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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Oesterreichs Nöthe.
Grundsätze, die Jesuiten in Innsbruck und anderen Städten zuließ; sie
übergaben die Erziehung des jungen Thronfolgers, des Erzherzogs Franz
Joseph, den clericalen Grafen Bombelles und Grünne.

Die althergebrachte Finanznoth verschlimmerte sich beständig, da die
geheime Polizei und die militärische Bewachung der Lombardei, Venedigs,
Galiziens ungeheure Summen verschlang und Niemand die Steuerkraft der
fruchtbaren Kronländer zu wecken verstand. Schon in den ersten fünfund-
zwanzig Jahren seit dem Wiener Congresse vermehrte sich die Staats-
schuld, nach Abzug der Tilgungen, um 441 Mill. Gulden -- ohne einen
Krieg, ohne irgend welche productive Staatsausgaben. Und so ging es
weiter. Der getreue Wiener Rothschild, das große, durch die Getreide-
aufkäufe der Theuerungsjahre unermeßlich bereicherte Bankhaus Sina und
andere Börsenfürsten brachten den Staat in eine schimpfliche Knechtschaft,
und die lachlustigen Wiener sprachen gern das neue Pariser Witzwort
nach: die Börse hält den Staat so wie der Strick den Gehenkten hält.
Als die bedrängte Staatsconferenz den Aufkauf der Privateisenbahn-Aktien
einzustellen beschloß, da erschien Rothschild mit einigen Genossen persön-
lich beim Erzherzog Ludwig und betheuerte, sie könnten die ausbedungenen
Einzahlungen auf die letzte Anleihe nicht mehr leisten, ja sie müßten
Hungers halber alle ihre k. k. Staatspapiere an der Börse verkaufen --
worauf dann sofort der Beschluß gehorsam zurückgenommen wurde.*)

Währenddem begann selbst der adliche niederösterreichische Landtag,
in dem die Städte gar kein Stimmrecht besaßen, eigene Gedanken zu
äußern. Die Zeit war nicht mehr, da Jedermann behaglich das große
Wort Bäuerle's wiederholt hatte: 's giebt nur a Kaiserstadt, 's giebt nur
a Wien. Die liberalen Ideen aus Deutschland drangen unaufhaltsam
ein, obschon eine wirkliche Kenntniß deutscher Zustände den Oesterreichern
noch immer gänzlich fehlte; die Zollbehörden selber hatten ihre stille Freude
daran, wenn die Grenzboten und der Rotteck-Welcker über die Grenze
gepascht wurden. In den wissenschaftlich verwahrlosten Gelehrtenschulen
herrschte ein ganz oppositioneller Geist, die Schüler wurden für die Stu-
dentenpolitik der Revolutionszeit gradezu erzogen. Diesen volksthümlichen
Stimmungen und zumal der zungenfertigen großstädtischen Kritik der
Wiener konnten sich die Stände Niederösterreichs auf die Dauer nicht
mehr entziehen. Seit 1845 etwa unterstanden sie sich zuweilen zu reden,
was sie seit zweihundert Jahren nicht mehr gewagt hatten, sie verlangten
eine landwirthschaftliche Creditanstalt, dann eine angemessene Vertretung
der Städte, endlich gar ein Recht des Beiraths bei neuen Gesetzen. Das
Alles ward doch bekannt, obgleich die Zeitungen nichts melden durften,
Metternich und seine Beamten sich in tiefes Schweigen hüllten.

Canitz selbst, damals noch Gesandter, konnte sich nicht enthalten dem

*) Graf Arnim's Bericht, 25. Sept. 1847.

Oeſterreichs Nöthe.
Grundſätze, die Jeſuiten in Innsbruck und anderen Städten zuließ; ſie
übergaben die Erziehung des jungen Thronfolgers, des Erzherzogs Franz
Joſeph, den clericalen Grafen Bombelles und Grünne.

Die althergebrachte Finanznoth verſchlimmerte ſich beſtändig, da die
geheime Polizei und die militäriſche Bewachung der Lombardei, Venedigs,
Galiziens ungeheure Summen verſchlang und Niemand die Steuerkraft der
fruchtbaren Kronländer zu wecken verſtand. Schon in den erſten fünfund-
zwanzig Jahren ſeit dem Wiener Congreſſe vermehrte ſich die Staats-
ſchuld, nach Abzug der Tilgungen, um 441 Mill. Gulden — ohne einen
Krieg, ohne irgend welche productive Staatsausgaben. Und ſo ging es
weiter. Der getreue Wiener Rothſchild, das große, durch die Getreide-
aufkäufe der Theuerungsjahre unermeßlich bereicherte Bankhaus Sina und
andere Börſenfürſten brachten den Staat in eine ſchimpfliche Knechtſchaft,
und die lachluſtigen Wiener ſprachen gern das neue Pariſer Witzwort
nach: die Börſe hält den Staat ſo wie der Strick den Gehenkten hält.
Als die bedrängte Staatsconferenz den Aufkauf der Privateiſenbahn-Aktien
einzuſtellen beſchloß, da erſchien Rothſchild mit einigen Genoſſen perſön-
lich beim Erzherzog Ludwig und betheuerte, ſie könnten die ausbedungenen
Einzahlungen auf die letzte Anleihe nicht mehr leiſten, ja ſie müßten
Hungers halber alle ihre k. k. Staatspapiere an der Börſe verkaufen —
worauf dann ſofort der Beſchluß gehorſam zurückgenommen wurde.*)

Währenddem begann ſelbſt der adliche niederöſterreichiſche Landtag,
in dem die Städte gar kein Stimmrecht beſaßen, eigene Gedanken zu
äußern. Die Zeit war nicht mehr, da Jedermann behaglich das große
Wort Bäuerle’s wiederholt hatte: ’s giebt nur a Kaiſerſtadt, ’s giebt nur
a Wien. Die liberalen Ideen aus Deutſchland drangen unaufhaltſam
ein, obſchon eine wirkliche Kenntniß deutſcher Zuſtände den Oeſterreichern
noch immer gänzlich fehlte; die Zollbehörden ſelber hatten ihre ſtille Freude
daran, wenn die Grenzboten und der Rotteck-Welcker über die Grenze
gepaſcht wurden. In den wiſſenſchaftlich verwahrloſten Gelehrtenſchulen
herrſchte ein ganz oppoſitioneller Geiſt, die Schüler wurden für die Stu-
dentenpolitik der Revolutionszeit gradezu erzogen. Dieſen volksthümlichen
Stimmungen und zumal der zungenfertigen großſtädtiſchen Kritik der
Wiener konnten ſich die Stände Niederöſterreichs auf die Dauer nicht
mehr entziehen. Seit 1845 etwa unterſtanden ſie ſich zuweilen zu reden,
was ſie ſeit zweihundert Jahren nicht mehr gewagt hatten, ſie verlangten
eine landwirthſchaftliche Creditanſtalt, dann eine angemeſſene Vertretung
der Städte, endlich gar ein Recht des Beiraths bei neuen Geſetzen. Das
Alles ward doch bekannt, obgleich die Zeitungen nichts melden durften,
Metternich und ſeine Beamten ſich in tiefes Schweigen hüllten.

Canitz ſelbſt, damals noch Geſandter, konnte ſich nicht enthalten dem

*) Graf Arnim’s Bericht, 25. Sept. 1847.
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[711/0725] Oeſterreichs Nöthe. Grundſätze, die Jeſuiten in Innsbruck und anderen Städten zuließ; ſie übergaben die Erziehung des jungen Thronfolgers, des Erzherzogs Franz Joſeph, den clericalen Grafen Bombelles und Grünne. Die althergebrachte Finanznoth verſchlimmerte ſich beſtändig, da die geheime Polizei und die militäriſche Bewachung der Lombardei, Venedigs, Galiziens ungeheure Summen verſchlang und Niemand die Steuerkraft der fruchtbaren Kronländer zu wecken verſtand. Schon in den erſten fünfund- zwanzig Jahren ſeit dem Wiener Congreſſe vermehrte ſich die Staats- ſchuld, nach Abzug der Tilgungen, um 441 Mill. Gulden — ohne einen Krieg, ohne irgend welche productive Staatsausgaben. Und ſo ging es weiter. Der getreue Wiener Rothſchild, das große, durch die Getreide- aufkäufe der Theuerungsjahre unermeßlich bereicherte Bankhaus Sina und andere Börſenfürſten brachten den Staat in eine ſchimpfliche Knechtſchaft, und die lachluſtigen Wiener ſprachen gern das neue Pariſer Witzwort nach: die Börſe hält den Staat ſo wie der Strick den Gehenkten hält. Als die bedrängte Staatsconferenz den Aufkauf der Privateiſenbahn-Aktien einzuſtellen beſchloß, da erſchien Rothſchild mit einigen Genoſſen perſön- lich beim Erzherzog Ludwig und betheuerte, ſie könnten die ausbedungenen Einzahlungen auf die letzte Anleihe nicht mehr leiſten, ja ſie müßten Hungers halber alle ihre k. k. Staatspapiere an der Börſe verkaufen — worauf dann ſofort der Beſchluß gehorſam zurückgenommen wurde. *) Währenddem begann ſelbſt der adliche niederöſterreichiſche Landtag, in dem die Städte gar kein Stimmrecht beſaßen, eigene Gedanken zu äußern. Die Zeit war nicht mehr, da Jedermann behaglich das große Wort Bäuerle’s wiederholt hatte: ’s giebt nur a Kaiſerſtadt, ’s giebt nur a Wien. Die liberalen Ideen aus Deutſchland drangen unaufhaltſam ein, obſchon eine wirkliche Kenntniß deutſcher Zuſtände den Oeſterreichern noch immer gänzlich fehlte; die Zollbehörden ſelber hatten ihre ſtille Freude daran, wenn die Grenzboten und der Rotteck-Welcker über die Grenze gepaſcht wurden. In den wiſſenſchaftlich verwahrloſten Gelehrtenſchulen herrſchte ein ganz oppoſitioneller Geiſt, die Schüler wurden für die Stu- dentenpolitik der Revolutionszeit gradezu erzogen. Dieſen volksthümlichen Stimmungen und zumal der zungenfertigen großſtädtiſchen Kritik der Wiener konnten ſich die Stände Niederöſterreichs auf die Dauer nicht mehr entziehen. Seit 1845 etwa unterſtanden ſie ſich zuweilen zu reden, was ſie ſeit zweihundert Jahren nicht mehr gewagt hatten, ſie verlangten eine landwirthſchaftliche Creditanſtalt, dann eine angemeſſene Vertretung der Städte, endlich gar ein Recht des Beiraths bei neuen Geſetzen. Das Alles ward doch bekannt, obgleich die Zeitungen nichts melden durften, Metternich und ſeine Beamten ſich in tiefes Schweigen hüllten. Canitz ſelbſt, damals noch Geſandter, konnte ſich nicht enthalten dem *) Graf Arnim’s Bericht, 25. Sept. 1847.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 711. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/725>, abgerufen am 25.11.2024.