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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Die Einkommensteuer.
Der Versuch war ehrlich gemeint und fand die königliche Genehmigung.
Die Regierung schlug dem Landtage die Aufhebung der Mahl- und Schlacht-
steuer vor; zum Ersatze sollte die Klassensteuer für die ärmeren Stände
auch in den Städten eingeführt, jedes Einkommen über 400 Thlr. aber
mit einer sehr mäßigen Steuer -- das fundirte mit 3, alles andere
Einkommen mit 2 Proc. -- belastet werden. Doch alsbald ergab sich,
daß der zukunftsreiche Gedanke der Einkommensteuer, obwohl ihn die
Presse so oft besprochen hatte, noch keineswegs zur allgemeinen Aner-
kennung gelangt war. Vincke, Beckerath, Schwerin und mehrere andere
Liberale erklärten sich dawider. Viele der Grundherren scheuten eine neue
Belastung, die ihnen ohne jeden Entgelt zugemuthet wurde; sie klagten
nicht mit Unrecht, die Gesetzgebung der letzten Jahrzehnte sei zumeist dem
beweglichen Capital zu gute gekommen. Vornehmlich aber fürchtete man
den fiscalischen Spürsinn, die Aufdeckung der wirthschaftlichen Verhältnisse
jedes Haushalts; war doch auch in England die Einkommensteuer höchst
unbeliebt, weil Niemand gern die Behörden in seine Rechnungsbücher
blicken ließ. Der beste politische Kopf der rheinischen Liberalen, Ludolf
Camphausen, ein hoch aufgerichteter hagerer Mann mit scharfen Zügen
und strengen großen Augen, vertheidigte zwar die Vorschläge der Regierung
in einer gedankenvollen Rede, und es war ein Zeichen der Zeit, wie un-
befangen dieser reiche Kölnische Kaufherr, der in der Zollpolitik ganz frei-
händlerisch dachte, den gesunden Kern der neuen socialistischen Lehren
würdigte. Er gestand -- was die englische Manchesterschule durchaus
nicht zugab -- daß der Mensch, der lebe, auch das Recht habe zu leben,
und die Gesellschaft dies Recht in weiterem Umfange als bisher anerkennen
müsse; er verlangte die Einkommensteuer, damit die kleinen Leute entlastet,
die Wohlhabenden durch die Selbsteinschätzung fühlbar an ihre socialen
und politischen Pflichten erinnert würden. Die Mehrheit ließ sich jedoch
nicht überzeugen; der Landtag begnügte sich mit der unbestimmten Bitte,
die Regierung möge auf eine Erleichterung der Abgaben der ärmsten
Klassen hinwirken.

Heftigeren Streit erregte das neue Judengesetz. Obgleich Friedrich
Wilhelm die Juden so wenig liebte und durch Jacoby's Königsberger Ge-
nossen unaufhörlich gereizt wurde, so hielt er doch für Königspflicht auch
ihnen gerecht zu werden. Er beschloß, das milde Hardenbergische Juden-
gesetz vom Jahre 1812, das bisher nur in den alten Provinzen bestand, von
den übrigen Provinziallandtagen aber als allzu liberal zurückgewiesen
worden war,*) mit einigen Abänderungen in dem gesammten Staats-
gebiete einzuführen. Leider verleitete ihn seine Vorliebe für ständische
Gliederung dabei zu einem Mißgriff: er dachte die Judenschaften als
Corporationen abzuschließen, was doch rein unmöglich war, da grade die

*) S. o. III. 378.

Die Einkommenſteuer.
Der Verſuch war ehrlich gemeint und fand die königliche Genehmigung.
Die Regierung ſchlug dem Landtage die Aufhebung der Mahl- und Schlacht-
ſteuer vor; zum Erſatze ſollte die Klaſſenſteuer für die ärmeren Stände
auch in den Städten eingeführt, jedes Einkommen über 400 Thlr. aber
mit einer ſehr mäßigen Steuer — das fundirte mit 3, alles andere
Einkommen mit 2 Proc. — belaſtet werden. Doch alsbald ergab ſich,
daß der zukunftsreiche Gedanke der Einkommenſteuer, obwohl ihn die
Preſſe ſo oft beſprochen hatte, noch keineswegs zur allgemeinen Aner-
kennung gelangt war. Vincke, Beckerath, Schwerin und mehrere andere
Liberale erklärten ſich dawider. Viele der Grundherren ſcheuten eine neue
Belaſtung, die ihnen ohne jeden Entgelt zugemuthet wurde; ſie klagten
nicht mit Unrecht, die Geſetzgebung der letzten Jahrzehnte ſei zumeiſt dem
beweglichen Capital zu gute gekommen. Vornehmlich aber fürchtete man
den fiscaliſchen Spürſinn, die Aufdeckung der wirthſchaftlichen Verhältniſſe
jedes Haushalts; war doch auch in England die Einkommenſteuer höchſt
unbeliebt, weil Niemand gern die Behörden in ſeine Rechnungsbücher
blicken ließ. Der beſte politiſche Kopf der rheiniſchen Liberalen, Ludolf
Camphauſen, ein hoch aufgerichteter hagerer Mann mit ſcharfen Zügen
und ſtrengen großen Augen, vertheidigte zwar die Vorſchläge der Regierung
in einer gedankenvollen Rede, und es war ein Zeichen der Zeit, wie un-
befangen dieſer reiche Kölniſche Kaufherr, der in der Zollpolitik ganz frei-
händleriſch dachte, den geſunden Kern der neuen ſocialiſtiſchen Lehren
würdigte. Er geſtand — was die engliſche Mancheſterſchule durchaus
nicht zugab — daß der Menſch, der lebe, auch das Recht habe zu leben,
und die Geſellſchaft dies Recht in weiterem Umfange als bisher anerkennen
müſſe; er verlangte die Einkommenſteuer, damit die kleinen Leute entlaſtet,
die Wohlhabenden durch die Selbſteinſchätzung fühlbar an ihre ſocialen
und politiſchen Pflichten erinnert würden. Die Mehrheit ließ ſich jedoch
nicht überzeugen; der Landtag begnügte ſich mit der unbeſtimmten Bitte,
die Regierung möge auf eine Erleichterung der Abgaben der ärmſten
Klaſſen hinwirken.

Heftigeren Streit erregte das neue Judengeſetz. Obgleich Friedrich
Wilhelm die Juden ſo wenig liebte und durch Jacoby’s Königsberger Ge-
noſſen unaufhörlich gereizt wurde, ſo hielt er doch für Königspflicht auch
ihnen gerecht zu werden. Er beſchloß, das milde Hardenbergiſche Juden-
geſetz vom Jahre 1812, das bisher nur in den alten Provinzen beſtand, von
den übrigen Provinziallandtagen aber als allzu liberal zurückgewieſen
worden war,*) mit einigen Abänderungen in dem geſammten Staats-
gebiete einzuführen. Leider verleitete ihn ſeine Vorliebe für ſtändiſche
Gliederung dabei zu einem Mißgriff: er dachte die Judenſchaften als
Corporationen abzuſchließen, was doch rein unmöglich war, da grade die

*) S. o. III. 378.
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[629/0643] Die Einkommenſteuer. Der Verſuch war ehrlich gemeint und fand die königliche Genehmigung. Die Regierung ſchlug dem Landtage die Aufhebung der Mahl- und Schlacht- ſteuer vor; zum Erſatze ſollte die Klaſſenſteuer für die ärmeren Stände auch in den Städten eingeführt, jedes Einkommen über 400 Thlr. aber mit einer ſehr mäßigen Steuer — das fundirte mit 3, alles andere Einkommen mit 2 Proc. — belaſtet werden. Doch alsbald ergab ſich, daß der zukunftsreiche Gedanke der Einkommenſteuer, obwohl ihn die Preſſe ſo oft beſprochen hatte, noch keineswegs zur allgemeinen Aner- kennung gelangt war. Vincke, Beckerath, Schwerin und mehrere andere Liberale erklärten ſich dawider. Viele der Grundherren ſcheuten eine neue Belaſtung, die ihnen ohne jeden Entgelt zugemuthet wurde; ſie klagten nicht mit Unrecht, die Geſetzgebung der letzten Jahrzehnte ſei zumeiſt dem beweglichen Capital zu gute gekommen. Vornehmlich aber fürchtete man den fiscaliſchen Spürſinn, die Aufdeckung der wirthſchaftlichen Verhältniſſe jedes Haushalts; war doch auch in England die Einkommenſteuer höchſt unbeliebt, weil Niemand gern die Behörden in ſeine Rechnungsbücher blicken ließ. Der beſte politiſche Kopf der rheiniſchen Liberalen, Ludolf Camphauſen, ein hoch aufgerichteter hagerer Mann mit ſcharfen Zügen und ſtrengen großen Augen, vertheidigte zwar die Vorſchläge der Regierung in einer gedankenvollen Rede, und es war ein Zeichen der Zeit, wie un- befangen dieſer reiche Kölniſche Kaufherr, der in der Zollpolitik ganz frei- händleriſch dachte, den geſunden Kern der neuen ſocialiſtiſchen Lehren würdigte. Er geſtand — was die engliſche Mancheſterſchule durchaus nicht zugab — daß der Menſch, der lebe, auch das Recht habe zu leben, und die Geſellſchaft dies Recht in weiterem Umfange als bisher anerkennen müſſe; er verlangte die Einkommenſteuer, damit die kleinen Leute entlaſtet, die Wohlhabenden durch die Selbſteinſchätzung fühlbar an ihre ſocialen und politiſchen Pflichten erinnert würden. Die Mehrheit ließ ſich jedoch nicht überzeugen; der Landtag begnügte ſich mit der unbeſtimmten Bitte, die Regierung möge auf eine Erleichterung der Abgaben der ärmſten Klaſſen hinwirken. Heftigeren Streit erregte das neue Judengeſetz. Obgleich Friedrich Wilhelm die Juden ſo wenig liebte und durch Jacoby’s Königsberger Ge- noſſen unaufhörlich gereizt wurde, ſo hielt er doch für Königspflicht auch ihnen gerecht zu werden. Er beſchloß, das milde Hardenbergiſche Juden- geſetz vom Jahre 1812, das bisher nur in den alten Provinzen beſtand, von den übrigen Provinziallandtagen aber als allzu liberal zurückgewieſen worden war, *) mit einigen Abänderungen in dem geſammten Staats- gebiete einzuführen. Leider verleitete ihn ſeine Vorliebe für ſtändiſche Gliederung dabei zu einem Mißgriff: er dachte die Judenſchaften als Corporationen abzuſchließen, was doch rein unmöglich war, da grade die *) S. o. III. 378.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 629. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/643>, abgerufen am 24.11.2024.