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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Bundesbeschluß über den Offenen Brief.
und genehmigte, daß ein Bundesbeschluß die Rechte Deutschlands in mil-
der Form verwahren, aber zugleich dem unleidlichen Halli-Halloh der
Liberalen scharf entgegentreten solle. Sein getreuer Münch, der ganz dänisch
gesinnt war, mußte also, wie Canitz spottete, "diesmal aus dem magischen
Kreise der Incompetenz-Erklärungen hinaustreten" und das Geschäft mit
einer in Frankfurt ganz unerhörten Eile betreiben.*) Man konnte nicht
anders. Die Landtage, die Presse, zahllose Eingaben aller Art bestürmten
den Bundestag. Als "ein ernstes Zeichen der Zeit" erwähnte der preußische
Bundesgesandte auch die Zuschrift eines begeisterten Berliner Studenten,
der sich späterhin noch einen guten Namen machen sollte. Dieser junge
Mann rieth dem Bundestage, schleunigst einen Bundescommissär nach
Kopenhagen zu senden und entschuldigte seine Vermessenheit "mit dem
Beispiel der Jungfrau von Orleans, die auch nur eine arme Schäferin
gewesen sei, aber ihr Vaterland doch gerettet habe."**)

Frhr. v. Pechlin, der dänische Bevollmächtigte, der im Herzensgrunde
doch deutsch empfand und dem Offenen Briefe nur sehr ungern zugestimmt
hatte, gab die versöhnlichsten Erklärungen: er betheuerte heilig, seinem Könige
sei nie in den Sinn gekommen, die Rechte des Deutschen Bundes zu ver-
letzen; er gestand sogar zu, daß die beiden Herzogthümer alle öffentlichen
Rechtsverhältnisse -- bis auf die Provinzialstände und wenige andere Insti-
tutionen -- mit einander gemein hätten. Da nun auch der Offene Brief
selbst noch nichts anordnete, sondern nur die persönlichen Ansichten des
Königs kundgab, so sprach der Bundestag am 17. Sept. die vertrauensvolle
Erwartung aus: der König würde bei endgiltiger Feststellung dieser Ver-
hältnisse die Rechte Aller und Jeder, insbesondere die Rechte des Bundes,
der Agnaten und der holsteinischen Landstände beachten. Zugleich forderte
er die Regierungen auf, den leidenschaftlichen Ausbrüchen einer anerkennens-
werthen patriotischen Gesinnung "gehörige Schranken zu setzen". Alle
stimmten zu, auch Pechlin selber. Nur Kurhessen wollte die Verwarnung
der deutschen Patrioten schärfer gefaßt sehen; der Luxemburger endlich
behauptete keine Weisungen zu haben, offenbar weil er fürchtete, bald könnte
auch Luxemburg an die Reihe kommen. Wie matt und schüchtern der
Beschluß auch klang, ganz leer war er nicht. Der Bundestag hatte sich,
allen seinen Gewohnheiten entgegen, doch nicht wieder für unzuständig
erklärt, er behielt sich doch ausdrücklich seine Rechte vor und erlangte
also zum ersten male einiges Lob bei den gemäßigten Parteien.

König Christian merkte auch selbst, daß er mit der Politik des Offenen
Briefes nicht mehr weiter kam; er fühlte sich tief unglücklich und konnte
seine Stimmung sogar vor Schoultz-Ascheraden's blöden Augen nicht ganz
verbergen.***) Gegen den preußischen General Wrangel beklagte er sich

*) Canitz an Rochow, 7. Sept. Dönhoff's Berichte, Frankfurt, 22. Aug., 2. Sept. 1846.
**) Dönhoff's Bericht, 17. Sept. 1846.
***) Schoultz v. Ascheraden's Bericht, 4. Nov. 1846.

Bundesbeſchluß über den Offenen Brief.
und genehmigte, daß ein Bundesbeſchluß die Rechte Deutſchlands in mil-
der Form verwahren, aber zugleich dem unleidlichen Halli-Halloh der
Liberalen ſcharf entgegentreten ſolle. Sein getreuer Münch, der ganz däniſch
geſinnt war, mußte alſo, wie Canitz ſpottete, „diesmal aus dem magiſchen
Kreiſe der Incompetenz-Erklärungen hinaustreten“ und das Geſchäft mit
einer in Frankfurt ganz unerhörten Eile betreiben.*) Man konnte nicht
anders. Die Landtage, die Preſſe, zahlloſe Eingaben aller Art beſtürmten
den Bundestag. Als „ein ernſtes Zeichen der Zeit“ erwähnte der preußiſche
Bundesgeſandte auch die Zuſchrift eines begeiſterten Berliner Studenten,
der ſich ſpäterhin noch einen guten Namen machen ſollte. Dieſer junge
Mann rieth dem Bundestage, ſchleunigſt einen Bundescommiſſär nach
Kopenhagen zu ſenden und entſchuldigte ſeine Vermeſſenheit „mit dem
Beiſpiel der Jungfrau von Orleans, die auch nur eine arme Schäferin
geweſen ſei, aber ihr Vaterland doch gerettet habe.“**)

Frhr. v. Pechlin, der däniſche Bevollmächtigte, der im Herzensgrunde
doch deutſch empfand und dem Offenen Briefe nur ſehr ungern zugeſtimmt
hatte, gab die verſöhnlichſten Erklärungen: er betheuerte heilig, ſeinem Könige
ſei nie in den Sinn gekommen, die Rechte des Deutſchen Bundes zu ver-
letzen; er geſtand ſogar zu, daß die beiden Herzogthümer alle öffentlichen
Rechtsverhältniſſe — bis auf die Provinzialſtände und wenige andere Inſti-
tutionen — mit einander gemein hätten. Da nun auch der Offene Brief
ſelbſt noch nichts anordnete, ſondern nur die perſönlichen Anſichten des
Königs kundgab, ſo ſprach der Bundestag am 17. Sept. die vertrauensvolle
Erwartung aus: der König würde bei endgiltiger Feſtſtellung dieſer Ver-
hältniſſe die Rechte Aller und Jeder, insbeſondere die Rechte des Bundes,
der Agnaten und der holſteiniſchen Landſtände beachten. Zugleich forderte
er die Regierungen auf, den leidenſchaftlichen Ausbrüchen einer anerkennens-
werthen patriotiſchen Geſinnung „gehörige Schranken zu ſetzen“. Alle
ſtimmten zu, auch Pechlin ſelber. Nur Kurheſſen wollte die Verwarnung
der deutſchen Patrioten ſchärfer gefaßt ſehen; der Luxemburger endlich
behauptete keine Weiſungen zu haben, offenbar weil er fürchtete, bald könnte
auch Luxemburg an die Reihe kommen. Wie matt und ſchüchtern der
Beſchluß auch klang, ganz leer war er nicht. Der Bundestag hatte ſich,
allen ſeinen Gewohnheiten entgegen, doch nicht wieder für unzuſtändig
erklärt, er behielt ſich doch ausdrücklich ſeine Rechte vor und erlangte
alſo zum erſten male einiges Lob bei den gemäßigten Parteien.

König Chriſtian merkte auch ſelbſt, daß er mit der Politik des Offenen
Briefes nicht mehr weiter kam; er fühlte ſich tief unglücklich und konnte
ſeine Stimmung ſogar vor Schoultz-Aſcheraden’s blöden Augen nicht ganz
verbergen.***) Gegen den preußiſchen General Wrangel beklagte er ſich

*) Canitz an Rochow, 7. Sept. Dönhoff’s Berichte, Frankfurt, 22. Aug., 2. Sept. 1846.
**) Dönhoff’s Bericht, 17. Sept. 1846.
***) Schoultz v. Aſcheraden’s Bericht, 4. Nov. 1846.
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[585/0599] Bundesbeſchluß über den Offenen Brief. und genehmigte, daß ein Bundesbeſchluß die Rechte Deutſchlands in mil- der Form verwahren, aber zugleich dem unleidlichen Halli-Halloh der Liberalen ſcharf entgegentreten ſolle. Sein getreuer Münch, der ganz däniſch geſinnt war, mußte alſo, wie Canitz ſpottete, „diesmal aus dem magiſchen Kreiſe der Incompetenz-Erklärungen hinaustreten“ und das Geſchäft mit einer in Frankfurt ganz unerhörten Eile betreiben. *) Man konnte nicht anders. Die Landtage, die Preſſe, zahlloſe Eingaben aller Art beſtürmten den Bundestag. Als „ein ernſtes Zeichen der Zeit“ erwähnte der preußiſche Bundesgeſandte auch die Zuſchrift eines begeiſterten Berliner Studenten, der ſich ſpäterhin noch einen guten Namen machen ſollte. Dieſer junge Mann rieth dem Bundestage, ſchleunigſt einen Bundescommiſſär nach Kopenhagen zu ſenden und entſchuldigte ſeine Vermeſſenheit „mit dem Beiſpiel der Jungfrau von Orleans, die auch nur eine arme Schäferin geweſen ſei, aber ihr Vaterland doch gerettet habe.“ **) Frhr. v. Pechlin, der däniſche Bevollmächtigte, der im Herzensgrunde doch deutſch empfand und dem Offenen Briefe nur ſehr ungern zugeſtimmt hatte, gab die verſöhnlichſten Erklärungen: er betheuerte heilig, ſeinem Könige ſei nie in den Sinn gekommen, die Rechte des Deutſchen Bundes zu ver- letzen; er geſtand ſogar zu, daß die beiden Herzogthümer alle öffentlichen Rechtsverhältniſſe — bis auf die Provinzialſtände und wenige andere Inſti- tutionen — mit einander gemein hätten. Da nun auch der Offene Brief ſelbſt noch nichts anordnete, ſondern nur die perſönlichen Anſichten des Königs kundgab, ſo ſprach der Bundestag am 17. Sept. die vertrauensvolle Erwartung aus: der König würde bei endgiltiger Feſtſtellung dieſer Ver- hältniſſe die Rechte Aller und Jeder, insbeſondere die Rechte des Bundes, der Agnaten und der holſteiniſchen Landſtände beachten. Zugleich forderte er die Regierungen auf, den leidenſchaftlichen Ausbrüchen einer anerkennens- werthen patriotiſchen Geſinnung „gehörige Schranken zu ſetzen“. Alle ſtimmten zu, auch Pechlin ſelber. Nur Kurheſſen wollte die Verwarnung der deutſchen Patrioten ſchärfer gefaßt ſehen; der Luxemburger endlich behauptete keine Weiſungen zu haben, offenbar weil er fürchtete, bald könnte auch Luxemburg an die Reihe kommen. Wie matt und ſchüchtern der Beſchluß auch klang, ganz leer war er nicht. Der Bundestag hatte ſich, allen ſeinen Gewohnheiten entgegen, doch nicht wieder für unzuſtändig erklärt, er behielt ſich doch ausdrücklich ſeine Rechte vor und erlangte alſo zum erſten male einiges Lob bei den gemäßigten Parteien. König Chriſtian merkte auch ſelbſt, daß er mit der Politik des Offenen Briefes nicht mehr weiter kam; er fühlte ſich tief unglücklich und konnte ſeine Stimmung ſogar vor Schoultz-Aſcheraden’s blöden Augen nicht ganz verbergen. ***) Gegen den preußiſchen General Wrangel beklagte er ſich *) Canitz an Rochow, 7. Sept. Dönhoff’s Berichte, Frankfurt, 22. Aug., 2. Sept. 1846. **) Dönhoff’s Bericht, 17. Sept. 1846. ***) Schoultz v. Aſcheraden’s Bericht, 4. Nov. 1846.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 585. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/599>, abgerufen am 22.11.2024.