Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815.Weinend und die Hände ringend, Ruft die Gräfin Julia: "Sankt Georg, du heil'ger Streiter, Hilf mir aus des Drachen Macht!" Siehe! wer auf weissem Rosse Sprengt von der Kapell' herab? Goldne Locken wehn im Winde Und der rothe Mantel wallt. Mächtig ist sein Speer geschwungen, Trifft den Räuber Fatiman, Der sich gleich am Boden krümmet, Wie der Lindwurm einst gethan. Und die zehen Mohrenritter Hat ein wilder Schreck gefaßt, Schild und Lanze weggeworfen, Fliehn sie über Berg und Thal. Auf den Knieen, wie geblendet, Liegt die Gräfin Julia: "Sankt Georg, du heil'ger Streiter, Sey gepriesen tausendmal!" Als sie wieder hebt die Augen, Ist der Heil'ge nicht mehr da, Und es geht nur dumpfe Sage, Daß es Paskal Vivas war. Weinend und die Hände ringend, Ruft die Gräfin Julia: „Sankt Georg, du heil’ger Streiter, Hilf mir aus des Drachen Macht!“ Siehe! wer auf weiſſem Roſſe Sprengt von der Kapell’ herab? Goldne Locken wehn im Winde Und der rothe Mantel wallt. Mächtig iſt ſein Speer geſchwungen, Trifft den Räuber Fatiman, Der ſich gleich am Boden krümmet, Wie der Lindwurm einſt gethan. Und die zehen Mohrenritter Hat ein wilder Schreck gefaßt, Schild und Lanze weggeworfen, Fliehn ſie über Berg und Thal. Auf den Knieen, wie geblendet, Liegt die Gräfin Julia: „Sankt Georg, du heil’ger Streiter, Sey geprieſen tauſendmal!“ Als ſie wieder hebt die Augen, Iſt der Heil’ge nicht mehr da, Und es geht nur dumpfe Sage, Daß es Paskal Vivas war. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0240" n="234"/> <l>Weinend und die Hände ringend,</l><lb/> <l>Ruft die Gräfin Julia:</l><lb/> <l>„Sankt Georg, du heil’ger Streiter,</l><lb/> <l>Hilf mir aus des Drachen Macht!“</l><lb/> <l>Siehe! wer auf weiſſem Roſſe</l><lb/> <l>Sprengt von der Kapell’ herab?</l><lb/> <l>Goldne Locken wehn im Winde</l><lb/> <l>Und der rothe Mantel wallt.</l><lb/> <l>Mächtig iſt ſein Speer geſchwungen,</l><lb/> <l>Trifft den Räuber Fatiman,</l><lb/> <l>Der ſich gleich am Boden krümmet,</l><lb/> <l>Wie der Lindwurm einſt gethan.</l><lb/> <l>Und die zehen Mohrenritter</l><lb/> <l>Hat ein wilder Schreck gefaßt,</l><lb/> <l>Schild und Lanze weggeworfen,</l><lb/> <l>Fliehn ſie über Berg und Thal.</l><lb/> <l>Auf den Knieen, wie geblendet,</l><lb/> <l>Liegt die Gräfin Julia:</l><lb/> <l>„Sankt Georg, du heil’ger Streiter,</l><lb/> <l>Sey geprieſen tauſendmal!“</l><lb/> <l>Als ſie wieder hebt die Augen,</l><lb/> <l>Iſt der Heil’ge nicht mehr da,</l><lb/> <l>Und es geht nur dumpfe Sage,</l><lb/> <l>Daß es Paskal Vivas war.</l> </lg> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [234/0240]
Weinend und die Hände ringend,
Ruft die Gräfin Julia:
„Sankt Georg, du heil’ger Streiter,
Hilf mir aus des Drachen Macht!“
Siehe! wer auf weiſſem Roſſe
Sprengt von der Kapell’ herab?
Goldne Locken wehn im Winde
Und der rothe Mantel wallt.
Mächtig iſt ſein Speer geſchwungen,
Trifft den Räuber Fatiman,
Der ſich gleich am Boden krümmet,
Wie der Lindwurm einſt gethan.
Und die zehen Mohrenritter
Hat ein wilder Schreck gefaßt,
Schild und Lanze weggeworfen,
Fliehn ſie über Berg und Thal.
Auf den Knieen, wie geblendet,
Liegt die Gräfin Julia:
„Sankt Georg, du heil’ger Streiter,
Sey geprieſen tauſendmal!“
Als ſie wieder hebt die Augen,
Iſt der Heil’ge nicht mehr da,
Und es geht nur dumpfe Sage,
Daß es Paskal Vivas war.
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