Allein ist es vorzüglich nur dieser negative Nutzen, worauf die Heilkunde Anspruch machen darf, was ist denn nachtheiliger, als die Gränzen unserer Kunst immer mehr erweitern, da wir dar- auf hinarbeiten sollten, sie bis auf erleuchtetere Jahrhunderte zu verengern; was verwerflicher, als unaufhörlich nach neuen Arzneyen haschen, da wir uns bemühen sollten, unserer Kunst erst eine feste Grundlage zu verschaffen? Jener negative Nutzen der Medicin muss von dem Schaden, den sie an- richtet, überwogen werden, so lange wir fortfah- ren, mit Hülfe einer unzureichenden Empirie, oder eines mangelhaften Dogmatismus, Beherr- scher, oder, was vielleicht eben so schlimm ist, Diener der Natur seyn zu wollen; so lange wir uns nicht begnügen, unermüdete, aber, so viel wie möglich, müssige Beobachter der Autokratie der Natur oder des Todes zu seyn, und blos da zu han- deln, wo unser Handeln nur nützen, nicht scha- den kann. Gelegenheiten dieser Art, um thätig zu seyn, werden sich noch genug finden. Ein Bey- spiel giebt die venerische Krankheit. Ueberhaupt aber gehören hierher alle Fälle, in welchen sich Regeln, die auf reinen objektiven Erfahrungen ge- bauet sind, anwenden lassen. Eine Schrift, welche diese Fälle genau bestimmte, und sie von denen absonderte, wo alles Handeln schaden kann, wür- de ihren Verfasser einer Bürgerkrone würdiger machen, als die Entdeckung von Hunderten neuer Arzneymittel.
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Allein ist es vorzüglich nur dieser negative Nutzen, worauf die Heilkunde Anspruch machen darf, was ist denn nachtheiliger, als die Gränzen unserer Kunst immer mehr erweitern, da wir dar- auf hinarbeiten sollten, sie bis auf erleuchtetere Jahrhunderte zu verengern; was verwerflicher, als unaufhörlich nach neuen Arzneyen haschen, da wir uns bemühen sollten, unserer Kunst erst eine feste Grundlage zu verschaffen? Jener negative Nutzen der Medicin muſs von dem Schaden, den sie an- richtet, überwogen werden, so lange wir fortfah- ren, mit Hülfe einer unzureichenden Empirie, oder eines mangelhaften Dogmatismus, Beherr- scher, oder, was vielleicht eben so schlimm ist, Diener der Natur seyn zu wollen; so lange wir uns nicht begnügen, unermüdete, aber, so viel wie möglich, müssige Beobachter der Autokratie der Natur oder des Todes zu seyn, und blos da zu han- deln, wo unser Handeln nur nützen, nicht scha- den kann. Gelegenheiten dieser Art, um thätig zu seyn, werden sich noch genug finden. Ein Bey- spiel giebt die venerische Krankheit. Ueberhaupt aber gehören hierher alle Fälle, in welchen sich Regeln, die auf reinen objektiven Erfahrungen ge- bauet sind, anwenden lassen. Eine Schrift, welche diese Fälle genau bestimmte, und sie von denen absonderte, wo alles Handeln schaden kann, wür- de ihren Verfasser einer Bürgerkrone würdiger machen, als die Entdeckung von Hunderten neuer Arzneymittel.
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Allein ist es vorzüglich nur dieser negative
Nutzen, worauf die Heilkunde Anspruch machen
darf, was ist denn nachtheiliger, als die Gränzen
unserer Kunst immer mehr erweitern, da wir dar-
auf hinarbeiten sollten, sie bis auf erleuchtetere
Jahrhunderte zu verengern; was verwerflicher, als
unaufhörlich nach neuen Arzneyen haschen, da wir
uns bemühen sollten, unserer Kunst erst eine feste
Grundlage zu verschaffen? Jener negative Nutzen
der Medicin muſs von dem Schaden, den sie an-
richtet, überwogen werden, so lange wir fortfah-
ren, mit Hülfe einer unzureichenden Empirie,
oder eines mangelhaften Dogmatismus, Beherr-
scher, oder, was vielleicht eben so schlimm ist,
Diener der Natur seyn zu wollen; so lange wir uns
nicht begnügen, unermüdete, aber, so viel wie
möglich, müssige Beobachter der Autokratie der
Natur oder des Todes zu seyn, und blos da zu han-
deln, wo unser Handeln nur nützen, nicht scha-
den kann. Gelegenheiten dieser Art, um thätig
zu seyn, werden sich noch genug finden. Ein Bey-
spiel giebt die venerische Krankheit. Ueberhaupt
aber gehören hierher alle Fälle, in welchen sich
Regeln, die auf reinen objektiven Erfahrungen ge-
bauet sind, anwenden lassen. Eine Schrift, welche
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de ihren Verfasser einer Bürgerkrone würdiger
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/163>, abgerufen am 04.12.2024.
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