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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 4. Göttingen, 1814.

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Vermöge dieser Abhängigkeit des Lebensprincips
jedes einzelnen Wesens von einer gemeinschaft-
lichen Grundkraft nimmt alles Lebende an den
Veränderungen der Urquelle des Lebens Theil,
und es giebt daher Erscheinungen in der lebenden
Natur, deren Ursachen weit höher als in der Ein-
wirkung mechanischer oder chemischer Potenzen
liegen.

Dem Bildungsprincip der lebenden Körper muss
folglich ein gewisser Grad der Unabhängigkeit
von äussern Einflüssen zugeschrieben werden.
Von dieser Kraft ahnete man auch schon früher ein
solches Wirken. Indem ihr Blumenbach den
Namen des Bildungstriebs beylegte, erklärte
er sie damit für etwas der Schwere und dem
Magnetismus Aehnliches, zu dessen Wirksamkeit
keine äussere Anlässe erforderlich sind, sondern
das den Grund seiner Thätigkeit in sich selber
hat. Selbst schon im Alterthum fanden scharfsin-
nige Denker in der Voraussetzung eines zweck-
mässig und unabhängig von Erregungen wirken-
den Princips die Auflösung des Problems von dem
Ursprunge des Lebens. Ein solches war die Welt-
seele
der Platoniker und die plastische Natur
des Cudworth. Wegen der Aehnlichkeit zwischen
den menschlichen Kunstprodukten und den Wir-
kungen des Bildungsprincips, und wegen des die-
sem zukommenden Analogon von Spontaneität war

auch
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Vermöge dieser Abhängigkeit des Lebensprincips
jedes einzelnen Wesens von einer gemeinschaft-
lichen Grundkraft nimmt alles Lebende an den
Veränderungen der Urquelle des Lebens Theil,
und es giebt daher Erscheinungen in der lebenden
Natur, deren Ursachen weit höher als in der Ein-
wirkung mechanischer oder chemischer Potenzen
liegen.

Dem Bildungsprincip der lebenden Körper muſs
folglich ein gewisser Grad der Unabhängigkeit
von äussern Einflüssen zugeschrieben werden.
Von dieser Kraft ahnete man auch schon früher ein
solches Wirken. Indem ihr Blumenbach den
Namen des Bildungstriebs beylegte, erklärte
er sie damit für etwas der Schwere und dem
Magnetismus Aehnliches, zu dessen Wirksamkeit
keine äussere Anlässe erforderlich sind, sondern
das den Grund seiner Thätigkeit in sich selber
hat. Selbst schon im Alterthum fanden scharfsin-
nige Denker in der Voraussetzung eines zweck-
mäſsig und unabhängig von Erregungen wirken-
den Princips die Auflösung des Problems von dem
Ursprunge des Lebens. Ein solches war die Welt-
seele
der Platoniker und die plastische Natur
des Cudworth. Wegen der Aehnlichkeit zwischen
den menschlichen Kunstprodukten und den Wir-
kungen des Bildungsprincips, und wegen des die-
sem zukommenden Analogon von Spontaneität war

auch
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[629/0645] Vermöge dieser Abhängigkeit des Lebensprincips jedes einzelnen Wesens von einer gemeinschaft- lichen Grundkraft nimmt alles Lebende an den Veränderungen der Urquelle des Lebens Theil, und es giebt daher Erscheinungen in der lebenden Natur, deren Ursachen weit höher als in der Ein- wirkung mechanischer oder chemischer Potenzen liegen. Dem Bildungsprincip der lebenden Körper muſs folglich ein gewisser Grad der Unabhängigkeit von äussern Einflüssen zugeschrieben werden. Von dieser Kraft ahnete man auch schon früher ein solches Wirken. Indem ihr Blumenbach den Namen des Bildungstriebs beylegte, erklärte er sie damit für etwas der Schwere und dem Magnetismus Aehnliches, zu dessen Wirksamkeit keine äussere Anlässe erforderlich sind, sondern das den Grund seiner Thätigkeit in sich selber hat. Selbst schon im Alterthum fanden scharfsin- nige Denker in der Voraussetzung eines zweck- mäſsig und unabhängig von Erregungen wirken- den Princips die Auflösung des Problems von dem Ursprunge des Lebens. Ein solches war die Welt- seele der Platoniker und die plastische Natur des Cudworth. Wegen der Aehnlichkeit zwischen den menschlichen Kunstprodukten und den Wir- kungen des Bildungsprincips, und wegen des die- sem zukommenden Analogon von Spontaneität war auch R r 3

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Zitationshilfe: Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 4. Göttingen, 1814, S. 629. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie04_1814/645>, abgerufen am 20.05.2024.