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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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XXX. Römische Verhandlungen des Grafen Brühl.
XXX. Römische Verhandlungen des Grafen Brühl.

Zu Bd. V. S. 278 ff.

In E. Friedberg's lehrreicher Schrift: Die Grundlagen der preußischen Kirchen-
politik unter König Friedrich Wilhelm IV., Leipzig 1882, sind die preußisch-römischen
Verhandlungen der Jahre 1840 und 41 zum ersten male auf Grund authentischer
Actenstücke dargestellt worden. Der Verfasser kannte aber nur einen Theil der Quellen.
Durch ein hochherziges Vertrauen, das mich zu warmem Danke verpflichtet, habe ich
nun den gesammten politischen Nachlaß des Grafen Brühl, so weit er sich auf die drei
römischen Sendungen bezieht, kennen gelernt; demnach konnte ich die Erzählung Fried-
berg's in mancher Hinsicht ergänzen. Alles Wesentliche ist im Texte schon gesagt; nur
einige kleine Züge, welche die Darstellung zu sehr belastet hätten, gebe ich hier noch an.

Graf Brühl gewann im Vatican sofort einen sehr ungünstigen Eindruck von der
Stellung seiner Krone und sagte schon am Schlusse seines ersten Berichts (20. Aug.
1840): "Rom hat offenbar gewonnen, hat sich durch die Meinung erkräftigt und will
das Erlangte nicht verletzen; Preußen hat verloren, will aber den Schein retten." Er
bemerkte alsbald, daß der leidenschaftliche Lambruschini vor allen Anderen die feind-
seligen Cleriker in Deutschland haßte: so die Hermesianer, die doch bei der preußischen
Krone gar nichts mehr galten, so das ruchlose, "infame" Kölner Domcapitel, das
seinen Oberhirten verrathen hätte, so den milden Sedlnitzky, der von jeher ein schlechter
Katholik gewesen sei. Für die willkürliche Behandlung des Breslauer Fürstbischofs sollte
Brühl sofort kategorisch eine Genugthuung verlangen; er wagte es aber nicht, weil er,
leider mit Recht, fürchtete, dann die ganze Verhandlung zu verderben (Bericht v. 21. Aug.
1840), und weil einem Prälaten, der sich selber aufgab, von Staatswegen nicht mehr
zu helfen war. Von dem neuen Könige sprachen die Monsignoren alle mit vertrauens-
voller Verehrung; Lambruschini sagte feierlich: sollte Frankreich je die Revolution an
den Rhein tragen, dann wird Rom seine Schuldigkeit thun, und ich selbst werde mit
dem Kreuze in der Hand erscheinen (Bericht v. 4. Sept. 1840). Gegen "die soge-
nannten Rathgeber" Friedrich Wilhelm's aber hegten die Cardinäle ein tiefes Mißtrauen,
Eichhorn galt ihnen offenbar nicht mehr als Altenstein. Wie seltsam die Zeiten sich
geändert hatten, das zeigte namentlich Lambruschini's glühender Haß gegen Niebuhr,
der doch einst mit Papst Pius und Consalvi so friedlich ausgekommen war. Dem
großen Historiker konnte man im neuen Rom gar nicht verzeihen, daß er einst die Listen-
wahl für die Bisthümer abgelehnt und seiner Krone das Recht der Exclusiva gesichert
hatte. Leider hatte die Krone dies werthvolle Recht mit unbegreiflicher Thorheit gehand-
habt, ihren Todfeind selbst auf den Kölnischen Stuhl berufen; und Brühl konnte nur
wenig einwenden, als Lambruschini ihm späterhin höhnisch vorhielt: "Droste war eine
Creatur der königlichen Regierung" und hätte bei freier canonischer Wahl die erzbischöf-
liche Würde nie erlangt! (Bericht vom 30. Dec. 1840.)

Sehr deutlich verrieth Lambruschini gleich in den ersten Gesprächen den Wunsch
der Curie, daß Preußen einen katholischen Gesandten nach Rom schicken möge. Dem
konnte der treue Freund des Königs unmöglich beipflichten. Brühl meinte, ein Cleri-
caler würde an solcher Stelle ganz für den Vatican gewonnen, ein freisinniger Katholik
bald unhaltbar werden (Brühl's Notizen zum Bericht v. 21. Aug. 1840). Noch weit
lebhafter, in mannichfachen Wendungen, befürworteten die Cardinäle den Vorschlag,
Preußen möge in Berlin einen beglaubigten päpstlichen Residenten zulassen, der natürlich
nur der Vorläufer eines Nuntius sein sollte. Die Gründe, welche der milde Cardinal
Capaccini dafür anführte, ließen sich wohl hören. Er sagte ganz richtig: was wir
heute hier über Preußen erfahren, stammt nur aus Zeitungsartikeln oder aus gehässigen,
oft schmutzigen Denunciationen (Nachtrag zum Bericht v. 3. Sept. 1840). Die großen
Bedenken aber, welche sich aus Preußens verwickelten Parteiverhältnissen ergaben, waren

XXX. Römiſche Verhandlungen des Grafen Brühl.
XXX. Römiſche Verhandlungen des Grafen Brühl.

Zu Bd. V. S. 278 ff.

In E. Friedberg’s lehrreicher Schrift: Die Grundlagen der preußiſchen Kirchen-
politik unter König Friedrich Wilhelm IV., Leipzig 1882, ſind die preußiſch-römiſchen
Verhandlungen der Jahre 1840 und 41 zum erſten male auf Grund authentiſcher
Actenſtücke dargeſtellt worden. Der Verfaſſer kannte aber nur einen Theil der Quellen.
Durch ein hochherziges Vertrauen, das mich zu warmem Danke verpflichtet, habe ich
nun den geſammten politiſchen Nachlaß des Grafen Brühl, ſo weit er ſich auf die drei
römiſchen Sendungen bezieht, kennen gelernt; demnach konnte ich die Erzählung Fried-
berg’s in mancher Hinſicht ergänzen. Alles Weſentliche iſt im Texte ſchon geſagt; nur
einige kleine Züge, welche die Darſtellung zu ſehr belaſtet hätten, gebe ich hier noch an.

Graf Brühl gewann im Vatican ſofort einen ſehr ungünſtigen Eindruck von der
Stellung ſeiner Krone und ſagte ſchon am Schluſſe ſeines erſten Berichts (20. Aug.
1840): „Rom hat offenbar gewonnen, hat ſich durch die Meinung erkräftigt und will
das Erlangte nicht verletzen; Preußen hat verloren, will aber den Schein retten.“ Er
bemerkte alsbald, daß der leidenſchaftliche Lambruschini vor allen Anderen die feind-
ſeligen Cleriker in Deutſchland haßte: ſo die Hermeſianer, die doch bei der preußiſchen
Krone gar nichts mehr galten, ſo das ruchloſe, „infame“ Kölner Domcapitel, das
ſeinen Oberhirten verrathen hätte, ſo den milden Sedlnitzky, der von jeher ein ſchlechter
Katholik geweſen ſei. Für die willkürliche Behandlung des Breslauer Fürſtbiſchofs ſollte
Brühl ſofort kategoriſch eine Genugthuung verlangen; er wagte es aber nicht, weil er,
leider mit Recht, fürchtete, dann die ganze Verhandlung zu verderben (Bericht v. 21. Aug.
1840), und weil einem Prälaten, der ſich ſelber aufgab, von Staatswegen nicht mehr
zu helfen war. Von dem neuen Könige ſprachen die Monſignoren alle mit vertrauens-
voller Verehrung; Lambruschini ſagte feierlich: ſollte Frankreich je die Revolution an
den Rhein tragen, dann wird Rom ſeine Schuldigkeit thun, und ich ſelbſt werde mit
dem Kreuze in der Hand erſcheinen (Bericht v. 4. Sept. 1840). Gegen „die ſoge-
nannten Rathgeber“ Friedrich Wilhelm’s aber hegten die Cardinäle ein tiefes Mißtrauen,
Eichhorn galt ihnen offenbar nicht mehr als Altenſtein. Wie ſeltſam die Zeiten ſich
geändert hatten, das zeigte namentlich Lambruschini’s glühender Haß gegen Niebuhr,
der doch einſt mit Papſt Pius und Conſalvi ſo friedlich ausgekommen war. Dem
großen Hiſtoriker konnte man im neuen Rom gar nicht verzeihen, daß er einſt die Liſten-
wahl für die Bisthümer abgelehnt und ſeiner Krone das Recht der Excluſiva geſichert
hatte. Leider hatte die Krone dies werthvolle Recht mit unbegreiflicher Thorheit gehand-
habt, ihren Todfeind ſelbſt auf den Kölniſchen Stuhl berufen; und Brühl konnte nur
wenig einwenden, als Lambruschini ihm ſpäterhin höhniſch vorhielt: „Droſte war eine
Creatur der königlichen Regierung“ und hätte bei freier canoniſcher Wahl die erzbiſchöf-
liche Würde nie erlangt! (Bericht vom 30. Dec. 1840.)

Sehr deutlich verrieth Lambruschini gleich in den erſten Geſprächen den Wunſch
der Curie, daß Preußen einen katholiſchen Geſandten nach Rom ſchicken möge. Dem
konnte der treue Freund des Königs unmöglich beipflichten. Brühl meinte, ein Cleri-
caler würde an ſolcher Stelle ganz für den Vatican gewonnen, ein freiſinniger Katholik
bald unhaltbar werden (Brühl’s Notizen zum Bericht v. 21. Aug. 1840). Noch weit
lebhafter, in mannichfachen Wendungen, befürworteten die Cardinäle den Vorſchlag,
Preußen möge in Berlin einen beglaubigten päpſtlichen Reſidenten zulaſſen, der natürlich
nur der Vorläufer eines Nuntius ſein ſollte. Die Gründe, welche der milde Cardinal
Capaccini dafür anführte, ließen ſich wohl hören. Er ſagte ganz richtig: was wir
heute hier über Preußen erfahren, ſtammt nur aus Zeitungsartikeln oder aus gehäſſigen,
oft ſchmutzigen Denunciationen (Nachtrag zum Bericht v. 3. Sept. 1840). Die großen
Bedenken aber, welche ſich aus Preußens verwickelten Parteiverhältniſſen ergaben, waren

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[763/0777] XXX. Römiſche Verhandlungen des Grafen Brühl. XXX. Römiſche Verhandlungen des Grafen Brühl. Zu Bd. V. S. 278 ff. In E. Friedberg’s lehrreicher Schrift: Die Grundlagen der preußiſchen Kirchen- politik unter König Friedrich Wilhelm IV., Leipzig 1882, ſind die preußiſch-römiſchen Verhandlungen der Jahre 1840 und 41 zum erſten male auf Grund authentiſcher Actenſtücke dargeſtellt worden. Der Verfaſſer kannte aber nur einen Theil der Quellen. Durch ein hochherziges Vertrauen, das mich zu warmem Danke verpflichtet, habe ich nun den geſammten politiſchen Nachlaß des Grafen Brühl, ſo weit er ſich auf die drei römiſchen Sendungen bezieht, kennen gelernt; demnach konnte ich die Erzählung Fried- berg’s in mancher Hinſicht ergänzen. Alles Weſentliche iſt im Texte ſchon geſagt; nur einige kleine Züge, welche die Darſtellung zu ſehr belaſtet hätten, gebe ich hier noch an. Graf Brühl gewann im Vatican ſofort einen ſehr ungünſtigen Eindruck von der Stellung ſeiner Krone und ſagte ſchon am Schluſſe ſeines erſten Berichts (20. Aug. 1840): „Rom hat offenbar gewonnen, hat ſich durch die Meinung erkräftigt und will das Erlangte nicht verletzen; Preußen hat verloren, will aber den Schein retten.“ Er bemerkte alsbald, daß der leidenſchaftliche Lambruschini vor allen Anderen die feind- ſeligen Cleriker in Deutſchland haßte: ſo die Hermeſianer, die doch bei der preußiſchen Krone gar nichts mehr galten, ſo das ruchloſe, „infame“ Kölner Domcapitel, das ſeinen Oberhirten verrathen hätte, ſo den milden Sedlnitzky, der von jeher ein ſchlechter Katholik geweſen ſei. Für die willkürliche Behandlung des Breslauer Fürſtbiſchofs ſollte Brühl ſofort kategoriſch eine Genugthuung verlangen; er wagte es aber nicht, weil er, leider mit Recht, fürchtete, dann die ganze Verhandlung zu verderben (Bericht v. 21. Aug. 1840), und weil einem Prälaten, der ſich ſelber aufgab, von Staatswegen nicht mehr zu helfen war. Von dem neuen Könige ſprachen die Monſignoren alle mit vertrauens- voller Verehrung; Lambruschini ſagte feierlich: ſollte Frankreich je die Revolution an den Rhein tragen, dann wird Rom ſeine Schuldigkeit thun, und ich ſelbſt werde mit dem Kreuze in der Hand erſcheinen (Bericht v. 4. Sept. 1840). Gegen „die ſoge- nannten Rathgeber“ Friedrich Wilhelm’s aber hegten die Cardinäle ein tiefes Mißtrauen, Eichhorn galt ihnen offenbar nicht mehr als Altenſtein. Wie ſeltſam die Zeiten ſich geändert hatten, das zeigte namentlich Lambruschini’s glühender Haß gegen Niebuhr, der doch einſt mit Papſt Pius und Conſalvi ſo friedlich ausgekommen war. Dem großen Hiſtoriker konnte man im neuen Rom gar nicht verzeihen, daß er einſt die Liſten- wahl für die Bisthümer abgelehnt und ſeiner Krone das Recht der Excluſiva geſichert hatte. Leider hatte die Krone dies werthvolle Recht mit unbegreiflicher Thorheit gehand- habt, ihren Todfeind ſelbſt auf den Kölniſchen Stuhl berufen; und Brühl konnte nur wenig einwenden, als Lambruschini ihm ſpäterhin höhniſch vorhielt: „Droſte war eine Creatur der königlichen Regierung“ und hätte bei freier canoniſcher Wahl die erzbiſchöf- liche Würde nie erlangt! (Bericht vom 30. Dec. 1840.) Sehr deutlich verrieth Lambruschini gleich in den erſten Geſprächen den Wunſch der Curie, daß Preußen einen katholiſchen Geſandten nach Rom ſchicken möge. Dem konnte der treue Freund des Königs unmöglich beipflichten. Brühl meinte, ein Cleri- caler würde an ſolcher Stelle ganz für den Vatican gewonnen, ein freiſinniger Katholik bald unhaltbar werden (Brühl’s Notizen zum Bericht v. 21. Aug. 1840). Noch weit lebhafter, in mannichfachen Wendungen, befürworteten die Cardinäle den Vorſchlag, Preußen möge in Berlin einen beglaubigten päpſtlichen Reſidenten zulaſſen, der natürlich nur der Vorläufer eines Nuntius ſein ſollte. Die Gründe, welche der milde Cardinal Capaccini dafür anführte, ließen ſich wohl hören. Er ſagte ganz richtig: was wir heute hier über Preußen erfahren, ſtammt nur aus Zeitungsartikeln oder aus gehäſſigen, oft ſchmutzigen Denunciationen (Nachtrag zum Bericht v. 3. Sept. 1840). Die großen Bedenken aber, welche ſich aus Preußens verwickelten Parteiverhältniſſen ergaben, waren

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 763. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/777>, abgerufen am 27.11.2024.