Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.Wilhelm von Württemberg und die Volkswünsche. das neue liberale Programm, das jetzt in Süddeutschland die Rundemachte. König Wilhelm aber hatte mit den Gedanken seiner Jugend längst gebrochen und urtheilte über diese Volkswünsche scharf: "ich bin durch eine lange Erfahrung von der Unausführbarkeit überzeugt." Zumal die Preßfreiheit war ihm ein Gräuel; und allerdings sah er sich auch per- sönlich in den Brandschriften, die aus der Schweiz herüberflogen, schänd- lich angegriffen. Er unterhielt um jene Zeit ein zartes Verhältniß mit einer Schauspielerin Stubenrauch; die Sache war nicht der Rede werth, denn wie hätten Weiber diesen kalten, trockenen, selbstischen Mann je be- herrschen können? -- die demagogischen Pamphletisten aber stimmten ein Wuthgeschrei an, als ob auch Württemberg von einer Lola regiert würde. In den allerheftigsten Worten äußerte sich der König über diese feile Dirne, die Presse, die gleich dem Branntwein trinkenden Matrosen sich zuletzt nur noch beim Scheidewasser wohl fühle. "Nie und nimmer", so sagte er im Nov. 1842 zu Rochow, könne man auf die Censur verzichten, am wenigsten in den constitutionellen Staaten; und als der Preuße einwarf, sachliche Besprechungen seien doch nothwendig, da ward ihm die Antwort: nein, die Politik der Bundesstaaten kann nur in den Behörden der Regierungen liegen, wer den Zusammenhang nicht kennt hat kein Urtheil. So ward auch in Stuttgart ein Niemals! ausgesprochen, glücklicherweise nicht öffent- lich, und es sollte hier noch schneller als in Berlin und Hannover durch die Macht der Thatsachen widerlegt werden. Ganz in der kleinlichen Weise des Ministeriums Abel, das er doch selbst verabscheute, behandelte der König seine Zeitungen. Ueber württembergische Zustände durften sie kein freies Wort wagen, auf die Großmächte mochten sie ungestraft schelten, während die preußische Censur angewiesen war, die Besprechungen aus- wärtiger Verhältnisse strenger zu behandeln als die Artikel über das In- land. Und dabei beklagte er sich beständig, wenn die schwäbischen Liberalen, die daheim nicht reden konnten, in der Kölnischen Zeitung oder in anderen preußischen Blättern ihre Empfindungen kundgaben. Rochow meinte: "man wünscht geschont zu werden, schont aber Andere nicht; man klagt über Andere und vergißt, daß man selbst zu Beschwerden Anlaß giebt."*) Des Königs einziger Vertrauter blieb sein alter Freund Frhr. v. Maucler, *) Rochow's Berichte, 30. Nov. 1842, 20. Febr. 1843. v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 43
Wilhelm von Württemberg und die Volkswünſche. das neue liberale Programm, das jetzt in Süddeutſchland die Rundemachte. König Wilhelm aber hatte mit den Gedanken ſeiner Jugend längſt gebrochen und urtheilte über dieſe Volkswünſche ſcharf: „ich bin durch eine lange Erfahrung von der Unausführbarkeit überzeugt.“ Zumal die Preßfreiheit war ihm ein Gräuel; und allerdings ſah er ſich auch per- ſönlich in den Brandſchriften, die aus der Schweiz herüberflogen, ſchänd- lich angegriffen. Er unterhielt um jene Zeit ein zartes Verhältniß mit einer Schauſpielerin Stubenrauch; die Sache war nicht der Rede werth, denn wie hätten Weiber dieſen kalten, trockenen, ſelbſtiſchen Mann je be- herrſchen können? — die demagogiſchen Pamphletiſten aber ſtimmten ein Wuthgeſchrei an, als ob auch Württemberg von einer Lola regiert würde. In den allerheftigſten Worten äußerte ſich der König über dieſe feile Dirne, die Preſſe, die gleich dem Branntwein trinkenden Matroſen ſich zuletzt nur noch beim Scheidewaſſer wohl fühle. „Nie und nimmer“, ſo ſagte er im Nov. 1842 zu Rochow, könne man auf die Cenſur verzichten, am wenigſten in den conſtitutionellen Staaten; und als der Preuße einwarf, ſachliche Beſprechungen ſeien doch nothwendig, da ward ihm die Antwort: nein, die Politik der Bundesſtaaten kann nur in den Behörden der Regierungen liegen, wer den Zuſammenhang nicht kennt hat kein Urtheil. So ward auch in Stuttgart ein Niemals! ausgeſprochen, glücklicherweiſe nicht öffent- lich, und es ſollte hier noch ſchneller als in Berlin und Hannover durch die Macht der Thatſachen widerlegt werden. Ganz in der kleinlichen Weiſe des Miniſteriums Abel, das er doch ſelbſt verabſcheute, behandelte der König ſeine Zeitungen. Ueber württembergiſche Zuſtände durften ſie kein freies Wort wagen, auf die Großmächte mochten ſie ungeſtraft ſchelten, während die preußiſche Cenſur angewieſen war, die Beſprechungen aus- wärtiger Verhältniſſe ſtrenger zu behandeln als die Artikel über das In- land. Und dabei beklagte er ſich beſtändig, wenn die ſchwäbiſchen Liberalen, die daheim nicht reden konnten, in der Kölniſchen Zeitung oder in anderen preußiſchen Blättern ihre Empfindungen kundgaben. Rochow meinte: „man wünſcht geſchont zu werden, ſchont aber Andere nicht; man klagt über Andere und vergißt, daß man ſelbſt zu Beſchwerden Anlaß giebt.“*) Des Königs einziger Vertrauter blieb ſein alter Freund Frhr. v. Maucler, *) Rochow’s Berichte, 30. Nov. 1842, 20. Febr. 1843. v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 43
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0687" n="673"/><fw place="top" type="header">Wilhelm von Württemberg und die Volkswünſche.</fw><lb/> das neue liberale Programm, das jetzt in Süddeutſchland die Runde<lb/> machte. König Wilhelm aber hatte mit den Gedanken ſeiner Jugend längſt<lb/> gebrochen und urtheilte über dieſe Volkswünſche ſcharf: „ich bin durch<lb/> eine lange Erfahrung von der Unausführbarkeit überzeugt.“ Zumal die<lb/> Preßfreiheit war ihm ein Gräuel; und allerdings ſah er ſich auch per-<lb/> ſönlich in den Brandſchriften, die aus der Schweiz herüberflogen, ſchänd-<lb/> lich angegriffen. Er unterhielt um jene Zeit ein zartes Verhältniß mit<lb/> einer Schauſpielerin Stubenrauch; die Sache war nicht der Rede werth,<lb/> denn wie hätten Weiber dieſen kalten, trockenen, ſelbſtiſchen Mann je be-<lb/> herrſchen können? — die demagogiſchen Pamphletiſten aber ſtimmten ein<lb/> Wuthgeſchrei an, als ob auch Württemberg von einer Lola regiert würde.<lb/> In den allerheftigſten Worten äußerte ſich der König über dieſe feile Dirne,<lb/> die Preſſe, die gleich dem Branntwein trinkenden Matroſen ſich zuletzt nur<lb/> noch beim Scheidewaſſer wohl fühle. „Nie und nimmer“, ſo ſagte er im<lb/> Nov. 1842 zu Rochow, könne man auf die Cenſur verzichten, am wenigſten<lb/> in den conſtitutionellen Staaten; und als der Preuße einwarf, ſachliche<lb/> Beſprechungen ſeien doch nothwendig, da ward ihm die Antwort: nein,<lb/> die Politik der Bundesſtaaten kann nur in den Behörden der Regierungen<lb/> liegen, wer den Zuſammenhang nicht kennt hat kein Urtheil. So ward<lb/> auch in Stuttgart ein Niemals! ausgeſprochen, glücklicherweiſe nicht öffent-<lb/> lich, und es ſollte hier noch ſchneller als in Berlin und Hannover durch<lb/> die Macht der Thatſachen widerlegt werden. Ganz in der kleinlichen Weiſe<lb/> des Miniſteriums Abel, das er doch ſelbſt verabſcheute, behandelte der<lb/> König ſeine Zeitungen. Ueber württembergiſche Zuſtände durften ſie kein<lb/> freies Wort wagen, auf die Großmächte mochten ſie ungeſtraft ſchelten,<lb/> während die preußiſche Cenſur angewieſen war, die Beſprechungen aus-<lb/> wärtiger Verhältniſſe ſtrenger zu behandeln als die Artikel über das In-<lb/> land. Und dabei beklagte er ſich beſtändig, wenn die ſchwäbiſchen Liberalen,<lb/> die daheim nicht reden konnten, in der Kölniſchen Zeitung oder in anderen<lb/> preußiſchen Blättern ihre Empfindungen kundgaben. Rochow meinte: „man<lb/> wünſcht geſchont zu werden, ſchont aber Andere nicht; man klagt über<lb/> Andere und vergißt, daß man ſelbſt zu Beſchwerden Anlaß giebt.“<note place="foot" n="*)">Rochow’s Berichte, 30. Nov. 1842, 20. Febr. 1843.</note></p><lb/> <p>Des Königs einziger Vertrauter blieb ſein alter Freund Frhr. v. Maucler,<lb/> der als thatſächlich unverantwortlicher Präſident des blos berathenden Ge-<lb/> heimen Rathes bei den meiſten Beamten-Ernennungen das entſcheidende<lb/> Wort ſprach. Die Verwaltung des Innern führte, umgeben von einem<lb/> Stabe klug ausgewählter tüchtiger junger Räthe, Miniſter Schlayer, noch<lb/> immer in ſeiner alten ſtreng bureaukratiſchen Weiſe, aber geſchickt und<lb/> ſorgſam; an der Spitze des Juſtizweſens ſtand der geſtrenge Prieſer, der<lb/> gleich manchen anderen verhaßten Beamten Süddeutſchlands ſeine Schule<lb/> in der Mainzer ſchwarzen Commiſſion durchgemacht hatte. Gehorſam<lb/> <fw place="bottom" type="sig">v. <hi rendition="#g">Treitſchke</hi>, Deutſche Geſchichte. <hi rendition="#aq">V.</hi> 43</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [673/0687]
Wilhelm von Württemberg und die Volkswünſche.
das neue liberale Programm, das jetzt in Süddeutſchland die Runde
machte. König Wilhelm aber hatte mit den Gedanken ſeiner Jugend längſt
gebrochen und urtheilte über dieſe Volkswünſche ſcharf: „ich bin durch
eine lange Erfahrung von der Unausführbarkeit überzeugt.“ Zumal die
Preßfreiheit war ihm ein Gräuel; und allerdings ſah er ſich auch per-
ſönlich in den Brandſchriften, die aus der Schweiz herüberflogen, ſchänd-
lich angegriffen. Er unterhielt um jene Zeit ein zartes Verhältniß mit
einer Schauſpielerin Stubenrauch; die Sache war nicht der Rede werth,
denn wie hätten Weiber dieſen kalten, trockenen, ſelbſtiſchen Mann je be-
herrſchen können? — die demagogiſchen Pamphletiſten aber ſtimmten ein
Wuthgeſchrei an, als ob auch Württemberg von einer Lola regiert würde.
In den allerheftigſten Worten äußerte ſich der König über dieſe feile Dirne,
die Preſſe, die gleich dem Branntwein trinkenden Matroſen ſich zuletzt nur
noch beim Scheidewaſſer wohl fühle. „Nie und nimmer“, ſo ſagte er im
Nov. 1842 zu Rochow, könne man auf die Cenſur verzichten, am wenigſten
in den conſtitutionellen Staaten; und als der Preuße einwarf, ſachliche
Beſprechungen ſeien doch nothwendig, da ward ihm die Antwort: nein,
die Politik der Bundesſtaaten kann nur in den Behörden der Regierungen
liegen, wer den Zuſammenhang nicht kennt hat kein Urtheil. So ward
auch in Stuttgart ein Niemals! ausgeſprochen, glücklicherweiſe nicht öffent-
lich, und es ſollte hier noch ſchneller als in Berlin und Hannover durch
die Macht der Thatſachen widerlegt werden. Ganz in der kleinlichen Weiſe
des Miniſteriums Abel, das er doch ſelbſt verabſcheute, behandelte der
König ſeine Zeitungen. Ueber württembergiſche Zuſtände durften ſie kein
freies Wort wagen, auf die Großmächte mochten ſie ungeſtraft ſchelten,
während die preußiſche Cenſur angewieſen war, die Beſprechungen aus-
wärtiger Verhältniſſe ſtrenger zu behandeln als die Artikel über das In-
land. Und dabei beklagte er ſich beſtändig, wenn die ſchwäbiſchen Liberalen,
die daheim nicht reden konnten, in der Kölniſchen Zeitung oder in anderen
preußiſchen Blättern ihre Empfindungen kundgaben. Rochow meinte: „man
wünſcht geſchont zu werden, ſchont aber Andere nicht; man klagt über
Andere und vergißt, daß man ſelbſt zu Beſchwerden Anlaß giebt.“ *)
Des Königs einziger Vertrauter blieb ſein alter Freund Frhr. v. Maucler,
der als thatſächlich unverantwortlicher Präſident des blos berathenden Ge-
heimen Rathes bei den meiſten Beamten-Ernennungen das entſcheidende
Wort ſprach. Die Verwaltung des Innern führte, umgeben von einem
Stabe klug ausgewählter tüchtiger junger Räthe, Miniſter Schlayer, noch
immer in ſeiner alten ſtreng bureaukratiſchen Weiſe, aber geſchickt und
ſorgſam; an der Spitze des Juſtizweſens ſtand der geſtrenge Prieſer, der
gleich manchen anderen verhaßten Beamten Süddeutſchlands ſeine Schule
in der Mainzer ſchwarzen Commiſſion durchgemacht hatte. Gehorſam
*) Rochow’s Berichte, 30. Nov. 1842, 20. Febr. 1843.
v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 43
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |