Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815.

Bild:
<< vorherige Seite
Taillefer.

Normannenherzog Wilhelm sprach einmal:
"Wer singet in meinem Hof und in meinem Saal?
Wer singet vom Morgen bis in die späte Nacht,
So lieblich, daß mir das Herz im Leibe lacht?"
"Das ist der Taillefer, der so gerne singt,
Im Hofe, wann er das Rad am Brunnen schwingt,
Im Saale, wann er das Feuer schüret und facht,
Wann er Abends sich legt und wann er Morgens erwacht."
Der Herzog sprach: "ich hab' einen guten Knecht,
Den Taillefer, der dienet mir fromm und recht,
Er treibt mein Rad und schüret mein Feuer gut,
Und singet so hell, das höhet mir den Muth."
Da sprach der Taillefer: "und wär' ich frei,
Viel besser wollt' ich dienen und singen dabei.
Wie wollt' ich dienen dem Herzog hoch zu Pferd!
Wie wollt' ich singen und klingen mit Schild und mit Schwerdt!"
Nicht lange, so ritt der Taillefer in's Gefild,
Auf einem hohen Pferde, mit Schwerdt und mit Schild.
Des Herzogs Schwester schaute vom Thurm in's Feld,
Sie sprach: "dort reitet, bei Gott! ein stattlicher Held."
Taillefer.

Normannenherzog Wilhelm ſprach einmal:
„Wer ſinget in meinem Hof und in meinem Saal?
Wer ſinget vom Morgen bis in die ſpäte Nacht,
So lieblich, daß mir das Herz im Leibe lacht?“
„Das iſt der Taillefer, der ſo gerne ſingt,
Im Hofe, wann er das Rad am Brunnen ſchwingt,
Im Saale, wann er das Feuer ſchüret und facht,
Wann er Abends ſich legt und wann er Morgens erwacht.“
Der Herzog ſprach: „ich hab’ einen guten Knecht,
Den Taillefer, der dienet mir fromm und recht,
Er treibt mein Rad und ſchüret mein Feuer gut,
Und ſinget ſo hell, das höhet mir den Muth.“
Da ſprach der Taillefer: „und wär’ ich frei,
Viel beſſer wollt’ ich dienen und ſingen dabei.
Wie wollt’ ich dienen dem Herzog hoch zu Pferd!
Wie wollt’ ich ſingen und klingen mit Schild und mit Schwerdt!“
Nicht lange, ſo ritt der Taillefer in’s Gefild,
Auf einem hohen Pferde, mit Schwerdt und mit Schild.
Des Herzogs Schweſter ſchaute vom Thurm in’s Feld,
Sie ſprach: „dort reitet, bei Gott! ein ſtattlicher Held.“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0316" n="310"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Taillefer</hi>.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Normannenherzog Wilhelm &#x017F;prach einmal:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Wer &#x017F;inget in meinem Hof und in meinem Saal?</l><lb/>
              <l>Wer &#x017F;inget vom Morgen bis in die &#x017F;päte Nacht,</l><lb/>
              <l>So lieblich, daß mir das Herz im Leibe lacht?&#x201C;</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>&#x201E;Das i&#x017F;t der Taillefer, der &#x017F;o gerne &#x017F;ingt,</l><lb/>
              <l>Im Hofe, wann er das Rad am Brunnen &#x017F;chwingt,</l><lb/>
              <l>Im Saale, wann er das Feuer &#x017F;chüret und facht,</l><lb/>
              <l>Wann er Abends &#x017F;ich legt und wann er Morgens erwacht.&#x201C;</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Der Herzog &#x017F;prach: &#x201E;ich hab&#x2019; einen guten Knecht,</l><lb/>
              <l>Den Taillefer, der dienet mir fromm und recht,</l><lb/>
              <l>Er treibt mein Rad und &#x017F;chüret mein Feuer gut,</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;inget &#x017F;o hell, das höhet mir den Muth.&#x201C;</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Da &#x017F;prach der Taillefer: &#x201E;und wär&#x2019; ich frei,</l><lb/>
              <l>Viel be&#x017F;&#x017F;er wollt&#x2019; ich dienen und &#x017F;ingen dabei.</l><lb/>
              <l>Wie wollt&#x2019; ich dienen dem Herzog hoch zu Pferd!</l><lb/>
              <l>Wie wollt&#x2019; ich &#x017F;ingen und klingen mit Schild und mit Schwerdt!&#x201C;</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Nicht lange, &#x017F;o ritt der Taillefer in&#x2019;s Gefild,</l><lb/>
              <l>Auf einem hohen Pferde, mit Schwerdt und mit Schild.</l><lb/>
              <l>Des Herzogs Schwe&#x017F;ter &#x017F;chaute vom Thurm in&#x2019;s Feld,</l><lb/>
              <l>Sie &#x017F;prach: &#x201E;dort reitet, bei Gott! ein &#x017F;tattlicher Held.&#x201C;</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[310/0316] Taillefer. Normannenherzog Wilhelm ſprach einmal: „Wer ſinget in meinem Hof und in meinem Saal? Wer ſinget vom Morgen bis in die ſpäte Nacht, So lieblich, daß mir das Herz im Leibe lacht?“ „Das iſt der Taillefer, der ſo gerne ſingt, Im Hofe, wann er das Rad am Brunnen ſchwingt, Im Saale, wann er das Feuer ſchüret und facht, Wann er Abends ſich legt und wann er Morgens erwacht.“ Der Herzog ſprach: „ich hab’ einen guten Knecht, Den Taillefer, der dienet mir fromm und recht, Er treibt mein Rad und ſchüret mein Feuer gut, Und ſinget ſo hell, das höhet mir den Muth.“ Da ſprach der Taillefer: „und wär’ ich frei, Viel beſſer wollt’ ich dienen und ſingen dabei. Wie wollt’ ich dienen dem Herzog hoch zu Pferd! Wie wollt’ ich ſingen und klingen mit Schild und mit Schwerdt!“ Nicht lange, ſo ritt der Taillefer in’s Gefild, Auf einem hohen Pferde, mit Schwerdt und mit Schild. Des Herzogs Schweſter ſchaute vom Thurm in’s Feld, Sie ſprach: „dort reitet, bei Gott! ein ſtattlicher Held.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815/316
Zitationshilfe: Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815/316>, abgerufen am 22.11.2024.