Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822.

Bild:
<< vorherige Seite

die Voraussetzung zu heben, dass der ganze,
nicht mit so vielen Muskeln wie bey den Säug-
thieren bedeckte Kopf der Vögel wiedertönend
wie eine Pauke sey, und, wenn sie hierbey
noch eine vollkommene Schnecke erhalten hät-
ten, ihre Empfänglichkeit für harmonische Mo-
dulationen bis zur Leidenschaft gesteigert seyn
würde. Gegen diese sehr unbefriedigende Aus-
flucht sind Gründe von Gall und Spurz-
heim
e) angeführt worden, und es war sehr
leicht, solche aufzufinden. Jener Einwurf aber
lässt sich doch sehr wohl beantworten. Wir
können das Gehör der Vögel nur nach ihrer
Stimme und nach ihrem Gesange beurtheilen.
So melodisch auch der Gesang vieler unter ih-
nen ist, so beschränkt ist doch ihre Tonleiter.
Man kann Vollkommenheit des Gehörs inner-
halb gewisser Grenzen bey einer weit weniger
vollkommenen Schnecke, als die menschliche ist,
gelten lassen, und doch behaupten, dass eine
gleichförmige Empfänglichkeit sowohl für nie-
drige, als für hohe Töne nur bey dem Grade
von Ausbildung, den die Schnecke des Men-
schen hat, möglich ist. Indess Le Cat's Mei-
nung erklärt nur die Beziehung der Schnecke
gegen die quantitative Verschiedenheit der Töne,
nicht aber, worauf es hier doch vorzüglich an-

kömmt,
e) Auat. et Physiol. du Systeme nerveux. Vol. I. p. 164.

die Voraussetzung zu heben, daſs der ganze,
nicht mit so vielen Muskeln wie bey den Säug-
thieren bedeckte Kopf der Vögel wiedertönend
wie eine Pauke sey, und, wenn sie hierbey
noch eine vollkommene Schnecke erhalten hät-
ten, ihre Empfänglichkeit für harmonische Mo-
dulationen bis zur Leidenschaft gesteigert seyn
würde. Gegen diese sehr unbefriedigende Aus-
flucht sind Gründe von Gall und Spurz-
heim
e) angeführt worden, und es war sehr
leicht, solche aufzufinden. Jener Einwurf aber
läſst sich doch sehr wohl beantworten. Wir
können das Gehör der Vögel nur nach ihrer
Stimme und nach ihrem Gesange beurtheilen.
So melodisch auch der Gesang vieler unter ih-
nen ist, so beschränkt ist doch ihre Tonleiter.
Man kann Vollkommenheit des Gehörs inner-
halb gewisser Grenzen bey einer weit weniger
vollkommenen Schnecke, als die menschliche ist,
gelten lassen, und doch behaupten, daſs eine
gleichförmige Empfänglichkeit sowohl für nie-
drige, als für hohe Töne nur bey dem Grade
von Ausbildung, den die Schnecke des Men-
schen hat, möglich ist. Indeſs Le Cat’s Mei-
nung erklärt nur die Beziehung der Schnecke
gegen die quantitative Verschiedenheit der Töne,
nicht aber, worauf es hier doch vorzüglich an-

kömmt,
e) Auat. et Physiol. du Systême nerveux. Vol. I. p. 164.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0424" n="406"/>
die Voraussetzung zu heben, da&#x017F;s der ganze,<lb/>
nicht mit so vielen Muskeln wie bey den Säug-<lb/>
thieren bedeckte Kopf der Vögel wiedertönend<lb/>
wie eine Pauke sey, und, wenn sie hierbey<lb/>
noch eine vollkommene Schnecke erhalten hät-<lb/>
ten, ihre Empfänglichkeit für harmonische Mo-<lb/>
dulationen bis zur Leidenschaft gesteigert seyn<lb/>
würde. Gegen diese sehr unbefriedigende Aus-<lb/>
flucht sind Gründe von <hi rendition="#k">Gall</hi> und <hi rendition="#k">Spurz-<lb/>
heim</hi> <note place="foot" n="e)">Auat. et Physiol. du Systême nerveux. Vol. I. p. 164.</note> angeführt worden, und es war sehr<lb/>
leicht, solche aufzufinden. Jener Einwurf aber<lb/>&#x017F;st sich doch sehr wohl beantworten. Wir<lb/>
können das Gehör der Vögel nur nach ihrer<lb/>
Stimme und nach ihrem Gesange beurtheilen.<lb/>
So melodisch auch der Gesang vieler unter ih-<lb/>
nen ist, so beschränkt ist doch ihre Tonleiter.<lb/>
Man kann Vollkommenheit des Gehörs inner-<lb/>
halb gewisser Grenzen bey einer weit weniger<lb/>
vollkommenen Schnecke, als die menschliche ist,<lb/>
gelten lassen, und doch behaupten, da&#x017F;s eine<lb/>
gleichförmige Empfänglichkeit sowohl für nie-<lb/>
drige, als für hohe Töne nur bey dem Grade<lb/>
von Ausbildung, den die Schnecke des Men-<lb/>
schen hat, möglich ist. Inde&#x017F;s <hi rendition="#k">Le Cat&#x2019;s</hi> Mei-<lb/>
nung erklärt nur die Beziehung der Schnecke<lb/>
gegen die quantitative Verschiedenheit der Töne,<lb/>
nicht aber, worauf es hier doch vorzüglich an-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">kömmt,</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[406/0424] die Voraussetzung zu heben, daſs der ganze, nicht mit so vielen Muskeln wie bey den Säug- thieren bedeckte Kopf der Vögel wiedertönend wie eine Pauke sey, und, wenn sie hierbey noch eine vollkommene Schnecke erhalten hät- ten, ihre Empfänglichkeit für harmonische Mo- dulationen bis zur Leidenschaft gesteigert seyn würde. Gegen diese sehr unbefriedigende Aus- flucht sind Gründe von Gall und Spurz- heim e) angeführt worden, und es war sehr leicht, solche aufzufinden. Jener Einwurf aber läſst sich doch sehr wohl beantworten. Wir können das Gehör der Vögel nur nach ihrer Stimme und nach ihrem Gesange beurtheilen. So melodisch auch der Gesang vieler unter ih- nen ist, so beschränkt ist doch ihre Tonleiter. Man kann Vollkommenheit des Gehörs inner- halb gewisser Grenzen bey einer weit weniger vollkommenen Schnecke, als die menschliche ist, gelten lassen, und doch behaupten, daſs eine gleichförmige Empfänglichkeit sowohl für nie- drige, als für hohe Töne nur bey dem Grade von Ausbildung, den die Schnecke des Men- schen hat, möglich ist. Indeſs Le Cat’s Mei- nung erklärt nur die Beziehung der Schnecke gegen die quantitative Verschiedenheit der Töne, nicht aber, worauf es hier doch vorzüglich an- kömmt, e) Auat. et Physiol. du Systême nerveux. Vol. I. p. 164.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie06_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie06_1822/424
Zitationshilfe: Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie06_1822/424>, abgerufen am 22.11.2024.