höchst anfechtbaren Spruche Entscheidungsgründe hinzu, welche selbst eine boshafte Verhöhnung des Deutschen Bundes und der monarchischen Ord- nung enthielten; der König aber stieß das Urtheil nicht um, weil er die oberstrichterliche Gewalt seiner Krone nicht mehr gebrauchen wollte, sondern begnügte sich mit einem strengen Verweise. Indeß blieb der ärgerliche Streit um die Disciplinargesetze nicht unfruchtbar für die Zukunft. Wie maßlos Simon auch übertrieb, alle Unbefangenen mußten doch einsehen, daß die Versetzbarkeit der Richter in Zeiten politischer Kämpfe leicht zur Willkür führen konnte; der belgische Verfassungssatz, der die Richter gegen unfreiwillige Versetzungen sicherte, wurde zu einem Gemeingute der öffent- lichen Meinung und bald nachher in die preußische Verfassung auf- genommen.
Mittlerweile hatte Uhden das Ministerium der Justizverwaltung übernommen, ein Jurist von mäßiger Gelehrsamkeit, in der Politik ganz ebenso conservativ wie sein Lehrer Savigny, aber ein nüchterner Geschäfts- mann, der immer auf das Nächste, das Erreichbare ausging, auch seine Leute klug zu wählen verstand und, seit er das handelspolitische Ränke- spiel des Czaren so entschlossen durchkreuzt hatte, auf das Vertrauen des Königs sicher zählen konnte. Uhden berief sogleich in die erste Stelle des Departements den liberalen Bornemann, der im Frohndienste des verhaßten Ober-Censurgerichts seinen alten Ueberzeugungen treu geblieben war. Auch dieser gescheidte, entschlossene Praktiker hatte einst, wie die Mehr- zahl der preußischen Richter, zu Savigny's Füßen gesessen, doch die tief- gründige Gelehrsamkeit des Meisters genügte ihm nicht. Nach so vielen Anläufen und Versuchen wollte er endlich Thaten sehen; er gewann sich die Zustimmung seines Ministers und an dem liberalen jungen Assessor Friedberg einen rüstigen Helfer für die Ausarbeitung seiner Entwürfe. Bald begann zwischen den beiden Justizministern ein heftiger Streit, wie zwischen dem Handelsamte und dem Finanzministerium -- eine Beamten- Anarchie, die nur unter einem so steuerlosen Regimente möglich war. Die handfesten Geschäftsmänner der Justizverwaltung bereiteten dem Minister der Gesetzgebung eine Niederlage nach der andern; denn der König drängte vorwärts, er entschied fast immer zu Ungunsten seines ge- lehrten Freundes. Wenige Tage nach jenem folgenreichen Gesetze über das Strafverfahren, das die Oeffentlichkeit des Polenprocesses ermöglichte, am 21. Juli 1846 unterzeichnete Friedrich Wilhelm auch eine Verordnung über die Vereinfachung des Civilprocesses; sie war im gleichen Geiste ge- halten und ebenfalls ohne die Zustimmung des Ministers der Gesetz- gebung vollendet worden. Im April des nächsten Jahres folgte ein Ge- setz über die Competenzconflicte, das den Ansichten Savigny's geradezu widersprach. Die Justizreform kam langsam in Gang, die altländischen Juristen näherten sich mehr und mehr den Gedanken des Rheinischen Rechts. --
V. 8. Der Vereinigte Landtag.
höchſt anfechtbaren Spruche Entſcheidungsgründe hinzu, welche ſelbſt eine boshafte Verhöhnung des Deutſchen Bundes und der monarchiſchen Ord- nung enthielten; der König aber ſtieß das Urtheil nicht um, weil er die oberſtrichterliche Gewalt ſeiner Krone nicht mehr gebrauchen wollte, ſondern begnügte ſich mit einem ſtrengen Verweiſe. Indeß blieb der ärgerliche Streit um die Disciplinargeſetze nicht unfruchtbar für die Zukunft. Wie maßlos Simon auch übertrieb, alle Unbefangenen mußten doch einſehen, daß die Verſetzbarkeit der Richter in Zeiten politiſcher Kämpfe leicht zur Willkür führen konnte; der belgiſche Verfaſſungsſatz, der die Richter gegen unfreiwillige Verſetzungen ſicherte, wurde zu einem Gemeingute der öffent- lichen Meinung und bald nachher in die preußiſche Verfaſſung auf- genommen.
Mittlerweile hatte Uhden das Miniſterium der Juſtizverwaltung übernommen, ein Juriſt von mäßiger Gelehrſamkeit, in der Politik ganz ebenſo conſervativ wie ſein Lehrer Savigny, aber ein nüchterner Geſchäfts- mann, der immer auf das Nächſte, das Erreichbare ausging, auch ſeine Leute klug zu wählen verſtand und, ſeit er das handelspolitiſche Ränke- ſpiel des Czaren ſo entſchloſſen durchkreuzt hatte, auf das Vertrauen des Königs ſicher zählen konnte. Uhden berief ſogleich in die erſte Stelle des Departements den liberalen Bornemann, der im Frohndienſte des verhaßten Ober-Cenſurgerichts ſeinen alten Ueberzeugungen treu geblieben war. Auch dieſer geſcheidte, entſchloſſene Praktiker hatte einſt, wie die Mehr- zahl der preußiſchen Richter, zu Savigny’s Füßen geſeſſen, doch die tief- gründige Gelehrſamkeit des Meiſters genügte ihm nicht. Nach ſo vielen Anläufen und Verſuchen wollte er endlich Thaten ſehen; er gewann ſich die Zuſtimmung ſeines Miniſters und an dem liberalen jungen Aſſeſſor Friedberg einen rüſtigen Helfer für die Ausarbeitung ſeiner Entwürfe. Bald begann zwiſchen den beiden Juſtizminiſtern ein heftiger Streit, wie zwiſchen dem Handelsamte und dem Finanzminiſterium — eine Beamten- Anarchie, die nur unter einem ſo ſteuerloſen Regimente möglich war. Die handfeſten Geſchäftsmänner der Juſtizverwaltung bereiteten dem Miniſter der Geſetzgebung eine Niederlage nach der andern; denn der König drängte vorwärts, er entſchied faſt immer zu Ungunſten ſeines ge- lehrten Freundes. Wenige Tage nach jenem folgenreichen Geſetze über das Strafverfahren, das die Oeffentlichkeit des Polenproceſſes ermöglichte, am 21. Juli 1846 unterzeichnete Friedrich Wilhelm auch eine Verordnung über die Vereinfachung des Civilproceſſes; ſie war im gleichen Geiſte ge- halten und ebenfalls ohne die Zuſtimmung des Miniſters der Geſetz- gebung vollendet worden. Im April des nächſten Jahres folgte ein Ge- ſetz über die Competenzconflicte, das den Anſichten Savigny’s geradezu widerſprach. Die Juſtizreform kam langſam in Gang, die altländiſchen Juriſten näherten ſich mehr und mehr den Gedanken des Rheiniſchen Rechts. —
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nung enthielten; der König aber ſtieß das Urtheil nicht um, weil er die
oberſtrichterliche Gewalt ſeiner Krone nicht mehr gebrauchen wollte, ſondern
begnügte ſich mit einem ſtrengen Verweiſe. Indeß blieb der ärgerliche
Streit um die Disciplinargeſetze nicht unfruchtbar für die Zukunft. Wie
maßlos Simon auch übertrieb, alle Unbefangenen mußten doch einſehen,
daß die Verſetzbarkeit der Richter in Zeiten politiſcher Kämpfe leicht zur
Willkür führen konnte; der belgiſche Verfaſſungsſatz, der die Richter gegen
unfreiwillige Verſetzungen ſicherte, wurde zu einem Gemeingute der öffent-
lichen Meinung und bald nachher in die preußiſche Verfaſſung auf-
genommen.
Mittlerweile hatte Uhden das Miniſterium der Juſtizverwaltung
übernommen, ein Juriſt von mäßiger Gelehrſamkeit, in der Politik ganz
ebenſo conſervativ wie ſein Lehrer Savigny, aber ein nüchterner Geſchäfts-
mann, der immer auf das Nächſte, das Erreichbare ausging, auch ſeine
Leute klug zu wählen verſtand und, ſeit er das handelspolitiſche Ränke-
ſpiel des Czaren ſo entſchloſſen durchkreuzt hatte, auf das Vertrauen des
Königs ſicher zählen konnte. Uhden berief ſogleich in die erſte Stelle des
Departements den liberalen Bornemann, der im Frohndienſte des verhaßten
Ober-Cenſurgerichts ſeinen alten Ueberzeugungen treu geblieben war.
Auch dieſer geſcheidte, entſchloſſene Praktiker hatte einſt, wie die Mehr-
zahl der preußiſchen Richter, zu Savigny’s Füßen geſeſſen, doch die tief-
gründige Gelehrſamkeit des Meiſters genügte ihm nicht. Nach ſo vielen
Anläufen und Verſuchen wollte er endlich Thaten ſehen; er gewann ſich
die Zuſtimmung ſeines Miniſters und an dem liberalen jungen Aſſeſſor
Friedberg einen rüſtigen Helfer für die Ausarbeitung ſeiner Entwürfe.
Bald begann zwiſchen den beiden Juſtizminiſtern ein heftiger Streit, wie
zwiſchen dem Handelsamte und dem Finanzminiſterium — eine Beamten-
Anarchie, die nur unter einem ſo ſteuerloſen Regimente möglich war.
Die handfeſten Geſchäftsmänner der Juſtizverwaltung bereiteten dem
Miniſter der Geſetzgebung eine Niederlage nach der andern; denn der
König drängte vorwärts, er entſchied faſt immer zu Ungunſten ſeines ge-
lehrten Freundes. Wenige Tage nach jenem folgenreichen Geſetze über
das Strafverfahren, das die Oeffentlichkeit des Polenproceſſes ermöglichte,
am 21. Juli 1846 unterzeichnete Friedrich Wilhelm auch eine Verordnung
über die Vereinfachung des Civilproceſſes; ſie war im gleichen Geiſte ge-
halten und ebenfalls ohne die Zuſtimmung des Miniſters der Geſetz-
gebung vollendet worden. Im April des nächſten Jahres folgte ein Ge-
ſetz über die Competenzconflicte, das den Anſichten Savigny’s geradezu
widerſprach. Die Juſtizreform kam langſam in Gang, die altländiſchen
Juriſten näherten ſich mehr und mehr den Gedanken des Rheiniſchen
Rechts. —
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 600. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/614>, abgerufen am 24.11.2024.
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