Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

Neuer Einspruch des Prinzen von Preußen.
stand, noch immer nicht zum Abschluß. War es Unentschlossenheit, was
den Monarchen hemmte? oder wollte er sein Volk absichtlich an die ge-
priesene organische Entwicklung gewöhnen? Genug, erst im März 1846
ließ er die Immediatcommission mit sämmtlichen Staatsministern zu ge-
meinsamen Sitzungen zusammentreten, und diese Berathungen währten,
mehrfach unterbrochen, noch dreiviertel Jahre. Sogleich zum Beginn,
am 11. März, stellte der Prinz als Vorsitzender die Frage, ob eine stän-
dische Centralvertretung nothwendig sei, und gestand aufrichtig, er selber
hätte sich von diesem Bedürfniß noch nicht ganz überzeugt. Nachdem so-
dann alle Anwesenden bis auf Zwei die Frage bejaht hatten, sprach er
am Schlusse dieser entscheidenden Sitzung ebenso offen aus: nunmehr
wolle er die Nothwendigkeit anerkennen. Auch die Bildung eines Ver-
einigten Landtags, die im vorigen Jahre nur von einem einzigen Minister,
von Uhden gebilligt worden war, fand jetzt eine Mehrheit von 9 Stimmen.
Der Prinz und noch sechs Andere widersprachen.*) Er blieb auch ferner-
hin fast mit allen seinen Anträgen in der Minderheit. Die meisten der
übrigen Mitglieder unterdrückten ihre schweren Bedenken. Sie betrachteten
sich, nach den Ueberlieferungen des alten Absolutismus, nicht als selb-
ständige, verantwortliche Rathgeber, sondern hielten jeden grundsätzlichen
Widerspruch für aussichtslos, nachdem der Monarch seine Willensmeinung
ausgesprochen hatte. Am 17. Dec. 1846 waren die Berathungen nahezu
beendigt, die Entwürfe des Königs im Wesentlichen angenommen.

Da zeigte der Prinz an, daß er dem Monarchen ein Sondergutachten
einreichen würde. Er hatte im vergangenen Sommer den Petersburger
Hof wieder besucht und dort Kaiser und Kaiserin auf's Aeußerste erschreckt
durch die ruhige Erklärung, daß er die Fortbildung der ständischen In-
stitutionen für nothwendig hielte.**) Aber in den Mitteln, welche sein
Bruder wählte, konnte er, zu seinem tiefen Schmerze, "nicht das Heil des
Thrones und des Vaterlandes erblicken". Noch am 17. Dec. beendete er
eine umfängliche Denkschrift, welche zunächst nochmals auf die unlenksame
Schwerfälligkeit einer Versammlung aller acht Provinziallandtage hinwies.
Zugleich zeigte er scharfsinnig, was noch Niemand bemerkt hatte, daß dieser
Vereinigte Landtag unauflöslich sei; denn da der König allgemeine Wahlen,
das Fieber der "Urwahlen", wie man damals sagte, unter allen Umständen
vermeiden wollte, so konnte er auch einen Vereinigten Landtag, der aus
der Gesammtheit der acht Provinziallandtage bestand, unmöglich auflösen.
"Somit stehet diese neue berathende preußische Ständeversammlung weit
mächtiger da als die constitutionellen Kammern anderer Staaten, welche
alle sich für extreme Fälle die Auflösung und Neuwahlen vorbehalten
haben." Darum verlangte der Prinz als starkes Gegengewicht zum mindesten

*) Hauptbericht des Staatsministeriums und der Immediatcommission, 28. April
1846.
**) Rochow's Berichte, 1. 2. Juli, 25. Aug. 1846.

Neuer Einſpruch des Prinzen von Preußen.
ſtand, noch immer nicht zum Abſchluß. War es Unentſchloſſenheit, was
den Monarchen hemmte? oder wollte er ſein Volk abſichtlich an die ge-
prieſene organiſche Entwicklung gewöhnen? Genug, erſt im März 1846
ließ er die Immediatcommiſſion mit ſämmtlichen Staatsminiſtern zu ge-
meinſamen Sitzungen zuſammentreten, und dieſe Berathungen währten,
mehrfach unterbrochen, noch dreiviertel Jahre. Sogleich zum Beginn,
am 11. März, ſtellte der Prinz als Vorſitzender die Frage, ob eine ſtän-
diſche Centralvertretung nothwendig ſei, und geſtand aufrichtig, er ſelber
hätte ſich von dieſem Bedürfniß noch nicht ganz überzeugt. Nachdem ſo-
dann alle Anweſenden bis auf Zwei die Frage bejaht hatten, ſprach er
am Schluſſe dieſer entſcheidenden Sitzung ebenſo offen aus: nunmehr
wolle er die Nothwendigkeit anerkennen. Auch die Bildung eines Ver-
einigten Landtags, die im vorigen Jahre nur von einem einzigen Miniſter,
von Uhden gebilligt worden war, fand jetzt eine Mehrheit von 9 Stimmen.
Der Prinz und noch ſechs Andere widerſprachen.*) Er blieb auch ferner-
hin faſt mit allen ſeinen Anträgen in der Minderheit. Die meiſten der
übrigen Mitglieder unterdrückten ihre ſchweren Bedenken. Sie betrachteten
ſich, nach den Ueberlieferungen des alten Abſolutismus, nicht als ſelb-
ſtändige, verantwortliche Rathgeber, ſondern hielten jeden grundſätzlichen
Widerſpruch für ausſichtslos, nachdem der Monarch ſeine Willensmeinung
ausgeſprochen hatte. Am 17. Dec. 1846 waren die Berathungen nahezu
beendigt, die Entwürfe des Königs im Weſentlichen angenommen.

Da zeigte der Prinz an, daß er dem Monarchen ein Sondergutachten
einreichen würde. Er hatte im vergangenen Sommer den Petersburger
Hof wieder beſucht und dort Kaiſer und Kaiſerin auf’s Aeußerſte erſchreckt
durch die ruhige Erklärung, daß er die Fortbildung der ſtändiſchen In-
ſtitutionen für nothwendig hielte.**) Aber in den Mitteln, welche ſein
Bruder wählte, konnte er, zu ſeinem tiefen Schmerze, „nicht das Heil des
Thrones und des Vaterlandes erblicken“. Noch am 17. Dec. beendete er
eine umfängliche Denkſchrift, welche zunächſt nochmals auf die unlenkſame
Schwerfälligkeit einer Verſammlung aller acht Provinziallandtage hinwies.
Zugleich zeigte er ſcharfſinnig, was noch Niemand bemerkt hatte, daß dieſer
Vereinigte Landtag unauflöslich ſei; denn da der König allgemeine Wahlen,
das Fieber der „Urwahlen“, wie man damals ſagte, unter allen Umſtänden
vermeiden wollte, ſo konnte er auch einen Vereinigten Landtag, der aus
der Geſammtheit der acht Provinziallandtage beſtand, unmöglich auflöſen.
„Somit ſtehet dieſe neue berathende preußiſche Ständeverſammlung weit
mächtiger da als die conſtitutionellen Kammern anderer Staaten, welche
alle ſich für extreme Fälle die Auflöſung und Neuwahlen vorbehalten
haben.“ Darum verlangte der Prinz als ſtarkes Gegengewicht zum mindeſten

*) Hauptbericht des Staatsminiſteriums und der Immediatcommiſſion, 28. April
1846.
**) Rochow’s Berichte, 1. 2. Juli, 25. Aug. 1846.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0621" n="607"/><fw place="top" type="header">Neuer Ein&#x017F;pruch des Prinzen von Preußen.</fw><lb/>
&#x017F;tand, noch immer nicht zum Ab&#x017F;chluß. War es Unent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enheit, was<lb/>
den Monarchen hemmte? oder wollte er &#x017F;ein Volk ab&#x017F;ichtlich an die ge-<lb/>
prie&#x017F;ene organi&#x017F;che Entwicklung gewöhnen? Genug, er&#x017F;t im März 1846<lb/>
ließ er die Immediatcommi&#x017F;&#x017F;ion mit &#x017F;ämmtlichen Staatsmini&#x017F;tern zu ge-<lb/>
mein&#x017F;amen Sitzungen zu&#x017F;ammentreten, und die&#x017F;e Berathungen währten,<lb/>
mehrfach unterbrochen, noch dreiviertel Jahre. Sogleich zum Beginn,<lb/>
am 11. März, &#x017F;tellte der Prinz als Vor&#x017F;itzender die Frage, ob eine &#x017F;tän-<lb/>
di&#x017F;che Centralvertretung nothwendig &#x017F;ei, und ge&#x017F;tand aufrichtig, er &#x017F;elber<lb/>
hätte &#x017F;ich von die&#x017F;em Bedürfniß noch nicht ganz überzeugt. Nachdem &#x017F;o-<lb/>
dann alle Anwe&#x017F;enden bis auf Zwei die Frage bejaht hatten, &#x017F;prach er<lb/>
am Schlu&#x017F;&#x017F;e die&#x017F;er ent&#x017F;cheidenden Sitzung eben&#x017F;o offen aus: nunmehr<lb/>
wolle er die Nothwendigkeit anerkennen. Auch die Bildung eines Ver-<lb/>
einigten Landtags, die im vorigen Jahre nur von einem einzigen Mini&#x017F;ter,<lb/>
von Uhden gebilligt worden war, fand jetzt eine Mehrheit von 9 Stimmen.<lb/>
Der Prinz und noch &#x017F;echs Andere wider&#x017F;prachen.<note place="foot" n="*)">Hauptbericht des Staatsmini&#x017F;teriums und der Immediatcommi&#x017F;&#x017F;ion, 28. April<lb/>
1846.</note> Er blieb auch ferner-<lb/>
hin fa&#x017F;t mit allen &#x017F;einen Anträgen in der Minderheit. Die mei&#x017F;ten der<lb/>
übrigen Mitglieder unterdrückten ihre &#x017F;chweren Bedenken. Sie betrachteten<lb/>
&#x017F;ich, nach den Ueberlieferungen des alten Ab&#x017F;olutismus, nicht als &#x017F;elb-<lb/>
&#x017F;tändige, verantwortliche Rathgeber, &#x017F;ondern hielten jeden grund&#x017F;ätzlichen<lb/>
Wider&#x017F;pruch für aus&#x017F;ichtslos, nachdem der Monarch &#x017F;eine Willensmeinung<lb/>
ausge&#x017F;prochen hatte. Am 17. Dec. 1846 waren die Berathungen nahezu<lb/>
beendigt, die Entwürfe des Königs im We&#x017F;entlichen angenommen.</p><lb/>
          <p>Da zeigte der Prinz an, daß er dem Monarchen ein Sondergutachten<lb/>
einreichen würde. Er hatte im vergangenen Sommer den Petersburger<lb/>
Hof wieder be&#x017F;ucht und dort Kai&#x017F;er und Kai&#x017F;erin auf&#x2019;s Aeußer&#x017F;te er&#x017F;chreckt<lb/>
durch die ruhige Erklärung, daß er die Fortbildung der &#x017F;tändi&#x017F;chen In-<lb/>
&#x017F;titutionen für nothwendig hielte.<note place="foot" n="**)">Rochow&#x2019;s Berichte, 1. 2. Juli, 25. Aug. 1846.</note> Aber in den Mitteln, welche &#x017F;ein<lb/>
Bruder wählte, konnte er, zu &#x017F;einem tiefen Schmerze, &#x201E;nicht das Heil des<lb/>
Thrones und des Vaterlandes erblicken&#x201C;. Noch am 17. Dec. beendete er<lb/>
eine umfängliche Denk&#x017F;chrift, welche zunäch&#x017F;t nochmals auf die unlenk&#x017F;ame<lb/>
Schwerfälligkeit einer Ver&#x017F;ammlung aller acht Provinziallandtage hinwies.<lb/>
Zugleich zeigte er &#x017F;charf&#x017F;innig, was noch Niemand bemerkt hatte, daß die&#x017F;er<lb/>
Vereinigte Landtag unauflöslich &#x017F;ei; denn da der König allgemeine Wahlen,<lb/>
das Fieber der &#x201E;Urwahlen&#x201C;, wie man damals &#x017F;agte, unter allen Um&#x017F;tänden<lb/>
vermeiden wollte, &#x017F;o konnte er auch einen Vereinigten Landtag, der aus<lb/>
der Ge&#x017F;ammtheit der acht Provinziallandtage be&#x017F;tand, unmöglich auflö&#x017F;en.<lb/>
&#x201E;Somit &#x017F;tehet die&#x017F;e neue berathende preußi&#x017F;che Ständever&#x017F;ammlung weit<lb/>
mächtiger da als die con&#x017F;titutionellen Kammern anderer Staaten, welche<lb/>
alle &#x017F;ich für extreme Fälle die Auflö&#x017F;ung und Neuwahlen vorbehalten<lb/>
haben.&#x201C; Darum verlangte der Prinz als &#x017F;tarkes Gegengewicht zum minde&#x017F;ten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[607/0621] Neuer Einſpruch des Prinzen von Preußen. ſtand, noch immer nicht zum Abſchluß. War es Unentſchloſſenheit, was den Monarchen hemmte? oder wollte er ſein Volk abſichtlich an die ge- prieſene organiſche Entwicklung gewöhnen? Genug, erſt im März 1846 ließ er die Immediatcommiſſion mit ſämmtlichen Staatsminiſtern zu ge- meinſamen Sitzungen zuſammentreten, und dieſe Berathungen währten, mehrfach unterbrochen, noch dreiviertel Jahre. Sogleich zum Beginn, am 11. März, ſtellte der Prinz als Vorſitzender die Frage, ob eine ſtän- diſche Centralvertretung nothwendig ſei, und geſtand aufrichtig, er ſelber hätte ſich von dieſem Bedürfniß noch nicht ganz überzeugt. Nachdem ſo- dann alle Anweſenden bis auf Zwei die Frage bejaht hatten, ſprach er am Schluſſe dieſer entſcheidenden Sitzung ebenſo offen aus: nunmehr wolle er die Nothwendigkeit anerkennen. Auch die Bildung eines Ver- einigten Landtags, die im vorigen Jahre nur von einem einzigen Miniſter, von Uhden gebilligt worden war, fand jetzt eine Mehrheit von 9 Stimmen. Der Prinz und noch ſechs Andere widerſprachen. *) Er blieb auch ferner- hin faſt mit allen ſeinen Anträgen in der Minderheit. Die meiſten der übrigen Mitglieder unterdrückten ihre ſchweren Bedenken. Sie betrachteten ſich, nach den Ueberlieferungen des alten Abſolutismus, nicht als ſelb- ſtändige, verantwortliche Rathgeber, ſondern hielten jeden grundſätzlichen Widerſpruch für ausſichtslos, nachdem der Monarch ſeine Willensmeinung ausgeſprochen hatte. Am 17. Dec. 1846 waren die Berathungen nahezu beendigt, die Entwürfe des Königs im Weſentlichen angenommen. Da zeigte der Prinz an, daß er dem Monarchen ein Sondergutachten einreichen würde. Er hatte im vergangenen Sommer den Petersburger Hof wieder beſucht und dort Kaiſer und Kaiſerin auf’s Aeußerſte erſchreckt durch die ruhige Erklärung, daß er die Fortbildung der ſtändiſchen In- ſtitutionen für nothwendig hielte. **) Aber in den Mitteln, welche ſein Bruder wählte, konnte er, zu ſeinem tiefen Schmerze, „nicht das Heil des Thrones und des Vaterlandes erblicken“. Noch am 17. Dec. beendete er eine umfängliche Denkſchrift, welche zunächſt nochmals auf die unlenkſame Schwerfälligkeit einer Verſammlung aller acht Provinziallandtage hinwies. Zugleich zeigte er ſcharfſinnig, was noch Niemand bemerkt hatte, daß dieſer Vereinigte Landtag unauflöslich ſei; denn da der König allgemeine Wahlen, das Fieber der „Urwahlen“, wie man damals ſagte, unter allen Umſtänden vermeiden wollte, ſo konnte er auch einen Vereinigten Landtag, der aus der Geſammtheit der acht Provinziallandtage beſtand, unmöglich auflöſen. „Somit ſtehet dieſe neue berathende preußiſche Ständeverſammlung weit mächtiger da als die conſtitutionellen Kammern anderer Staaten, welche alle ſich für extreme Fälle die Auflöſung und Neuwahlen vorbehalten haben.“ Darum verlangte der Prinz als ſtarkes Gegengewicht zum mindeſten *) Hauptbericht des Staatsminiſteriums und der Immediatcommiſſion, 28. April 1846. **) Rochow’s Berichte, 1. 2. Juli, 25. Aug. 1846.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/621
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 607. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/621>, abgerufen am 01.06.2024.