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Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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und Dunkel empor; der Abgesandte einer Welt, die durch Glanz, Reichthum und Schönheit lockt.

Scholastika stattete der Oberin Bericht ab und erhielt von ihr die Weisung, fernerhin das Fortschreiten und Gedeihen des Bildes zu überwachen. Die Nonne hielt es für ihre Pflicht, ihr Zusammentreffen mit dem Künstler zu melden, doch machte dies wenig Eindruck auf die sonst so strenge Klostergebieterin. Er ist ein Leibeigner des Edelmannes, sagte sie. Die Vermessenheit, die er sich erlaubt hat, gegen das Verbot in der Galerie zu bleiben, darf nicht gestraft werden, ohne daß man fürchten müßte, unsern Nachbar zu beleidigen. Ein Leibeigner ist wie jeder andere Frohnarbeiter zu betrachten, denen zur Reparatur der Klosterbaulichkeiten die Hallen geöffnet werden.

Scholastika fühlte, daß diese Bezeichnung sehr wenig auf den jungen Mann passe, dessen Bekanntschaft sie auf eine so ungewöhnliche Weise gemacht. Mochte Dimitri, dies war der Name des Künstlers, immerhin ein Leibeigner sein, er stand auf einer Stufe der Bildung und der gesellschaftlichen Formen, die ihm eine höhere Achtung und Berücksichtigung zusicherten, als sie den bäuerischen Knechten des Klostergebietes zu Theil zu werden pflegte. Die Oberin hatte ihn nie gesehen, ihn nie gesprochen; wäre dies geschehen, ihrem scharfen, beobachtenden Auge wäre das unterscheidende Merkmal höherer Gesittung und weiterer Lebenssphäre, das der Künstler eben zur Schau trug, nicht entgangen. Scholastika, gezwungen gleichsam, sich seinem Gespräch, seinem Umgang hinzu-

und Dunkel empor; der Abgesandte einer Welt, die durch Glanz, Reichthum und Schönheit lockt.

Scholastika stattete der Oberin Bericht ab und erhielt von ihr die Weisung, fernerhin das Fortschreiten und Gedeihen des Bildes zu überwachen. Die Nonne hielt es für ihre Pflicht, ihr Zusammentreffen mit dem Künstler zu melden, doch machte dies wenig Eindruck auf die sonst so strenge Klostergebieterin. Er ist ein Leibeigner des Edelmannes, sagte sie. Die Vermessenheit, die er sich erlaubt hat, gegen das Verbot in der Galerie zu bleiben, darf nicht gestraft werden, ohne daß man fürchten müßte, unsern Nachbar zu beleidigen. Ein Leibeigner ist wie jeder andere Frohnarbeiter zu betrachten, denen zur Reparatur der Klosterbaulichkeiten die Hallen geöffnet werden.

Scholastika fühlte, daß diese Bezeichnung sehr wenig auf den jungen Mann passe, dessen Bekanntschaft sie auf eine so ungewöhnliche Weise gemacht. Mochte Dimitri, dies war der Name des Künstlers, immerhin ein Leibeigner sein, er stand auf einer Stufe der Bildung und der gesellschaftlichen Formen, die ihm eine höhere Achtung und Berücksichtigung zusicherten, als sie den bäuerischen Knechten des Klostergebietes zu Theil zu werden pflegte. Die Oberin hatte ihn nie gesehen, ihn nie gesprochen; wäre dies geschehen, ihrem scharfen, beobachtenden Auge wäre das unterscheidende Merkmal höherer Gesittung und weiterer Lebenssphäre, das der Künstler eben zur Schau trug, nicht entgangen. Scholastika, gezwungen gleichsam, sich seinem Gespräch, seinem Umgang hinzu-

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[0055] und Dunkel empor; der Abgesandte einer Welt, die durch Glanz, Reichthum und Schönheit lockt. Scholastika stattete der Oberin Bericht ab und erhielt von ihr die Weisung, fernerhin das Fortschreiten und Gedeihen des Bildes zu überwachen. Die Nonne hielt es für ihre Pflicht, ihr Zusammentreffen mit dem Künstler zu melden, doch machte dies wenig Eindruck auf die sonst so strenge Klostergebieterin. Er ist ein Leibeigner des Edelmannes, sagte sie. Die Vermessenheit, die er sich erlaubt hat, gegen das Verbot in der Galerie zu bleiben, darf nicht gestraft werden, ohne daß man fürchten müßte, unsern Nachbar zu beleidigen. Ein Leibeigner ist wie jeder andere Frohnarbeiter zu betrachten, denen zur Reparatur der Klosterbaulichkeiten die Hallen geöffnet werden. Scholastika fühlte, daß diese Bezeichnung sehr wenig auf den jungen Mann passe, dessen Bekanntschaft sie auf eine so ungewöhnliche Weise gemacht. Mochte Dimitri, dies war der Name des Künstlers, immerhin ein Leibeigner sein, er stand auf einer Stufe der Bildung und der gesellschaftlichen Formen, die ihm eine höhere Achtung und Berücksichtigung zusicherten, als sie den bäuerischen Knechten des Klostergebietes zu Theil zu werden pflegte. Die Oberin hatte ihn nie gesehen, ihn nie gesprochen; wäre dies geschehen, ihrem scharfen, beobachtenden Auge wäre das unterscheidende Merkmal höherer Gesittung und weiterer Lebenssphäre, das der Künstler eben zur Schau trug, nicht entgangen. Scholastika, gezwungen gleichsam, sich seinem Gespräch, seinem Umgang hinzu-

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Zitationshilfe: Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/55>, abgerufen am 21.11.2024.