und Ruhe ward unbedingt gefordert. Darum blieb der ungläubige, den Clericalen so feindselige König auch den Tübinger Hegelianern immer gram; er hielt sie für Friedensstörer und verbot dem Aesthetiker Vischer für einige Zeit die Vorlesungen, als die Geistlichkeit wegen der panthe- istischen Antrittsrede des neuen Professors Lärm schlug. Noch kleinlicher verfuhr er gegen Vischer's Amtsgenossen Robert Mohl, der sich doch durch sein Württembergisches Staatsrecht als ein würdiger Nachkomme des alten J. J. Moser bewährt hatte. Mohl bewarb sich um einen Sitz in der Kammer und richtete an einen seiner Wähler ein nicht einmal für die große Oeffentlichkeit bestimmtes Schreiben, das die Gebrechen des Re- gierungssystems scharf beleuchtete; daraufhin wurde er an eine kleine Ver- waltungsstelle versetzt, er forderte seinen Abschied und die Schwaben mußten ihren ersten Staatsrechtslehrer nach Heidelberg ziehen sehen.
In den Landtagsverhandlungen hallten die hannoverschen Gewalt- thaten noch lange nach. Der welfische Staatsstreich hatte die süddeutschen Constitutionellen unbeschreiblich erbittert, und selbst Rochow, der mit Wolf- gang Menzel vertraulich umging, konnte sich dieser Stimmung seiner Umgebungen nicht entziehen; er meinte, "es heiße mit dem deutschen Fürstenworte Hohn treiben", wenn der Bund in einer solchen Sache gar nichts thäte.*) Der Bundestag blieb freilich unbelehrbar. Die schwä- bische Oppositionspartei bemerkte bald, welch einen Fehler sie durch ihren Rückzug aus der Kammer begangen hatte. Seit dem Jahre 1845 traten mehrere ihrer Mitglieder wieder ein, voran Römer, der erste Redner des Landtags. Er bekämpfte vornehmlich die Härte der Censur und ge- langte bei diesen berechtigten Angriffen immer wieder zu dem unhaltbaren Schlusse, daß die Landesverfassung den Bundesgesetzen vorgehen müsse. Particularist war er darum doch nicht; vielmehr unterhielt er mit den badischen und rheinischen Freunden lebhaften Verkehr und erwog mit ihnen, wie dem Jammer des Bundestags endlich abzuhelfen sei. Großen Unmuth erregte im Lande die Verlobung des Kronprinzen Karl mit der bildschönen, in Baiern wie in Oesterreich verschmähten Großfürstin Olga. Der leere, nichtige, dem klugen Vater ganz ungleiche Thronfolger stand ohnehin in schlechtem Rufe; als die Großfürstin in mädchenhafter Ueber- schwänglichkeit ihm schrieb, sie hoffe seiner werth zu sein, da meinte Rochow, der die beiden Brautleute gründlich kannte: "Das ist zu viel! Ich kann ihr nicht Glück wünschen." Der König, der doch vor Jahren selbst eine Großfürstin heimgeführt hatte, gab jetzt, unter ganz veränderten Verhält- nissen, nur zögernd seine Einwilligung, und im Volke äußerte sich überall der Widerwille gegen diese russische Familienverbindung. Der Czar selber ließ sich durch den herkömmlichen Einzugsjubel keineswegs täuschen. Oft äußerte er ingrimmig zu Rochow: wir gelten in Deutschland heute gar
*) Rochow, Promemoria über die hannoversche Verfassung, März 1842.
V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.
und Ruhe ward unbedingt gefordert. Darum blieb der ungläubige, den Clericalen ſo feindſelige König auch den Tübinger Hegelianern immer gram; er hielt ſie für Friedensſtörer und verbot dem Aeſthetiker Viſcher für einige Zeit die Vorleſungen, als die Geiſtlichkeit wegen der panthe- iſtiſchen Antrittsrede des neuen Profeſſors Lärm ſchlug. Noch kleinlicher verfuhr er gegen Viſcher’s Amtsgenoſſen Robert Mohl, der ſich doch durch ſein Württembergiſches Staatsrecht als ein würdiger Nachkomme des alten J. J. Moſer bewährt hatte. Mohl bewarb ſich um einen Sitz in der Kammer und richtete an einen ſeiner Wähler ein nicht einmal für die große Oeffentlichkeit beſtimmtes Schreiben, das die Gebrechen des Re- gierungsſyſtems ſcharf beleuchtete; daraufhin wurde er an eine kleine Ver- waltungsſtelle verſetzt, er forderte ſeinen Abſchied und die Schwaben mußten ihren erſten Staatsrechtslehrer nach Heidelberg ziehen ſehen.
In den Landtagsverhandlungen hallten die hannoverſchen Gewalt- thaten noch lange nach. Der welfiſche Staatsſtreich hatte die ſüddeutſchen Conſtitutionellen unbeſchreiblich erbittert, und ſelbſt Rochow, der mit Wolf- gang Menzel vertraulich umging, konnte ſich dieſer Stimmung ſeiner Umgebungen nicht entziehen; er meinte, „es heiße mit dem deutſchen Fürſtenworte Hohn treiben“, wenn der Bund in einer ſolchen Sache gar nichts thäte.*) Der Bundestag blieb freilich unbelehrbar. Die ſchwä- biſche Oppoſitionspartei bemerkte bald, welch einen Fehler ſie durch ihren Rückzug aus der Kammer begangen hatte. Seit dem Jahre 1845 traten mehrere ihrer Mitglieder wieder ein, voran Römer, der erſte Redner des Landtags. Er bekämpfte vornehmlich die Härte der Cenſur und ge- langte bei dieſen berechtigten Angriffen immer wieder zu dem unhaltbaren Schluſſe, daß die Landesverfaſſung den Bundesgeſetzen vorgehen müſſe. Particulariſt war er darum doch nicht; vielmehr unterhielt er mit den badiſchen und rheiniſchen Freunden lebhaften Verkehr und erwog mit ihnen, wie dem Jammer des Bundestags endlich abzuhelfen ſei. Großen Unmuth erregte im Lande die Verlobung des Kronprinzen Karl mit der bildſchönen, in Baiern wie in Oeſterreich verſchmähten Großfürſtin Olga. Der leere, nichtige, dem klugen Vater ganz ungleiche Thronfolger ſtand ohnehin in ſchlechtem Rufe; als die Großfürſtin in mädchenhafter Ueber- ſchwänglichkeit ihm ſchrieb, ſie hoffe ſeiner werth zu ſein, da meinte Rochow, der die beiden Brautleute gründlich kannte: „Das iſt zu viel! Ich kann ihr nicht Glück wünſchen.“ Der König, der doch vor Jahren ſelbſt eine Großfürſtin heimgeführt hatte, gab jetzt, unter ganz veränderten Verhält- niſſen, nur zögernd ſeine Einwilligung, und im Volke äußerte ſich überall der Widerwille gegen dieſe ruſſiſche Familienverbindung. Der Czar ſelber ließ ſich durch den herkömmlichen Einzugsjubel keineswegs täuſchen. Oft äußerte er ingrimmig zu Rochow: wir gelten in Deutſchland heute gar
*) Rochow, Promemoria über die hannoverſche Verfaſſung, März 1842.
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und Ruhe ward unbedingt gefordert. Darum blieb der ungläubige, den
Clericalen ſo feindſelige König auch den Tübinger Hegelianern immer
gram; er hielt ſie für Friedensſtörer und verbot dem Aeſthetiker Viſcher
für einige Zeit die Vorleſungen, als die Geiſtlichkeit wegen der panthe-
iſtiſchen Antrittsrede des neuen Profeſſors Lärm ſchlug. Noch kleinlicher
verfuhr er gegen Viſcher’s Amtsgenoſſen Robert Mohl, der ſich doch durch
ſein Württembergiſches Staatsrecht als ein würdiger Nachkomme des alten
J. J. Moſer bewährt hatte. Mohl bewarb ſich um einen Sitz in der
Kammer und richtete an einen ſeiner Wähler ein nicht einmal für die
große Oeffentlichkeit beſtimmtes Schreiben, das die Gebrechen des Re-
gierungsſyſtems ſcharf beleuchtete; daraufhin wurde er an eine kleine Ver-
waltungsſtelle verſetzt, er forderte ſeinen Abſchied und die Schwaben mußten
ihren erſten Staatsrechtslehrer nach Heidelberg ziehen ſehen.
In den Landtagsverhandlungen hallten die hannoverſchen Gewalt-
thaten noch lange nach. Der welfiſche Staatsſtreich hatte die ſüddeutſchen
Conſtitutionellen unbeſchreiblich erbittert, und ſelbſt Rochow, der mit Wolf-
gang Menzel vertraulich umging, konnte ſich dieſer Stimmung ſeiner
Umgebungen nicht entziehen; er meinte, „es heiße mit dem deutſchen
Fürſtenworte Hohn treiben“, wenn der Bund in einer ſolchen Sache gar
nichts thäte. *) Der Bundestag blieb freilich unbelehrbar. Die ſchwä-
biſche Oppoſitionspartei bemerkte bald, welch einen Fehler ſie durch ihren
Rückzug aus der Kammer begangen hatte. Seit dem Jahre 1845 traten
mehrere ihrer Mitglieder wieder ein, voran Römer, der erſte Redner
des Landtags. Er bekämpfte vornehmlich die Härte der Cenſur und ge-
langte bei dieſen berechtigten Angriffen immer wieder zu dem unhaltbaren
Schluſſe, daß die Landesverfaſſung den Bundesgeſetzen vorgehen müſſe.
Particulariſt war er darum doch nicht; vielmehr unterhielt er mit den
badiſchen und rheiniſchen Freunden lebhaften Verkehr und erwog mit
ihnen, wie dem Jammer des Bundestags endlich abzuhelfen ſei. Großen
Unmuth erregte im Lande die Verlobung des Kronprinzen Karl mit der
bildſchönen, in Baiern wie in Oeſterreich verſchmähten Großfürſtin Olga.
Der leere, nichtige, dem klugen Vater ganz ungleiche Thronfolger ſtand
ohnehin in ſchlechtem Rufe; als die Großfürſtin in mädchenhafter Ueber-
ſchwänglichkeit ihm ſchrieb, ſie hoffe ſeiner werth zu ſein, da meinte Rochow,
der die beiden Brautleute gründlich kannte: „Das iſt zu viel! Ich kann
ihr nicht Glück wünſchen.“ Der König, der doch vor Jahren ſelbſt eine
Großfürſtin heimgeführt hatte, gab jetzt, unter ganz veränderten Verhält-
niſſen, nur zögernd ſeine Einwilligung, und im Volke äußerte ſich überall
der Widerwille gegen dieſe ruſſiſche Familienverbindung. Der Czar ſelber
ließ ſich durch den herkömmlichen Einzugsjubel keineswegs täuſchen. Oft
äußerte er ingrimmig zu Rochow: wir gelten in Deutſchland heute gar
*) Rochow, Promemoria über die hannoverſche Verfaſſung, März 1842.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 674. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/688>, abgerufen am 22.11.2024.
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