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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 8. Der Vereinigte Landtag.
zu Schlössern verwandeln könnte, so würde ich in dem Glauben, daß
mit leichtem und ruhigem Gewissen es sich glücklicher und behaglicher in
einer Hütte, als mit einem beschwerten im Palaste selbst wohnen läßt,
dagegen stimmen." Und wieder vertheidigte Vincke in einer hinreißen-
den Rede das, was er Recht nannte: "Es giebt Lagen in dem Leben
der Staaten, wo der Patriot sein Haupt verhüllt, in sein Inneres zu-
rückgeht und den festen Entschluß faßt, nur der inneren Stimme zu folgen,
welche ihm zuruft: thue Recht und scheue Niemand!" Hansemann aber
benutzte die Gelegenheit um auch den Kriegsschatz anzugreifen, der, nach
seiner kaufmännischen Weltanschauung, dem Staate in Zeiten der Be-
drängniß viel weniger nützte als eine gute Nationalbank, und beantragte,
die Krone möge vorläufig 10 Mill. aus dem Staatsschatze für diesen Eisen-
bahnbau verwenden. Dabei that er den kühnen Ausspruch, der in der
zartbesaiteten Geschäftswelt überall Widerhall fand und alsbald zum ge-
flügelten Worte wurde: "in Geldsachen hört die Gemüthlichkeit auf."

Und war denn das Recht, um dessentwillen so viel Pathos verschwendet
wurde, wirklich so unzweifelhaft und so werthvoll? Konnten die Ostpreußen
nach Vollendung der Ostbahn wirklich nicht mehr in ihren Hütten und Pa-
lästen mit ruhigem Gewissen schlafen -- blos weil der Vereinigte Landtag
seine periodische Berufung zwar mit Gewißheit erwarten durfte, aber noch
nicht förmlich zugesichert erhalten hatte und das Recht der Bewilligung von
Kriegsanleihen noch nicht besaß? Durften die Stände wegen solcher Spitz-
findigkeiten das Wohl des Landes mit Füßen treten und ein Gesetz, das
sie selber vollkommen billigten, zurückweisen? Otto v. Bismarck wenigstens
vermochte diesem Rechtsfanatismus nicht zu folgen. Unter dem lauten
Murren der Versammlung warf er den Gegnern vor, sie wollten "gleichsam
ein Retentionsrecht an dem Rechte der Anleihebewilligung ausüben"; er
fragte, ob sie es nicht selber "mit dem Namen der Erpressung brand-
marken" würden, wenn die Regierung ihre administrativen Wohlthaten von
dem politischen Verhalten der Provinzen abhängig machte? Die Warnung
des jungen Feudalen, den man überall nur für einen Heißsporn der
Reaction ansah, fruchtete nichts. Die Anleihe wurde mit Zweidrittel-
Mehrheit verworfen, obgleich der gesammte Herrenstand mit einer einzigen
Ausnahme dafür stimmte. Da die Stände jedoch den Unsinn dieser Ab-
lehnung selber fühlten, so fügten sie noch die völlig widersprechende Bitte
hinzu: der König möge dem nächsten Landtage eine neue Proposition über
die Ostbahn vorlegen und bis dahin die begonnenen Arbeiten fortsetzen
lassen.

Diese unselige Verhandlung entschied über das Schicksal des Land-
tags. Sie brachte den König, der die ganze Verwirrung freilich selbst
verschuldet hatte, zu der Einsicht, daß er sich mit seinen Ständen nicht
verständigen könne. Wie hoffnungsvoll war er in die neue Laufbahn
eingetreten. Soeben erst hatte er sich von Cornelius die Zeichnung für

V. 8. Der Vereinigte Landtag.
zu Schlöſſern verwandeln könnte, ſo würde ich in dem Glauben, daß
mit leichtem und ruhigem Gewiſſen es ſich glücklicher und behaglicher in
einer Hütte, als mit einem beſchwerten im Palaſte ſelbſt wohnen läßt,
dagegen ſtimmen.“ Und wieder vertheidigte Vincke in einer hinreißen-
den Rede das, was er Recht nannte: „Es giebt Lagen in dem Leben
der Staaten, wo der Patriot ſein Haupt verhüllt, in ſein Inneres zu-
rückgeht und den feſten Entſchluß faßt, nur der inneren Stimme zu folgen,
welche ihm zuruft: thue Recht und ſcheue Niemand!“ Hanſemann aber
benutzte die Gelegenheit um auch den Kriegsſchatz anzugreifen, der, nach
ſeiner kaufmänniſchen Weltanſchauung, dem Staate in Zeiten der Be-
drängniß viel weniger nützte als eine gute Nationalbank, und beantragte,
die Krone möge vorläufig 10 Mill. aus dem Staatsſchatze für dieſen Eiſen-
bahnbau verwenden. Dabei that er den kühnen Ausſpruch, der in der
zartbeſaiteten Geſchäftswelt überall Widerhall fand und alsbald zum ge-
flügelten Worte wurde: „in Geldſachen hört die Gemüthlichkeit auf.“

Und war denn das Recht, um deſſentwillen ſo viel Pathos verſchwendet
wurde, wirklich ſo unzweifelhaft und ſo werthvoll? Konnten die Oſtpreußen
nach Vollendung der Oſtbahn wirklich nicht mehr in ihren Hütten und Pa-
läſten mit ruhigem Gewiſſen ſchlafen — blos weil der Vereinigte Landtag
ſeine periodiſche Berufung zwar mit Gewißheit erwarten durfte, aber noch
nicht förmlich zugeſichert erhalten hatte und das Recht der Bewilligung von
Kriegsanleihen noch nicht beſaß? Durften die Stände wegen ſolcher Spitz-
findigkeiten das Wohl des Landes mit Füßen treten und ein Geſetz, das
ſie ſelber vollkommen billigten, zurückweiſen? Otto v. Bismarck wenigſtens
vermochte dieſem Rechtsfanatismus nicht zu folgen. Unter dem lauten
Murren der Verſammlung warf er den Gegnern vor, ſie wollten „gleichſam
ein Retentionsrecht an dem Rechte der Anleihebewilligung ausüben“; er
fragte, ob ſie es nicht ſelber „mit dem Namen der Erpreſſung brand-
marken“ würden, wenn die Regierung ihre adminiſtrativen Wohlthaten von
dem politiſchen Verhalten der Provinzen abhängig machte? Die Warnung
des jungen Feudalen, den man überall nur für einen Heißſporn der
Reaction anſah, fruchtete nichts. Die Anleihe wurde mit Zweidrittel-
Mehrheit verworfen, obgleich der geſammte Herrenſtand mit einer einzigen
Ausnahme dafür ſtimmte. Da die Stände jedoch den Unſinn dieſer Ab-
lehnung ſelber fühlten, ſo fügten ſie noch die völlig widerſprechende Bitte
hinzu: der König möge dem nächſten Landtage eine neue Propoſition über
die Oſtbahn vorlegen und bis dahin die begonnenen Arbeiten fortſetzen
laſſen.

Dieſe unſelige Verhandlung entſchied über das Schickſal des Land-
tags. Sie brachte den König, der die ganze Verwirrung freilich ſelbſt
verſchuldet hatte, zu der Einſicht, daß er ſich mit ſeinen Ständen nicht
verſtändigen könne. Wie hoffnungsvoll war er in die neue Laufbahn
eingetreten. Soeben erſt hatte er ſich von Cornelius die Zeichnung für

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[626/0640] V. 8. Der Vereinigte Landtag. zu Schlöſſern verwandeln könnte, ſo würde ich in dem Glauben, daß mit leichtem und ruhigem Gewiſſen es ſich glücklicher und behaglicher in einer Hütte, als mit einem beſchwerten im Palaſte ſelbſt wohnen läßt, dagegen ſtimmen.“ Und wieder vertheidigte Vincke in einer hinreißen- den Rede das, was er Recht nannte: „Es giebt Lagen in dem Leben der Staaten, wo der Patriot ſein Haupt verhüllt, in ſein Inneres zu- rückgeht und den feſten Entſchluß faßt, nur der inneren Stimme zu folgen, welche ihm zuruft: thue Recht und ſcheue Niemand!“ Hanſemann aber benutzte die Gelegenheit um auch den Kriegsſchatz anzugreifen, der, nach ſeiner kaufmänniſchen Weltanſchauung, dem Staate in Zeiten der Be- drängniß viel weniger nützte als eine gute Nationalbank, und beantragte, die Krone möge vorläufig 10 Mill. aus dem Staatsſchatze für dieſen Eiſen- bahnbau verwenden. Dabei that er den kühnen Ausſpruch, der in der zartbeſaiteten Geſchäftswelt überall Widerhall fand und alsbald zum ge- flügelten Worte wurde: „in Geldſachen hört die Gemüthlichkeit auf.“ Und war denn das Recht, um deſſentwillen ſo viel Pathos verſchwendet wurde, wirklich ſo unzweifelhaft und ſo werthvoll? Konnten die Oſtpreußen nach Vollendung der Oſtbahn wirklich nicht mehr in ihren Hütten und Pa- läſten mit ruhigem Gewiſſen ſchlafen — blos weil der Vereinigte Landtag ſeine periodiſche Berufung zwar mit Gewißheit erwarten durfte, aber noch nicht förmlich zugeſichert erhalten hatte und das Recht der Bewilligung von Kriegsanleihen noch nicht beſaß? Durften die Stände wegen ſolcher Spitz- findigkeiten das Wohl des Landes mit Füßen treten und ein Geſetz, das ſie ſelber vollkommen billigten, zurückweiſen? Otto v. Bismarck wenigſtens vermochte dieſem Rechtsfanatismus nicht zu folgen. Unter dem lauten Murren der Verſammlung warf er den Gegnern vor, ſie wollten „gleichſam ein Retentionsrecht an dem Rechte der Anleihebewilligung ausüben“; er fragte, ob ſie es nicht ſelber „mit dem Namen der Erpreſſung brand- marken“ würden, wenn die Regierung ihre adminiſtrativen Wohlthaten von dem politiſchen Verhalten der Provinzen abhängig machte? Die Warnung des jungen Feudalen, den man überall nur für einen Heißſporn der Reaction anſah, fruchtete nichts. Die Anleihe wurde mit Zweidrittel- Mehrheit verworfen, obgleich der geſammte Herrenſtand mit einer einzigen Ausnahme dafür ſtimmte. Da die Stände jedoch den Unſinn dieſer Ab- lehnung ſelber fühlten, ſo fügten ſie noch die völlig widerſprechende Bitte hinzu: der König möge dem nächſten Landtage eine neue Propoſition über die Oſtbahn vorlegen und bis dahin die begonnenen Arbeiten fortſetzen laſſen. Dieſe unſelige Verhandlung entſchied über das Schickſal des Land- tags. Sie brachte den König, der die ganze Verwirrung freilich ſelbſt verſchuldet hatte, zu der Einſicht, daß er ſich mit ſeinen Ständen nicht verſtändigen könne. Wie hoffnungsvoll war er in die neue Laufbahn eingetreten. Soeben erſt hatte er ſich von Cornelius die Zeichnung für

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 626. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/640>, abgerufen am 24.11.2024.