erbittert; er wußte nicht, daß Oesterreich die Krakauer Frage zuerst angeregt hatte, und klagte entrüstet, dieser vergiftete Bissen sei durch Ruß- land dem Wiener Hofe dargereicht.*) Statt die reiflich erwogene Rechts- anschauung seiner Regierung gegen das Ausland treu zu vertheidigen schickte er nach Berlin eine lange Denkschrift, welche sich ganz dem ober- flächlichen Gerede der englischen Zeitungen anschloß und den Beweis zu führen suchte, daß alle Unterzeichner der Congreßakte über Krakaus Zu- kunft zu entscheiden hätten.**) Dem Vertrauten des Königs mußte man viel nachsehen. Die Fülle dieser freiwilligen Bunsen'schen Denkschriften, die sich nicht blos über England***), sondern über ganz Europa mit lehr- hafter Sicherheit aussprachen, wurde jedoch auf die Dauer dem lang- müthigen Minister furchtbar. Als praktischer Diplomat war er diesem Gesandten doch immer noch weit überlegen, und er schrieb endlich sanft: "Zuweilen wandelt mich der Gedanke an: ob nicht einstens einmal ein Historiker, wie z. B. Ranke, über unsere Akten kommen und nachsehen könnte, wie diese mit den Zeitungen übereinstimmen oder was noch außerdem über die Geschichte unserer Tage zu finden wäre? Kämen nun einem solchen Manne die von Ew. Exc. über die englischen, französischen, spanischen und polnischen Fragen eingereichten Denkschriften in die Hände, so würde er, nachdem er sich des Fundes erfreut und ihn exploitirt hätte, vielleicht doch auch darnach fragen, was der damalige Minister der Ausw. A. dazu gesagt habe? Scheint es nicht zuweilen, als ob es noth gethan habe, den Verblendeten zu warnen, daß er nicht Alles verderbe und Preußen aus einer glänzende Aussichten gewährenden Stellung in eine verzweiflungs- volle bringe, als ob er inmitten aller Gefahren, welche französische Erobe- rung, russische Unterdrückung, österreichische Hemmnisse und allseitiges Miß- trauen dem Vaterlande drohen, taubstumm und lahm da gestanden hätte?"+)
In solcher Lage konnten die Ostmächte stolz und sicher auftreten. Canitz entwickelte in einem Rundschreiben an die Gesandtschaften (29. Nov.), was den König zu seinem Verfahren bewogen habe. Er schloß mit der zuversichtlichen Behauptung, daß in Posen gar kein Stoff zu einem Auf- stande vorhanden, alle Unruhe nur von außen hereingetragen sei, und "daß es folglich für uns von der größten Wichtigkeit ist, einen Heerd dieser Umtriebe an den Grenzen der preußischen Lande nicht zu dulden oder vollends ihn als Schutz- und Pflegebefohlenen neu wieder aufzubauen,
*) Bunsen's Berichte, 24. Nov, 15. Dec. 1846.
**) Bunsen, Untersuchung über die Krakauer Frage vom materiellen Standpunkte. 1846.
***) Bunsen, Die Verwicklung in den inneren Zuständen Großbritanniens, 13. Juli 1843.
+) Canitz an Bunsen, 13. Jan. 1847.
Schwäche der Weſtmächte.
Engliſcher als die engliſchen Miniſter zeigte ſich Bunſen. Der glaubte Alles was die Londoner Preſſe ſagte und verſicherte im Ernſt, ſeit Napoleon’s Gewaltthaten hätte nichts mehr die britiſche Nation ſo furcht- bar erbittert; er wußte nicht, daß Oeſterreich die Krakauer Frage zuerſt angeregt hatte, und klagte entrüſtet, dieſer vergiftete Biſſen ſei durch Ruß- land dem Wiener Hofe dargereicht.*) Statt die reiflich erwogene Rechts- anſchauung ſeiner Regierung gegen das Ausland treu zu vertheidigen ſchickte er nach Berlin eine lange Denkſchrift, welche ſich ganz dem ober- flächlichen Gerede der engliſchen Zeitungen anſchloß und den Beweis zu führen ſuchte, daß alle Unterzeichner der Congreßakte über Krakaus Zu- kunft zu entſcheiden hätten.**) Dem Vertrauten des Königs mußte man viel nachſehen. Die Fülle dieſer freiwilligen Bunſen’ſchen Denkſchriften, die ſich nicht blos über England***), ſondern über ganz Europa mit lehr- hafter Sicherheit ausſprachen, wurde jedoch auf die Dauer dem lang- müthigen Miniſter furchtbar. Als praktiſcher Diplomat war er dieſem Geſandten doch immer noch weit überlegen, und er ſchrieb endlich ſanft: „Zuweilen wandelt mich der Gedanke an: ob nicht einſtens einmal ein Hiſtoriker, wie z. B. Ranke, über unſere Akten kommen und nachſehen könnte, wie dieſe mit den Zeitungen übereinſtimmen oder was noch außerdem über die Geſchichte unſerer Tage zu finden wäre? Kämen nun einem ſolchen Manne die von Ew. Exc. über die engliſchen, franzöſiſchen, ſpaniſchen und polniſchen Fragen eingereichten Denkſchriften in die Hände, ſo würde er, nachdem er ſich des Fundes erfreut und ihn exploitirt hätte, vielleicht doch auch darnach fragen, was der damalige Miniſter der Ausw. A. dazu geſagt habe? Scheint es nicht zuweilen, als ob es noth gethan habe, den Verblendeten zu warnen, daß er nicht Alles verderbe und Preußen aus einer glänzende Ausſichten gewährenden Stellung in eine verzweiflungs- volle bringe, als ob er inmitten aller Gefahren, welche franzöſiſche Erobe- rung, ruſſiſche Unterdrückung, öſterreichiſche Hemmniſſe und allſeitiges Miß- trauen dem Vaterlande drohen, taubſtumm und lahm da geſtanden hätte?“†)
In ſolcher Lage konnten die Oſtmächte ſtolz und ſicher auftreten. Canitz entwickelte in einem Rundſchreiben an die Geſandtſchaften (29. Nov.), was den König zu ſeinem Verfahren bewogen habe. Er ſchloß mit der zuverſichtlichen Behauptung, daß in Poſen gar kein Stoff zu einem Auf- ſtande vorhanden, alle Unruhe nur von außen hereingetragen ſei, und „daß es folglich für uns von der größten Wichtigkeit iſt, einen Heerd dieſer Umtriebe an den Grenzen der preußiſchen Lande nicht zu dulden oder vollends ihn als Schutz- und Pflegebefohlenen neu wieder aufzubauen,
*) Bunſen’s Berichte, 24. Nov, 15. Dec. 1846.
**) Bunſen, Unterſuchung über die Krakauer Frage vom materiellen Standpunkte. 1846.
***) Bunſen, Die Verwicklung in den inneren Zuſtänden Großbritanniens, 13. Juli 1843.
†) Canitz an Bunſen, 13. Jan. 1847.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0571"n="557"/><fwplace="top"type="header">Schwäche der Weſtmächte.</fw><lb/><p>Engliſcher als die engliſchen Miniſter zeigte ſich Bunſen. Der glaubte<lb/>
Alles was die Londoner Preſſe ſagte und verſicherte im Ernſt, ſeit<lb/>
Napoleon’s Gewaltthaten hätte nichts mehr die britiſche Nation ſo furcht-<lb/>
bar erbittert; er wußte nicht, daß Oeſterreich die Krakauer Frage zuerſt<lb/>
angeregt hatte, und klagte entrüſtet, dieſer vergiftete Biſſen ſei durch Ruß-<lb/>
land dem Wiener Hofe dargereicht.<noteplace="foot"n="*)">Bunſen’s Berichte, 24. Nov, 15. Dec. 1846.</note> Statt die reiflich erwogene Rechts-<lb/>
anſchauung ſeiner Regierung gegen das Ausland treu zu vertheidigen<lb/>ſchickte er nach Berlin eine lange Denkſchrift, welche ſich ganz dem ober-<lb/>
flächlichen Gerede der engliſchen Zeitungen anſchloß und den Beweis zu<lb/>
führen ſuchte, daß alle Unterzeichner der Congreßakte über Krakaus Zu-<lb/>
kunft zu entſcheiden hätten.<noteplace="foot"n="**)">Bunſen, Unterſuchung über die Krakauer Frage vom materiellen Standpunkte.<lb/>
1846.</note> Dem Vertrauten des Königs mußte man<lb/>
viel nachſehen. Die Fülle dieſer freiwilligen Bunſen’ſchen Denkſchriften,<lb/>
die ſich nicht blos über England<noteplace="foot"n="***)">Bunſen, Die Verwicklung in den inneren Zuſtänden Großbritanniens, 13. Juli 1843.</note>, ſondern über ganz Europa mit lehr-<lb/>
hafter Sicherheit ausſprachen, wurde jedoch auf die Dauer dem lang-<lb/>
müthigen Miniſter furchtbar. Als praktiſcher Diplomat war er dieſem<lb/>
Geſandten doch immer noch weit überlegen, und er ſchrieb endlich ſanft:<lb/>„Zuweilen wandelt mich der Gedanke an: ob nicht einſtens einmal ein<lb/>
Hiſtoriker, wie z. B. Ranke, über unſere Akten kommen und nachſehen könnte,<lb/>
wie dieſe mit den Zeitungen übereinſtimmen oder was noch außerdem über<lb/>
die Geſchichte unſerer Tage zu finden wäre? Kämen nun einem ſolchen<lb/>
Manne die von Ew. Exc. über die engliſchen, franzöſiſchen, ſpaniſchen<lb/>
und polniſchen Fragen eingereichten Denkſchriften in die Hände, ſo würde<lb/>
er, nachdem er ſich des Fundes erfreut und ihn exploitirt hätte, vielleicht<lb/>
doch auch darnach fragen, was der damalige Miniſter der Ausw. A. dazu<lb/>
geſagt habe? Scheint es nicht zuweilen, als ob es noth gethan habe, den<lb/>
Verblendeten zu warnen, daß er nicht Alles verderbe und Preußen aus<lb/>
einer glänzende Ausſichten gewährenden Stellung in eine verzweiflungs-<lb/>
volle bringe, als ob er inmitten aller Gefahren, welche franzöſiſche Erobe-<lb/>
rung, ruſſiſche Unterdrückung, öſterreichiſche Hemmniſſe und allſeitiges Miß-<lb/>
trauen dem Vaterlande drohen, taubſtumm und lahm da geſtanden hätte?“<noteplace="foot"n="†)">Canitz an Bunſen, 13. Jan. 1847.</note></p><lb/><p>In ſolcher Lage konnten die Oſtmächte ſtolz und ſicher auftreten.<lb/>
Canitz entwickelte in einem Rundſchreiben an die Geſandtſchaften (29. Nov.),<lb/>
was den König zu ſeinem Verfahren bewogen habe. Er ſchloß mit der<lb/>
zuverſichtlichen Behauptung, daß in Poſen gar kein Stoff zu einem Auf-<lb/>ſtande vorhanden, alle Unruhe nur von außen hereingetragen ſei, und<lb/>„daß es folglich für uns von der größten Wichtigkeit iſt, einen Heerd dieſer<lb/>
Umtriebe an den Grenzen der preußiſchen Lande nicht zu dulden oder<lb/>
vollends ihn als Schutz- und Pflegebefohlenen neu wieder aufzubauen,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[557/0571]
Schwäche der Weſtmächte.
Engliſcher als die engliſchen Miniſter zeigte ſich Bunſen. Der glaubte
Alles was die Londoner Preſſe ſagte und verſicherte im Ernſt, ſeit
Napoleon’s Gewaltthaten hätte nichts mehr die britiſche Nation ſo furcht-
bar erbittert; er wußte nicht, daß Oeſterreich die Krakauer Frage zuerſt
angeregt hatte, und klagte entrüſtet, dieſer vergiftete Biſſen ſei durch Ruß-
land dem Wiener Hofe dargereicht. *) Statt die reiflich erwogene Rechts-
anſchauung ſeiner Regierung gegen das Ausland treu zu vertheidigen
ſchickte er nach Berlin eine lange Denkſchrift, welche ſich ganz dem ober-
flächlichen Gerede der engliſchen Zeitungen anſchloß und den Beweis zu
führen ſuchte, daß alle Unterzeichner der Congreßakte über Krakaus Zu-
kunft zu entſcheiden hätten. **) Dem Vertrauten des Königs mußte man
viel nachſehen. Die Fülle dieſer freiwilligen Bunſen’ſchen Denkſchriften,
die ſich nicht blos über England ***), ſondern über ganz Europa mit lehr-
hafter Sicherheit ausſprachen, wurde jedoch auf die Dauer dem lang-
müthigen Miniſter furchtbar. Als praktiſcher Diplomat war er dieſem
Geſandten doch immer noch weit überlegen, und er ſchrieb endlich ſanft:
„Zuweilen wandelt mich der Gedanke an: ob nicht einſtens einmal ein
Hiſtoriker, wie z. B. Ranke, über unſere Akten kommen und nachſehen könnte,
wie dieſe mit den Zeitungen übereinſtimmen oder was noch außerdem über
die Geſchichte unſerer Tage zu finden wäre? Kämen nun einem ſolchen
Manne die von Ew. Exc. über die engliſchen, franzöſiſchen, ſpaniſchen
und polniſchen Fragen eingereichten Denkſchriften in die Hände, ſo würde
er, nachdem er ſich des Fundes erfreut und ihn exploitirt hätte, vielleicht
doch auch darnach fragen, was der damalige Miniſter der Ausw. A. dazu
geſagt habe? Scheint es nicht zuweilen, als ob es noth gethan habe, den
Verblendeten zu warnen, daß er nicht Alles verderbe und Preußen aus
einer glänzende Ausſichten gewährenden Stellung in eine verzweiflungs-
volle bringe, als ob er inmitten aller Gefahren, welche franzöſiſche Erobe-
rung, ruſſiſche Unterdrückung, öſterreichiſche Hemmniſſe und allſeitiges Miß-
trauen dem Vaterlande drohen, taubſtumm und lahm da geſtanden hätte?“ †)
In ſolcher Lage konnten die Oſtmächte ſtolz und ſicher auftreten.
Canitz entwickelte in einem Rundſchreiben an die Geſandtſchaften (29. Nov.),
was den König zu ſeinem Verfahren bewogen habe. Er ſchloß mit der
zuverſichtlichen Behauptung, daß in Poſen gar kein Stoff zu einem Auf-
ſtande vorhanden, alle Unruhe nur von außen hereingetragen ſei, und
„daß es folglich für uns von der größten Wichtigkeit iſt, einen Heerd dieſer
Umtriebe an den Grenzen der preußiſchen Lande nicht zu dulden oder
vollends ihn als Schutz- und Pflegebefohlenen neu wieder aufzubauen,
*) Bunſen’s Berichte, 24. Nov, 15. Dec. 1846.
**) Bunſen, Unterſuchung über die Krakauer Frage vom materiellen Standpunkte.
1846.
***) Bunſen, Die Verwicklung in den inneren Zuſtänden Großbritanniens, 13. Juli 1843.
†) Canitz an Bunſen, 13. Jan. 1847.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 557. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/571>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.