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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 7. Polen und Schleswigholstein.
bitterlich: wie ihn die Deutschen so ganz verkennen könnten; niemals
hätte er daran gedacht, Schleswigholstein von Deutschland loszureißen.
Im Juni 1847 sendete er einen alten Freund, den Grafen Löwenstern,
der seinem Könige diesen letzten Ritterdienst nicht verweigern mochte, nach
Berlin um wegen der Erbfolgefrage Rath einzuholen. Canitz erwiderte:
das einzige Mittel den Gesammtstaat zu erhalten sei die Aufhebung
des Königsgesetzes und das Königthum der Augustenburger. Das wies
der alte Däne weit von sich; am Wiener Hofe aber wurde ihm, offen-
bar nach Verabredung, gleich nachher dieselbe Antwort ertheilt.*) Nun-
mehr hoffte König Christian sein Ziel auf einem neuen, noch seltsameren
Umwege zu erreichen; er wollte seinem Gesammtstaate -- nach dem Vor-
bilde des Preußischen Vereinigten Landtags, dessen Verhandlungen er mit
gespannter Aufmerksamkeit verfolgte -- einen gemeinsamen Reichstag ge-
währen. Mit Hilfe der dänisch gesinnten Mehrheit dieses Reichstags dachte
er dann späterhin die Thronfolge der weiblichen Linie im ganzen Reiche
durchzusetzen. In was für Künsteleien verlor sich wieder die Ueberklug-
heit des Monarchen! Nach Allem was geschehen, mußte die Thronfolge-
frage jetzt vor der Verfassungsfrage entschieden werden; denn so lange
noch nicht fest stand, ob der Gesammtstaat selber fortdauern würde, konnten
die Schleswigholsteiner einer Gesammtstaatsverfassung doch schwerlich zu-
stimmen. Während der nächsten Monate ließ der König seinen Verfassungs-
plan durch Carl Moltke und den unentbehrlichen Adler ausarbeiten. Da
starb er plötzlich nach kurzer Krankheit am 20. Jan. 1848, wohl der geist-
reichste aus der langen eintönigen Reihe der Oldenburgischen Könige, und
doch ein Mann des Unheils, ein Herrscher, der die Macht seines Hauses
selbst zerstörte, weil er das Recht seiner Völker mißachtete.

Die Todesnachricht erschütterte das Land im Innersten. Die Dänen
hofften, die Deutschen fürchteten Alles von dem Thronfolger. Nach aller
Wahrscheinlichkeit war Friedrich VII. der letzte König seines Stammes;
denn er hatte damals schon ein Liebesverhältniß mit der Putzmacherin
Rasmussen angeknüpft, und dies gemeine Weib, die natürliche Bundes-
genossin der Kopenhagener Demokratie, hielt ihn so fest umstrickt, daß eine
dritte fürstliche Heirath fast unmöglich schien. Mit albernem, läppischem
Zeitvertreib brachte er seine Tage dahin und fühlte sich wohl in schlechter
Gesellschaft, die freilich nicht murren durfte, wenn es ihm plötzlich einfiel
den Fürsten herauszukehren. Roh, ungebildet, grob sinnlich, jähzornig,
nicht ohne Verstand und derben Humor, lernte er niemals ernsthaft zu
arbeiten. Als eingefleischter Däne haßte er alles Fremde; die ausgelassene
Lustigkeit der Matrosen, die in der C4's Halle und in den anderen Spe-
lunken an der Kopenhagener Knüppelbrücke ihre Späße trieben, behagte

*) Berichte von Graf Platen, Berlin, 11. Juni; von Graf Arnim, Wien, 14. Juni
1847.

V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
bitterlich: wie ihn die Deutſchen ſo ganz verkennen könnten; niemals
hätte er daran gedacht, Schleswigholſtein von Deutſchland loszureißen.
Im Juni 1847 ſendete er einen alten Freund, den Grafen Löwenſtern,
der ſeinem Könige dieſen letzten Ritterdienſt nicht verweigern mochte, nach
Berlin um wegen der Erbfolgefrage Rath einzuholen. Canitz erwiderte:
das einzige Mittel den Geſammtſtaat zu erhalten ſei die Aufhebung
des Königsgeſetzes und das Königthum der Auguſtenburger. Das wies
der alte Däne weit von ſich; am Wiener Hofe aber wurde ihm, offen-
bar nach Verabredung, gleich nachher dieſelbe Antwort ertheilt.*) Nun-
mehr hoffte König Chriſtian ſein Ziel auf einem neuen, noch ſeltſameren
Umwege zu erreichen; er wollte ſeinem Geſammtſtaate — nach dem Vor-
bilde des Preußiſchen Vereinigten Landtags, deſſen Verhandlungen er mit
geſpannter Aufmerkſamkeit verfolgte — einen gemeinſamen Reichstag ge-
währen. Mit Hilfe der däniſch geſinnten Mehrheit dieſes Reichstags dachte
er dann ſpäterhin die Thronfolge der weiblichen Linie im ganzen Reiche
durchzuſetzen. In was für Künſteleien verlor ſich wieder die Ueberklug-
heit des Monarchen! Nach Allem was geſchehen, mußte die Thronfolge-
frage jetzt vor der Verfaſſungsfrage entſchieden werden; denn ſo lange
noch nicht feſt ſtand, ob der Geſammtſtaat ſelber fortdauern würde, konnten
die Schleswigholſteiner einer Geſammtſtaatsverfaſſung doch ſchwerlich zu-
ſtimmen. Während der nächſten Monate ließ der König ſeinen Verfaſſungs-
plan durch Carl Moltke und den unentbehrlichen Adler ausarbeiten. Da
ſtarb er plötzlich nach kurzer Krankheit am 20. Jan. 1848, wohl der geiſt-
reichſte aus der langen eintönigen Reihe der Oldenburgiſchen Könige, und
doch ein Mann des Unheils, ein Herrſcher, der die Macht ſeines Hauſes
ſelbſt zerſtörte, weil er das Recht ſeiner Völker mißachtete.

Die Todesnachricht erſchütterte das Land im Innerſten. Die Dänen
hofften, die Deutſchen fürchteten Alles von dem Thronfolger. Nach aller
Wahrſcheinlichkeit war Friedrich VII. der letzte König ſeines Stammes;
denn er hatte damals ſchon ein Liebesverhältniß mit der Putzmacherin
Rasmuſſen angeknüpft, und dies gemeine Weib, die natürliche Bundes-
genoſſin der Kopenhagener Demokratie, hielt ihn ſo feſt umſtrickt, daß eine
dritte fürſtliche Heirath faſt unmöglich ſchien. Mit albernem, läppiſchem
Zeitvertreib brachte er ſeine Tage dahin und fühlte ſich wohl in ſchlechter
Geſellſchaft, die freilich nicht murren durfte, wenn es ihm plötzlich einfiel
den Fürſten herauszukehren. Roh, ungebildet, grob ſinnlich, jähzornig,
nicht ohne Verſtand und derben Humor, lernte er niemals ernſthaft zu
arbeiten. Als eingefleiſchter Däne haßte er alles Fremde; die ausgelaſſene
Luſtigkeit der Matroſen, die in der C4’s Halle und in den anderen Spe-
lunken an der Kopenhagener Knüppelbrücke ihre Späße trieben, behagte

*) Berichte von Graf Platen, Berlin, 11. Juni; von Graf Arnim, Wien, 14. Juni
1847.
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[586/0600] V. 7. Polen und Schleswigholſtein. bitterlich: wie ihn die Deutſchen ſo ganz verkennen könnten; niemals hätte er daran gedacht, Schleswigholſtein von Deutſchland loszureißen. Im Juni 1847 ſendete er einen alten Freund, den Grafen Löwenſtern, der ſeinem Könige dieſen letzten Ritterdienſt nicht verweigern mochte, nach Berlin um wegen der Erbfolgefrage Rath einzuholen. Canitz erwiderte: das einzige Mittel den Geſammtſtaat zu erhalten ſei die Aufhebung des Königsgeſetzes und das Königthum der Auguſtenburger. Das wies der alte Däne weit von ſich; am Wiener Hofe aber wurde ihm, offen- bar nach Verabredung, gleich nachher dieſelbe Antwort ertheilt. *) Nun- mehr hoffte König Chriſtian ſein Ziel auf einem neuen, noch ſeltſameren Umwege zu erreichen; er wollte ſeinem Geſammtſtaate — nach dem Vor- bilde des Preußiſchen Vereinigten Landtags, deſſen Verhandlungen er mit geſpannter Aufmerkſamkeit verfolgte — einen gemeinſamen Reichstag ge- währen. Mit Hilfe der däniſch geſinnten Mehrheit dieſes Reichstags dachte er dann ſpäterhin die Thronfolge der weiblichen Linie im ganzen Reiche durchzuſetzen. In was für Künſteleien verlor ſich wieder die Ueberklug- heit des Monarchen! Nach Allem was geſchehen, mußte die Thronfolge- frage jetzt vor der Verfaſſungsfrage entſchieden werden; denn ſo lange noch nicht feſt ſtand, ob der Geſammtſtaat ſelber fortdauern würde, konnten die Schleswigholſteiner einer Geſammtſtaatsverfaſſung doch ſchwerlich zu- ſtimmen. Während der nächſten Monate ließ der König ſeinen Verfaſſungs- plan durch Carl Moltke und den unentbehrlichen Adler ausarbeiten. Da ſtarb er plötzlich nach kurzer Krankheit am 20. Jan. 1848, wohl der geiſt- reichſte aus der langen eintönigen Reihe der Oldenburgiſchen Könige, und doch ein Mann des Unheils, ein Herrſcher, der die Macht ſeines Hauſes ſelbſt zerſtörte, weil er das Recht ſeiner Völker mißachtete. Die Todesnachricht erſchütterte das Land im Innerſten. Die Dänen hofften, die Deutſchen fürchteten Alles von dem Thronfolger. Nach aller Wahrſcheinlichkeit war Friedrich VII. der letzte König ſeines Stammes; denn er hatte damals ſchon ein Liebesverhältniß mit der Putzmacherin Rasmuſſen angeknüpft, und dies gemeine Weib, die natürliche Bundes- genoſſin der Kopenhagener Demokratie, hielt ihn ſo feſt umſtrickt, daß eine dritte fürſtliche Heirath faſt unmöglich ſchien. Mit albernem, läppiſchem Zeitvertreib brachte er ſeine Tage dahin und fühlte ſich wohl in ſchlechter Geſellſchaft, die freilich nicht murren durfte, wenn es ihm plötzlich einfiel den Fürſten herauszukehren. Roh, ungebildet, grob ſinnlich, jähzornig, nicht ohne Verſtand und derben Humor, lernte er niemals ernſthaft zu arbeiten. Als eingefleiſchter Däne haßte er alles Fremde; die ausgelaſſene Luſtigkeit der Matroſen, die in der C4’s Halle und in den anderen Spe- lunken an der Kopenhagener Knüppelbrücke ihre Späße trieben, behagte *) Berichte von Graf Platen, Berlin, 11. Juni; von Graf Arnim, Wien, 14. Juni 1847.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/600>, abgerufen am 22.11.2024.