1) Nicht jede Uebertretung der intensi- ven Schranken des Lebens darf die völlige Zerstöhrung des lebenden Organismus nach sich ziehen. Es muss bey der Tendenz zur Zerstöh- rung bleiben, und der letztere muss das Vermögen besitzen, von der nie- dern Stufe des Lebens, worauf ihn jene Uebertretung zurückwarf, sich zu der höhern, worauf er vorher stand, wieder zu erheben, Krankheit wieder in Gesundheit zu verwandeln, kurz wieder zu genesen.
Aber dieses Vermögen muss so gut beschränkt seyn, als das Leben selber. Denn ohne diese Be- schränktheit könnte auch der natürliche Tod nicht statt finden. Es muss daher
2) auch bey der Fortpflanzung des Geschlechts hierauf gerechnet seyn, und jeder leben- de Organismus muss nicht blos ein einzelnes Individuum zum Ersatze seiner selbst, sondern eine desto grössere Anzahl von Nachkommen er- zeugen, je mehr die Gattung, wozu er gehört, widernatürlichen Todes- arten ausgesetzt ist. So finden wir es auch wirklich in der Erfahrung. Die Zahl der Nachkommen eines Thiers steigt, je wehrloser
es
1) Nicht jede Uebertretung der intensi- ven Schranken des Lebens darf die völlige Zerstöhrung des lebenden Organismus nach sich ziehen. Es muſs bey der Tendenz zur Zerstöh- rung bleiben, und der letztere muſs das Vermögen besitzen, von der nie- dern Stufe des Lebens, worauf ihn jene Uebertretung zurückwarf, sich zu der höhern, worauf er vorher stand, wieder zu erheben, Krankheit wieder in Gesundheit zu verwandeln, kurz wieder zu genesen.
Aber dieses Vermögen muſs so gut beschränkt seyn, als das Leben selber. Denn ohne diese Be- schränktheit könnte auch der natürliche Tod nicht statt finden. Es muſs daher
2) auch bey der Fortpflanzung des Geschlechts hierauf gerechnet seyn, und jeder leben- de Organismus muſs nicht blos ein einzelnes Individuum zum Ersatze seiner selbst, sondern eine desto gröſsere Anzahl von Nachkommen er- zeugen, je mehr die Gattung, wozu er gehört, widernatürlichen Todes- arten ausgesetzt ist. So finden wir es auch wirklich in der Erfahrung. Die Zahl der Nachkommen eines Thiers steigt, je wehrloser
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1) Nicht jede Uebertretung der intensi-
ven Schranken des Lebens darf die
völlige Zerstöhrung des lebenden
Organismus nach sich ziehen. Es
muſs bey der Tendenz zur Zerstöh-
rung bleiben, und der letztere muſs
das Vermögen besitzen, von der nie-
dern Stufe des Lebens, worauf ihn
jene Uebertretung zurückwarf, sich
zu der höhern, worauf er vorher
stand, wieder zu erheben, Krankheit
wieder in Gesundheit zu verwandeln, kurz
wieder zu genesen.
Aber dieses Vermögen muſs so gut beschränkt
seyn, als das Leben selber. Denn ohne diese Be-
schränktheit könnte auch der natürliche Tod nicht
statt finden. Es muſs daher
2) auch bey der Fortpflanzung des Geschlechts
hierauf gerechnet seyn, und jeder leben-
de Organismus muſs nicht blos ein
einzelnes Individuum zum Ersatze
seiner selbst, sondern eine desto
gröſsere Anzahl von Nachkommen er-
zeugen, je mehr die Gattung, wozu
er gehört, widernatürlichen Todes-
arten ausgesetzt ist. So finden wir es
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Nachkommen eines Thiers steigt, je wehrloser
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/99>, abgerufen am 04.12.2024.
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