den König zuweilen zu sarkastischen Randbemerkungen veranlaßte, höchst gewissenhaft, was der Hof während des größten Theiles des Sommers, pendant la pluralite de l'ete, Alles vorzunehmen gedenke.*) Als die schleswigholsteinischen Wirren begannen, zeigte er sich sehr ungehalten über die Unbotmäßigkeit der Deutschen; von der unersättlichen Begehrlichkeit, der List, der berechneten Zurückhaltung des augustenburgischen "Prätendenten" sprach er ganz so entrüstet wie seine dänischen Freunde;**) und wenngleich er zuweilen auch die Gehässigkeit der Dänen bitter beklagte, so hatte er doch von dem Sinne des nationalen Kampfes gar keine Ahnung.
Diese lächerlichen Gesandtschaftsberichte konnten das Urtheil König Friedrich Wilhelm's nicht beirren. Er bedauerte zwar den Haß zwischen Deutschen und Dänen, wie Canitz sagte, als "eine der ärgsten Tollheiten unseres erleuchteten Jahrhunderts";***) er wünschte von ganzem Herzen die Fortdauer des dänischen Gesammtstaates und wollte auch seinen könig- lichen Freund, der ihn soeben, bei einem Besuche in Kopenhagen, mit Zärtlichkeit überschüttet hatte, durchaus nicht kränken. Aber das Recht blieb ihm heilig. Schon im Jahre 1845 ließ er sich von den Juristen Eichhorn und Lancizolle ein Gutachten über die Erbfolgefrage erstatten, und obwohl diese Denkschrift sehr unsicher lautete, so überzeugte er sich doch nach und nach selber von dem besseren Rechte der Augustenburger. Wie Metternich hoffte er den Streit durch einen Verzicht der hessischen Linie und durch die Thronfolge der Agnaten im Gesammtstaate friedlich beizulegen: dann konnten die befreundeten Dänen unter Augustenburgi- schen Königen bis an das Ende aller Dinge in Kiel und Altona hausen. Freilich war die Uebereinstimmung nicht vollständig, denn der Wiener Hof betrachtete die Integrität Dänemarks als das Wesentliche, der Ber- liner das deutsche Recht der Herzogthümer und der Agnaten. Im Noth- falle -- das deutete schon jenes Rechtsgutachten an -- wollte Preußen selbst ein souveränes Schleswigholstein unter deutschem Fürstenhause an- erkennen. Die dänischen, nicht die holsteinischen Landstände, so meinte Canitz, haben den Streit angefangen. Die Dänen sind die Revolutionäre und zudem erfüllt von absurdem Hasse gegen Deutschland. Sie miß- brauchen unehrlich den Gedanken der Nationalität um den politischen Frieden von oben her zu stören, wie die Polen von unten her. Wir wün- schen die Integrität der dänischen Monarchie, aber ohne Schädigung deutscher Rechte.+)
Zunächst hatte der Bundestag auf die holsteinischen Beschwerden zu antworten. Metternich behauptete zwar anfangs, diese Sache gehe den Bund gar nichts an, jedoch auf Canitz's lebhaftes Andrängen gab er nach
*) Schoultz v. Ascheraden's Bericht, 10. April 1847.
**) Schoultz v. Ascheraden's Bericht, 11. Dec. 1846.
***) Canitz an Rochow, 9. Nov. 1845.
+) Canitz an Rochow, 2. 21. Oct. 1847.
V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
den König zuweilen zu ſarkaſtiſchen Randbemerkungen veranlaßte, höchſt gewiſſenhaft, was der Hof während des größten Theiles des Sommers, pendant la pluralité de l’été, Alles vorzunehmen gedenke.*) Als die ſchleswigholſteiniſchen Wirren begannen, zeigte er ſich ſehr ungehalten über die Unbotmäßigkeit der Deutſchen; von der unerſättlichen Begehrlichkeit, der Liſt, der berechneten Zurückhaltung des auguſtenburgiſchen „Prätendenten“ ſprach er ganz ſo entrüſtet wie ſeine däniſchen Freunde;**) und wenngleich er zuweilen auch die Gehäſſigkeit der Dänen bitter beklagte, ſo hatte er doch von dem Sinne des nationalen Kampfes gar keine Ahnung.
Dieſe lächerlichen Geſandtſchaftsberichte konnten das Urtheil König Friedrich Wilhelm’s nicht beirren. Er bedauerte zwar den Haß zwiſchen Deutſchen und Dänen, wie Canitz ſagte, als „eine der ärgſten Tollheiten unſeres erleuchteten Jahrhunderts“;***) er wünſchte von ganzem Herzen die Fortdauer des däniſchen Geſammtſtaates und wollte auch ſeinen könig- lichen Freund, der ihn ſoeben, bei einem Beſuche in Kopenhagen, mit Zärtlichkeit überſchüttet hatte, durchaus nicht kränken. Aber das Recht blieb ihm heilig. Schon im Jahre 1845 ließ er ſich von den Juriſten Eichhorn und Lancizolle ein Gutachten über die Erbfolgefrage erſtatten, und obwohl dieſe Denkſchrift ſehr unſicher lautete, ſo überzeugte er ſich doch nach und nach ſelber von dem beſſeren Rechte der Auguſtenburger. Wie Metternich hoffte er den Streit durch einen Verzicht der heſſiſchen Linie und durch die Thronfolge der Agnaten im Geſammtſtaate friedlich beizulegen: dann konnten die befreundeten Dänen unter Auguſtenburgi- ſchen Königen bis an das Ende aller Dinge in Kiel und Altona hauſen. Freilich war die Uebereinſtimmung nicht vollſtändig, denn der Wiener Hof betrachtete die Integrität Dänemarks als das Weſentliche, der Ber- liner das deutſche Recht der Herzogthümer und der Agnaten. Im Noth- falle — das deutete ſchon jenes Rechtsgutachten an — wollte Preußen ſelbſt ein ſouveränes Schleswigholſtein unter deutſchem Fürſtenhauſe an- erkennen. Die däniſchen, nicht die holſteiniſchen Landſtände, ſo meinte Canitz, haben den Streit angefangen. Die Dänen ſind die Revolutionäre und zudem erfüllt von abſurdem Haſſe gegen Deutſchland. Sie miß- brauchen unehrlich den Gedanken der Nationalität um den politiſchen Frieden von oben her zu ſtören, wie die Polen von unten her. Wir wün- ſchen die Integrität der däniſchen Monarchie, aber ohne Schädigung deutſcher Rechte.†)
Zunächſt hatte der Bundestag auf die holſteiniſchen Beſchwerden zu antworten. Metternich behauptete zwar anfangs, dieſe Sache gehe den Bund gar nichts an, jedoch auf Canitz’s lebhaftes Andrängen gab er nach
*) Schoultz v. Aſcheraden’s Bericht, 10. April 1847.
**) Schoultz v. Aſcheraden’s Bericht, 11. Dec. 1846.
***) Canitz an Rochow, 9. Nov. 1845.
†) Canitz an Rochow, 2. 21. Oct. 1847.
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V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
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gewiſſenhaft, was der Hof während des größten Theiles des Sommers,
pendant la pluralité de l’été, Alles vorzunehmen gedenke. *) Als die
ſchleswigholſteiniſchen Wirren begannen, zeigte er ſich ſehr ungehalten über
die Unbotmäßigkeit der Deutſchen; von der unerſättlichen Begehrlichkeit, der
Liſt, der berechneten Zurückhaltung des auguſtenburgiſchen „Prätendenten“
ſprach er ganz ſo entrüſtet wie ſeine däniſchen Freunde; **) und wenngleich
er zuweilen auch die Gehäſſigkeit der Dänen bitter beklagte, ſo hatte er
doch von dem Sinne des nationalen Kampfes gar keine Ahnung.
Dieſe lächerlichen Geſandtſchaftsberichte konnten das Urtheil König
Friedrich Wilhelm’s nicht beirren. Er bedauerte zwar den Haß zwiſchen
Deutſchen und Dänen, wie Canitz ſagte, als „eine der ärgſten Tollheiten
unſeres erleuchteten Jahrhunderts“; ***) er wünſchte von ganzem Herzen
die Fortdauer des däniſchen Geſammtſtaates und wollte auch ſeinen könig-
lichen Freund, der ihn ſoeben, bei einem Beſuche in Kopenhagen, mit
Zärtlichkeit überſchüttet hatte, durchaus nicht kränken. Aber das Recht
blieb ihm heilig. Schon im Jahre 1845 ließ er ſich von den Juriſten
Eichhorn und Lancizolle ein Gutachten über die Erbfolgefrage erſtatten,
und obwohl dieſe Denkſchrift ſehr unſicher lautete, ſo überzeugte er ſich
doch nach und nach ſelber von dem beſſeren Rechte der Auguſtenburger.
Wie Metternich hoffte er den Streit durch einen Verzicht der heſſiſchen
Linie und durch die Thronfolge der Agnaten im Geſammtſtaate friedlich
beizulegen: dann konnten die befreundeten Dänen unter Auguſtenburgi-
ſchen Königen bis an das Ende aller Dinge in Kiel und Altona hauſen.
Freilich war die Uebereinſtimmung nicht vollſtändig, denn der Wiener
Hof betrachtete die Integrität Dänemarks als das Weſentliche, der Ber-
liner das deutſche Recht der Herzogthümer und der Agnaten. Im Noth-
falle — das deutete ſchon jenes Rechtsgutachten an — wollte Preußen
ſelbſt ein ſouveränes Schleswigholſtein unter deutſchem Fürſtenhauſe an-
erkennen. Die däniſchen, nicht die holſteiniſchen Landſtände, ſo meinte
Canitz, haben den Streit angefangen. Die Dänen ſind die Revolutionäre
und zudem erfüllt von abſurdem Haſſe gegen Deutſchland. Sie miß-
brauchen unehrlich den Gedanken der Nationalität um den politiſchen
Frieden von oben her zu ſtören, wie die Polen von unten her. Wir wün-
ſchen die Integrität der däniſchen Monarchie, aber ohne Schädigung
deutſcher Rechte. †)
Zunächſt hatte der Bundestag auf die holſteiniſchen Beſchwerden zu
antworten. Metternich behauptete zwar anfangs, dieſe Sache gehe den
Bund gar nichts an, jedoch auf Canitz’s lebhaftes Andrängen gab er nach
*) Schoultz v. Aſcheraden’s Bericht, 10. April 1847.
**) Schoultz v. Aſcheraden’s Bericht, 11. Dec. 1846.
***) Canitz an Rochow, 9. Nov. 1845.
†) Canitz an Rochow, 2. 21. Oct. 1847.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/598>, abgerufen am 22.11.2024.
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