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Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Wäre es möglich, daß ich von Neuem der Versuchung, meine elenden und irdischen Träume dem Urbild alles Erhabenen und Großen aufzudrücken, unterlegen wäre? Ist dieses Bild nicht wieder zu feurig, zu lebendig, mit einem Worte zu sündhaft? O ich bin eine Verworfene; mein Hang läßt sich nicht bändigen. Ich wähnte auserlesen zu sein, das Bild einer angebeteten Heiligen zu malen, und gerade ich vermag es nicht. Eine Blödsinnige, eine fast aller Sinne Beraubte, die vermag es, in der ist der Geist der heiligen Väter wirksam. Ich, ich bin ausgestoßen! -- Sie erhob sich, stützte ihr Haupt in die Hände und weinte leidenschaftlich. Nach einer Pause sprang sie auf, nahm aus einem Schränkchen eine kleine, schwärzliche Kiste von Holz, öffnete sie und brachte ein Gemälde an das Lampenlicht. Hier, rief sie, dies hat die arme Rebecca gemalt. Sie weinte und betete, ehe sie malte; da sie nur schwach sehen konnte, so hat sie grobe Striche und grelle Farben gewählt. Und was bedarf es auch der Feinheit und des Geistes? O, ich werde mein Bild zerstören! Es sei das letzte, das ich geschaffen habe. Kann ich nicht malen, wie diese Blödsinnige malte, so will ich gar nicht malen! -- Sie legte die kleine Tafel vorsichtig wieder an ihren Platz und trat mit einem Messer vor ihr eignes Werk, um die Leinewand zu durchschneiden; aber wie sie das Antlitz der Heiligen betrachtete, entfiel ihr das Zerstörungswerkzeug, und sie lehnte, einer Ohnmacht nahe, an der Staffelei. Nein! rief sie, ich kann es nicht. Mein Hoffen und

Wäre es möglich, daß ich von Neuem der Versuchung, meine elenden und irdischen Träume dem Urbild alles Erhabenen und Großen aufzudrücken, unterlegen wäre? Ist dieses Bild nicht wieder zu feurig, zu lebendig, mit einem Worte zu sündhaft? O ich bin eine Verworfene; mein Hang läßt sich nicht bändigen. Ich wähnte auserlesen zu sein, das Bild einer angebeteten Heiligen zu malen, und gerade ich vermag es nicht. Eine Blödsinnige, eine fast aller Sinne Beraubte, die vermag es, in der ist der Geist der heiligen Väter wirksam. Ich, ich bin ausgestoßen! — Sie erhob sich, stützte ihr Haupt in die Hände und weinte leidenschaftlich. Nach einer Pause sprang sie auf, nahm aus einem Schränkchen eine kleine, schwärzliche Kiste von Holz, öffnete sie und brachte ein Gemälde an das Lampenlicht. Hier, rief sie, dies hat die arme Rebecca gemalt. Sie weinte und betete, ehe sie malte; da sie nur schwach sehen konnte, so hat sie grobe Striche und grelle Farben gewählt. Und was bedarf es auch der Feinheit und des Geistes? O, ich werde mein Bild zerstören! Es sei das letzte, das ich geschaffen habe. Kann ich nicht malen, wie diese Blödsinnige malte, so will ich gar nicht malen! — Sie legte die kleine Tafel vorsichtig wieder an ihren Platz und trat mit einem Messer vor ihr eignes Werk, um die Leinewand zu durchschneiden; aber wie sie das Antlitz der Heiligen betrachtete, entfiel ihr das Zerstörungswerkzeug, und sie lehnte, einer Ohnmacht nahe, an der Staffelei. Nein! rief sie, ich kann es nicht. Mein Hoffen und

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[0037] Wäre es möglich, daß ich von Neuem der Versuchung, meine elenden und irdischen Träume dem Urbild alles Erhabenen und Großen aufzudrücken, unterlegen wäre? Ist dieses Bild nicht wieder zu feurig, zu lebendig, mit einem Worte zu sündhaft? O ich bin eine Verworfene; mein Hang läßt sich nicht bändigen. Ich wähnte auserlesen zu sein, das Bild einer angebeteten Heiligen zu malen, und gerade ich vermag es nicht. Eine Blödsinnige, eine fast aller Sinne Beraubte, die vermag es, in der ist der Geist der heiligen Väter wirksam. Ich, ich bin ausgestoßen! — Sie erhob sich, stützte ihr Haupt in die Hände und weinte leidenschaftlich. Nach einer Pause sprang sie auf, nahm aus einem Schränkchen eine kleine, schwärzliche Kiste von Holz, öffnete sie und brachte ein Gemälde an das Lampenlicht. Hier, rief sie, dies hat die arme Rebecca gemalt. Sie weinte und betete, ehe sie malte; da sie nur schwach sehen konnte, so hat sie grobe Striche und grelle Farben gewählt. Und was bedarf es auch der Feinheit und des Geistes? O, ich werde mein Bild zerstören! Es sei das letzte, das ich geschaffen habe. Kann ich nicht malen, wie diese Blödsinnige malte, so will ich gar nicht malen! — Sie legte die kleine Tafel vorsichtig wieder an ihren Platz und trat mit einem Messer vor ihr eignes Werk, um die Leinewand zu durchschneiden; aber wie sie das Antlitz der Heiligen betrachtete, entfiel ihr das Zerstörungswerkzeug, und sie lehnte, einer Ohnmacht nahe, an der Staffelei. Nein! rief sie, ich kann es nicht. Mein Hoffen und

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:43:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/37>, abgerufen am 24.11.2024.