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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 3. Göttingen, 1805.

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Ich antworte, dass diese Schwürigkeit geho-
ben ist, sobald man zwischen dem entlehnten
und dem eigenthümlichen Leben unterschei-
det. Ein entlehntes Leben besitzen diejenigen
Körper, die wir in der Einleitung leblose ge-
nannt haben. Diese reagiren nur gleichförmig
gegen die Einwirkungen der äussern Welt, weil
sie Theile eines lebenden Ganzen sind. Getrennt
von diesem, erfolgen an ihnen neue ungleichför-
mige Erscheinungen. Diese Trennung nimmt
die Kunst bey allen chemischen Processen vor.
Daher die Ohnmacht der Chemie in der Nachah-
mung alles dessen, was sich im Schoosse der
Erde erzeugt, und daher das Unerklärbare aller
geologischen und meteorologischen Erscheinungen
aus chemischen Grundsätzen. Hingegen was ein
eigenthümliches Leben besitzt, ist unmittelbar
oder mittelbar dem Einflusse der Geisterwelt aus-
gesetzt. Es äussert entweder selber willkührliche
Handlungen, oder ist abhängig von Organismen,
die sich aus einem innern Princip zur Thätigkeit
oder Ruhe bestimmen. Ohne diese Verbindung
des Lebens mit der Geisterwelt würden wir gar
keinen Begriff von Leben haben, weil es nur
vermöge dieser Verbindung Körper giebt, die
zufälligen und also ungleichförmigen Einwirkun-
gen ausgesetzt sind. Verstehen wir nun in Zu-
kunft unter lebenden Körpern blos diejenigen,
die ein eigenthümliches Leben besitzen, unter

leb-
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Ich antworte, daſs diese Schwürigkeit geho-
ben ist, sobald man zwischen dem entlehnten
und dem eigenthümlichen Leben unterschei-
det. Ein entlehntes Leben besitzen diejenigen
Körper, die wir in der Einleitung leblose ge-
nannt haben. Diese reagiren nur gleichförmig
gegen die Einwirkungen der äussern Welt, weil
sie Theile eines lebenden Ganzen sind. Getrennt
von diesem, erfolgen an ihnen neue ungleichför-
mige Erscheinungen. Diese Trennung nimmt
die Kunst bey allen chemischen Processen vor.
Daher die Ohnmacht der Chemie in der Nachah-
mung alles dessen, was sich im Schooſse der
Erde erzeugt, und daher das Unerklärbare aller
geologischen und meteorologischen Erscheinungen
aus chemischen Grundsätzen. Hingegen was ein
eigenthümliches Leben besitzt, ist unmittelbar
oder mittelbar dem Einflusse der Geisterwelt aus-
gesetzt. Es äussert entweder selber willkührliche
Handlungen, oder ist abhängig von Organismen,
die sich aus einem innern Princip zur Thätigkeit
oder Ruhe bestimmen. Ohne diese Verbindung
des Lebens mit der Geisterwelt würden wir gar
keinen Begriff von Leben haben, weil es nur
vermöge dieser Verbindung Körper giebt, die
zufälligen und also ungleichförmigen Einwirkun-
gen ausgesetzt sind. Verstehen wir nun in Zu-
kunft unter lebenden Körpern blos diejenigen,
die ein eigenthümliches Leben besitzen, unter

leb-
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[551/0561] Ich antworte, daſs diese Schwürigkeit geho- ben ist, sobald man zwischen dem entlehnten und dem eigenthümlichen Leben unterschei- det. Ein entlehntes Leben besitzen diejenigen Körper, die wir in der Einleitung leblose ge- nannt haben. Diese reagiren nur gleichförmig gegen die Einwirkungen der äussern Welt, weil sie Theile eines lebenden Ganzen sind. Getrennt von diesem, erfolgen an ihnen neue ungleichför- mige Erscheinungen. Diese Trennung nimmt die Kunst bey allen chemischen Processen vor. Daher die Ohnmacht der Chemie in der Nachah- mung alles dessen, was sich im Schooſse der Erde erzeugt, und daher das Unerklärbare aller geologischen und meteorologischen Erscheinungen aus chemischen Grundsätzen. Hingegen was ein eigenthümliches Leben besitzt, ist unmittelbar oder mittelbar dem Einflusse der Geisterwelt aus- gesetzt. Es äussert entweder selber willkührliche Handlungen, oder ist abhängig von Organismen, die sich aus einem innern Princip zur Thätigkeit oder Ruhe bestimmen. Ohne diese Verbindung des Lebens mit der Geisterwelt würden wir gar keinen Begriff von Leben haben, weil es nur vermöge dieser Verbindung Körper giebt, die zufälligen und also ungleichförmigen Einwirkun- gen ausgesetzt sind. Verstehen wir nun in Zu- kunft unter lebenden Körpern blos diejenigen, die ein eigenthümliches Leben besitzen, unter leb- M m 4

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Zitationshilfe: Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 3. Göttingen, 1805, S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie03_1805/561>, abgerufen am 16.06.2024.