Ist es ihm unmöglich gemacht, die Ideale sei- nes Lebens ausser sich darzustellen, oder den Gegenstand seines Instinkts zu erreichen, so äussert sich bey ihm blos noch das sinnliche Be- gehrungsvermögen im Allgemeinen, und selbst dieses ist oft dann erstorben. Für die mehrsten Thiere ist jene Darstellung oder Erreichung an eine gesellschaftliche Verbindung, oder an Zeiten und Umstände gebunden. Manche, die im Zu- stande der Freyheit Klugheit verrathen, sind deswegen höchst stumpfsinnig in der Gefangen- schaft. Ein eingesperrter Bartgeyer, über wel- chen Scheidlin Beobachtungen mitgetheilt hato). verhielt sich oft wie völlig stupide. Selbst einer der mächtigsten Triebe bey den Thieren, die Liebe für die Jungen, hängt bey einigen Arten, z. B. den Schwalben, von localen Verhältnissen ab p). Die Wachtel bauet im Käfig kein Nest mehr, wenn ihr auch aller Stoff dazu gegeben ist, und lässt ihre Eyer fallen, ohne dafür wei- ter zu sorgen. Nur der Wanderungstrieb er- wacht bey ihr zur Frühlings- und Herbstzeit auch in der Gefangenschaft mit der grössten Heftigkeit q).
Der
o) Annalen der Wetterauischen Gesellsch. für die ge- sammte Naturk. B. IV. S. 109.
p)Buffon a. a. O. T. XII. p. 304.
q)Buffon ebendas. T. IV. p. 198. 180.
VI. Bd. B
Ist es ihm unmöglich gemacht, die Ideale sei- nes Lebens auſser sich darzustellen, oder den Gegenstand seines Instinkts zu erreichen, so äuſsert sich bey ihm blos noch das sinnliche Be- gehrungsvermögen im Allgemeinen, und selbst dieses ist oft dann erstorben. Für die mehrsten Thiere ist jene Darstellung oder Erreichung an eine gesellschaftliche Verbindung, oder an Zeiten und Umstände gebunden. Manche, die im Zu- stande der Freyheit Klugheit verrathen, sind deswegen höchst stumpfsinnig in der Gefangen- schaft. Ein eingesperrter Bartgeyer, über wel- chen Scheidlin Beobachtungen mitgetheilt hato). verhielt sich oft wie völlig stupide. Selbst einer der mächtigsten Triebe bey den Thieren, die Liebe für die Jungen, hängt bey einigen Arten, z. B. den Schwalben, von localen Verhältnissen ab p). Die Wachtel bauet im Käfig kein Nest mehr, wenn ihr auch aller Stoff dazu gegeben ist, und läſst ihre Eyer fallen, ohne dafür wei- ter zu sorgen. Nur der Wanderungstrieb er- wacht bey ihr zur Frühlings- und Herbstzeit auch in der Gefangenschaft mit der gröſsten Heftigkeit q).
Der
o) Annalen der Wetterauischen Gesellsch. für die ge- sammte Naturk. B. IV. S. 109.
p)Buffon a. a. O. T. XII. p. 304.
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VI. Bd. B
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Ist es ihm unmöglich gemacht, die Ideale sei-
nes Lebens auſser sich darzustellen, oder den
Gegenstand seines Instinkts zu erreichen, so
äuſsert sich bey ihm blos noch das sinnliche Be-
gehrungsvermögen im Allgemeinen, und selbst
dieses ist oft dann erstorben. Für die mehrsten
Thiere ist jene Darstellung oder Erreichung an
eine gesellschaftliche Verbindung, oder an Zeiten
und Umstände gebunden. Manche, die im Zu-
stande der Freyheit Klugheit verrathen, sind
deswegen höchst stumpfsinnig in der Gefangen-
schaft. Ein eingesperrter Bartgeyer, über wel-
chen Scheidlin Beobachtungen mitgetheilt hat o).
verhielt sich oft wie völlig stupide. Selbst einer
der mächtigsten Triebe bey den Thieren, die
Liebe für die Jungen, hängt bey einigen Arten,
z. B. den Schwalben, von localen Verhältnissen
ab p). Die Wachtel bauet im Käfig kein Nest
mehr, wenn ihr auch aller Stoff dazu gegeben
ist, und läſst ihre Eyer fallen, ohne dafür wei-
ter zu sorgen. Nur der Wanderungstrieb er-
wacht bey ihr zur Frühlings- und Herbstzeit
auch in der Gefangenschaft mit der gröſsten
Heftigkeit q).
Der
o) Annalen der Wetterauischen Gesellsch. für die ge-
sammte Naturk. B. IV. S. 109.
p) Buffon a. a. O. T. XII. p. 304.
q) Buffon ebendas. T. IV. p. 198. 180.
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie06_1822/29>, abgerufen am 03.12.2024.
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