Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 5. Göttingen, 1818.

Bild:
<< vorherige Seite

in Krankheiten unwiderstehliches Verlangen nach
heilsamen Dingen und unbezwinglichen Abscheu
gegen schädliche Einflüsse. Es giebt sogar in den
Schriften der Aerzte Beyspiele von Vorgefühlen
in Krankheiten, die den Wirkungen des Instinkts
bey manchen Thieren ähnlich sind, z. B. bey
Tulpius n) einen Fall von einem melancholischen
Jüngling, der auf den Rath eines Wundarztes
Euphorbiensaft nahm, und darauf in eine Ner-
venkrankheit verfiel, deren Paroxysmen er unfehl-
bar immer auf acht Tage vorhersagte o). Die
Heilkraft der Natur aber ist eine Modifikation des
Bildungstriebes. Auch der Instinkt muss also von
dem letztern abstammen.

Einige Arten des Instinkts enthalten indess
nicht den einzigen Grund der Handlungen, die
sie zur Folge haben, sondern blos die Anlage zu
denselben. Durch den Geschlechtstrieb werden
Bewegungen, die auf dessen Befriedigung ab-
zwecken, erst dann hervorgebracht, wenn ein
Thier des andern Geschlechts die Sinne reitzt.
Ohne diese Reitzung erregt jener Trieb nur eine
Unruhe, ein blosses Schmachten nach einem un-

bekann-
n) Observat. med. L. I. Cap. 15.
o) M. vergl. Brandis's Pathologie. S. 441. -- F. B.
Osiander über die Entwickelungskrankheiten in den
Blüthen-Jahren des weibl. Geschlechts. Göttingen.
1817.

in Krankheiten unwiderstehliches Verlangen nach
heilsamen Dingen und unbezwinglichen Abscheu
gegen schädliche Einflüsse. Es giebt sogar in den
Schriften der Aerzte Beyspiele von Vorgefühlen
in Krankheiten, die den Wirkungen des Instinkts
bey manchen Thieren ähnlich sind, z. B. bey
Tulpius n) einen Fall von einem melancholischen
Jüngling, der auf den Rath eines Wundarztes
Euphorbiensaft nahm, und darauf in eine Ner-
venkrankheit verfiel, deren Paroxysmen er unfehl-
bar immer auf acht Tage vorhersagte o). Die
Heilkraft der Natur aber ist eine Modifikation des
Bildungstriebes. Auch der Instinkt muſs also von
dem letztern abstammen.

Einige Arten des Instinkts enthalten indeſs
nicht den einzigen Grund der Handlungen, die
sie zur Folge haben, sondern blos die Anlage zu
denselben. Durch den Geschlechtstrieb werden
Bewegungen, die auf dessen Befriedigung ab-
zwecken, erst dann hervorgebracht, wenn ein
Thier des andern Geschlechts die Sinne reitzt.
Ohne diese Reitzung erregt jener Trieb nur eine
Unruhe, ein bloſses Schmachten nach einem un-

bekann-
n) Observat. med. L. I. Cap. 15.
o) M. vergl. Brandis’s Pathologie. S. 441. — F. B.
Osiander über die Entwickelungskrankheiten in den
Blüthen-Jahren des weibl. Geschlechts. Göttingen.
1817.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0456" n="444"/>
in Krankheiten unwiderstehliches Verlangen nach<lb/>
heilsamen Dingen und unbezwinglichen Abscheu<lb/>
gegen schädliche Einflüsse. Es giebt sogar in den<lb/>
Schriften der Aerzte Beyspiele von Vorgefühlen<lb/>
in Krankheiten, die den Wirkungen des Instinkts<lb/>
bey manchen Thieren ähnlich sind, z. B. bey<lb/><hi rendition="#k">Tulpius</hi> <note place="foot" n="n)">Observat. med. L. I. Cap. 15.</note> einen Fall von einem melancholischen<lb/>
Jüngling, der auf den Rath eines Wundarztes<lb/>
Euphorbiensaft nahm, und darauf in eine Ner-<lb/>
venkrankheit verfiel, deren Paroxysmen er unfehl-<lb/>
bar immer auf acht Tage vorhersagte <note place="foot" n="o)">M. vergl. <hi rendition="#k">Brandis</hi>&#x2019;s Pathologie. S. 441. &#x2014; F. B.<lb/><hi rendition="#k">Osiander</hi> über die Entwickelungskrankheiten in den<lb/>
Blüthen-Jahren des weibl. Geschlechts. Göttingen.<lb/>
1817.</note>. Die<lb/>
Heilkraft der Natur aber ist eine Modifikation des<lb/>
Bildungstriebes. Auch der Instinkt mu&#x017F;s also von<lb/>
dem letztern abstammen.</p><lb/>
              <p>Einige Arten des Instinkts enthalten inde&#x017F;s<lb/>
nicht den einzigen Grund der Handlungen, die<lb/>
sie zur Folge haben, sondern blos die Anlage zu<lb/>
denselben. Durch den Geschlechtstrieb werden<lb/>
Bewegungen, die auf dessen Befriedigung ab-<lb/>
zwecken, erst dann hervorgebracht, wenn ein<lb/>
Thier des andern Geschlechts die Sinne reitzt.<lb/>
Ohne diese Reitzung erregt jener Trieb nur eine<lb/>
Unruhe, ein blo&#x017F;ses Schmachten nach einem un-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">bekann-</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[444/0456] in Krankheiten unwiderstehliches Verlangen nach heilsamen Dingen und unbezwinglichen Abscheu gegen schädliche Einflüsse. Es giebt sogar in den Schriften der Aerzte Beyspiele von Vorgefühlen in Krankheiten, die den Wirkungen des Instinkts bey manchen Thieren ähnlich sind, z. B. bey Tulpius n) einen Fall von einem melancholischen Jüngling, der auf den Rath eines Wundarztes Euphorbiensaft nahm, und darauf in eine Ner- venkrankheit verfiel, deren Paroxysmen er unfehl- bar immer auf acht Tage vorhersagte o). Die Heilkraft der Natur aber ist eine Modifikation des Bildungstriebes. Auch der Instinkt muſs also von dem letztern abstammen. Einige Arten des Instinkts enthalten indeſs nicht den einzigen Grund der Handlungen, die sie zur Folge haben, sondern blos die Anlage zu denselben. Durch den Geschlechtstrieb werden Bewegungen, die auf dessen Befriedigung ab- zwecken, erst dann hervorgebracht, wenn ein Thier des andern Geschlechts die Sinne reitzt. Ohne diese Reitzung erregt jener Trieb nur eine Unruhe, ein bloſses Schmachten nach einem un- bekann- n) Observat. med. L. I. Cap. 15. o) M. vergl. Brandis’s Pathologie. S. 441. — F. B. Osiander über die Entwickelungskrankheiten in den Blüthen-Jahren des weibl. Geschlechts. Göttingen. 1817.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie05_1818
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie05_1818/456
Zitationshilfe: Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 5. Göttingen, 1818, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie05_1818/456>, abgerufen am 28.11.2024.