erlangen sollte, beschäftigte alle Höfe. Metternich ergriff nun den nahe liegenden Gedanken, durch die Verheirathung der jugendlichen Königin Isabella mit Don Carlos' Sohne, dem Grafen Montemolin die beiden feindlichen bourbonischen Linien zu versöhnen und also die gestörte Legi- timität auf einem Umwege wieder herzustellen. Der greise Staatskanzler hegte und pflegte diesen Einfall mit Zärtlichkeit, er nannte ihn mon idee*) und König Friedrich Wilhelm erklärte als begeisterter Legitimist seine freu- dige Zustimmung. Der Plan war theoretisch ebenso vortrefflich, wie der Vorschlag, den deutsch-dänischen Streit durch ein augustenburgisches König- thum abzuschneiden, doch leider auch ebenso unausführbar; die beiden Parteien haßten einander zu ingrimmig, unmöglich konnte Don Carlos, obgleich er zu Gunsten seines Sohnes soeben abgedankt hatte, das Thron- folgerecht seiner Nichte förmlich anerkennen.
Also mußte man nach einem anderen Stammhalter für Spanien suchen. Nach coburgischer Weltanschauung gebührte aber jede auf dem Erdkreise erledigte Krone von Rechtswegen den Genossen des großen Brüsseler Heirathsgeschäfts, und längst schon hielt König Leopold seinen Neffen, den Prinzen Leopold von Coburg-Kohary für den spanischen Thron bereit. Der wurde schon 1841, als Königin Isabella kaum elf Jahre alt war, den preußischen Gästen am Londoner Hofe allgemein als künftiger König von Spanien bezeichnet.**) Ganz aussichtslos schienen diese Anschläge nicht; denn da das Haus Coburg nach so vielen glückhaften Heirathen dem fran- zösischen Hofe ebenso nahe stand wie dem englischen, so konnte man wohl auf die Zustimmung Ludwig Philipp's hoffen. Nur unter dieser Voraus- setzung wollte der belgische König, der mit beiden Westmächten in Freund- schaft leben mußte, diesen Heirathsentwürfen beipflichten. Am Tuilerien- hofe erwachten dennoch bald Bedenken. Portugal wurde bereits von einem Coburger regiert und von der englischen Handelspolitik mit der äußersten Roheit mißhandelt; unwillkürlich regte sich die Befürchtung, daß ein co- burgisches Königthum in Madrid die gesammte pyrenäische Halbinsel der englischen Herrschaft überantworten müßte.
Trotz ihrer liberalen Redensarten blieben die Höfe der Westmächte ganz befangen in den Gedanken der alten Cabinetspolitik. Im spanischen Erbfolgekriege hatte Europa einst Ströme von Blut nutzlos vergeudet, weil die Höfe glaubten, daß Spanien unter bourbonischen Königen zu einer französischen Provinz werden müsse -- eine Annahme, die doch nachher keineswegs zutraf. So rechnete auch Ludwig Philipp, obgleich er Spanien kannte, durchaus nicht mit dem furchtbaren Fremdenhasse dieser Nation, der eine ausländische Herrschaft auf die Dauer rein unmöglich machte. Nach den Gefühlen des Volkes, dessen Schicksal entschieden werden
*) Canitz's Bericht, 12. April 1845.
**) S. o. V. 132.
Die Frage der ſpaniſchen Heirathen.
erlangen ſollte, beſchäftigte alle Höfe. Metternich ergriff nun den nahe liegenden Gedanken, durch die Verheirathung der jugendlichen Königin Iſabella mit Don Carlos’ Sohne, dem Grafen Montemolin die beiden feindlichen bourboniſchen Linien zu verſöhnen und alſo die geſtörte Legi- timität auf einem Umwege wieder herzuſtellen. Der greiſe Staatskanzler hegte und pflegte dieſen Einfall mit Zärtlichkeit, er nannte ihn mon idée*) und König Friedrich Wilhelm erklärte als begeiſterter Legitimiſt ſeine freu- dige Zuſtimmung. Der Plan war theoretiſch ebenſo vortrefflich, wie der Vorſchlag, den deutſch-däniſchen Streit durch ein auguſtenburgiſches König- thum abzuſchneiden, doch leider auch ebenſo unausführbar; die beiden Parteien haßten einander zu ingrimmig, unmöglich konnte Don Carlos, obgleich er zu Gunſten ſeines Sohnes ſoeben abgedankt hatte, das Thron- folgerecht ſeiner Nichte förmlich anerkennen.
Alſo mußte man nach einem anderen Stammhalter für Spanien ſuchen. Nach coburgiſcher Weltanſchauung gebührte aber jede auf dem Erdkreiſe erledigte Krone von Rechtswegen den Genoſſen des großen Brüſſeler Heirathsgeſchäfts, und längſt ſchon hielt König Leopold ſeinen Neffen, den Prinzen Leopold von Coburg-Kohary für den ſpaniſchen Thron bereit. Der wurde ſchon 1841, als Königin Iſabella kaum elf Jahre alt war, den preußiſchen Gäſten am Londoner Hofe allgemein als künftiger König von Spanien bezeichnet.**) Ganz ausſichtslos ſchienen dieſe Anſchläge nicht; denn da das Haus Coburg nach ſo vielen glückhaften Heirathen dem fran- zöſiſchen Hofe ebenſo nahe ſtand wie dem engliſchen, ſo konnte man wohl auf die Zuſtimmung Ludwig Philipp’s hoffen. Nur unter dieſer Voraus- ſetzung wollte der belgiſche König, der mit beiden Weſtmächten in Freund- ſchaft leben mußte, dieſen Heirathsentwürfen beipflichten. Am Tuilerien- hofe erwachten dennoch bald Bedenken. Portugal wurde bereits von einem Coburger regiert und von der engliſchen Handelspolitik mit der äußerſten Roheit mißhandelt; unwillkürlich regte ſich die Befürchtung, daß ein co- burgiſches Königthum in Madrid die geſammte pyrenäiſche Halbinſel der engliſchen Herrſchaft überantworten müßte.
Trotz ihrer liberalen Redensarten blieben die Höfe der Weſtmächte ganz befangen in den Gedanken der alten Cabinetspolitik. Im ſpaniſchen Erbfolgekriege hatte Europa einſt Ströme von Blut nutzlos vergeudet, weil die Höfe glaubten, daß Spanien unter bourboniſchen Königen zu einer franzöſiſchen Provinz werden müſſe — eine Annahme, die doch nachher keineswegs zutraf. So rechnete auch Ludwig Philipp, obgleich er Spanien kannte, durchaus nicht mit dem furchtbaren Fremdenhaſſe dieſer Nation, der eine ausländiſche Herrſchaft auf die Dauer rein unmöglich machte. Nach den Gefühlen des Volkes, deſſen Schickſal entſchieden werden
*) Canitz’s Bericht, 12. April 1845.
**) S. o. V. 132.
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Die Frage der ſpaniſchen Heirathen.
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Iſabella mit Don Carlos’ Sohne, dem Grafen Montemolin die beiden
feindlichen bourboniſchen Linien zu verſöhnen und alſo die geſtörte Legi-
timität auf einem Umwege wieder herzuſtellen. Der greiſe Staatskanzler
hegte und pflegte dieſen Einfall mit Zärtlichkeit, er nannte ihn mon idée *)
und König Friedrich Wilhelm erklärte als begeiſterter Legitimiſt ſeine freu-
dige Zuſtimmung. Der Plan war theoretiſch ebenſo vortrefflich, wie der
Vorſchlag, den deutſch-däniſchen Streit durch ein auguſtenburgiſches König-
thum abzuſchneiden, doch leider auch ebenſo unausführbar; die beiden
Parteien haßten einander zu ingrimmig, unmöglich konnte Don Carlos,
obgleich er zu Gunſten ſeines Sohnes ſoeben abgedankt hatte, das Thron-
folgerecht ſeiner Nichte förmlich anerkennen.
Alſo mußte man nach einem anderen Stammhalter für Spanien
ſuchen. Nach coburgiſcher Weltanſchauung gebührte aber jede auf dem
Erdkreiſe erledigte Krone von Rechtswegen den Genoſſen des großen
Brüſſeler Heirathsgeſchäfts, und längſt ſchon hielt König Leopold ſeinen
Neffen, den Prinzen Leopold von Coburg-Kohary für den ſpaniſchen Thron
bereit. Der wurde ſchon 1841, als Königin Iſabella kaum elf Jahre alt
war, den preußiſchen Gäſten am Londoner Hofe allgemein als künftiger König
von Spanien bezeichnet. **) Ganz ausſichtslos ſchienen dieſe Anſchläge nicht;
denn da das Haus Coburg nach ſo vielen glückhaften Heirathen dem fran-
zöſiſchen Hofe ebenſo nahe ſtand wie dem engliſchen, ſo konnte man wohl
auf die Zuſtimmung Ludwig Philipp’s hoffen. Nur unter dieſer Voraus-
ſetzung wollte der belgiſche König, der mit beiden Weſtmächten in Freund-
ſchaft leben mußte, dieſen Heirathsentwürfen beipflichten. Am Tuilerien-
hofe erwachten dennoch bald Bedenken. Portugal wurde bereits von einem
Coburger regiert und von der engliſchen Handelspolitik mit der äußerſten
Roheit mißhandelt; unwillkürlich regte ſich die Befürchtung, daß ein co-
burgiſches Königthum in Madrid die geſammte pyrenäiſche Halbinſel der
engliſchen Herrſchaft überantworten müßte.
Trotz ihrer liberalen Redensarten blieben die Höfe der Weſtmächte
ganz befangen in den Gedanken der alten Cabinetspolitik. Im ſpaniſchen
Erbfolgekriege hatte Europa einſt Ströme von Blut nutzlos vergeudet,
weil die Höfe glaubten, daß Spanien unter bourboniſchen Königen zu
einer franzöſiſchen Provinz werden müſſe — eine Annahme, die doch
nachher keineswegs zutraf. So rechnete auch Ludwig Philipp, obgleich
er Spanien kannte, durchaus nicht mit dem furchtbaren Fremdenhaſſe dieſer
Nation, der eine ausländiſche Herrſchaft auf die Dauer rein unmöglich
machte. Nach den Gefühlen des Volkes, deſſen Schickſal entſchieden werden
*) Canitz’s Bericht, 12. April 1845.
**) S. o. V. 132.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 703. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/717>, abgerufen am 22.11.2024.
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