Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

ten Meeres führte er sie an die Küsten Afrika's, leitete sie an die Quellen des Nils und zeigte ihr den Schatten der Pyramide des Cheops sich über einen stillen See dahinlagern. Ueberall eine wundersame, eine herrliche Welt. Vor allen waren es die Schöpfungen der Kunst, die er ihrer Seele vorzuführen strebte, jene Meisterwerke, die Jahrhunderte entzückten und noch Jahrhunderte entzücken werden. Er nannte die bewunderten Namen und war erstaunt, diese Klänge zum erstenmal das Ohr der Nonne berühren zu hören. Sie wußte von keinem dieser Heroen; bis in die Einsamkeit des Klosters war kein Strahl der Sonne gedrungen, die im feurigen Farbenumschwunge einen sprühenden Regen von Poesie, Glut, Andacht, Schönheit und dichterischer Ausgelassenheit auf die Paläste und Hütten der Menschen niedergleiten ließ; bis hieher keine der capriciösen Phantasieen, der schimmernden und burlesken Launen, mit denen die Künstlermuse den Ernst und die Schwere des Lebens zu besänftigen und mit Spottlichtern zu durchblitzen sich mühete. Dimitri beschrieb und erzählte, Scholastika hörte aufmerksam zu. So vergingen schöne, goldne Stunden. Oft saßen sie noch beisammen, wenn die Abendröthe ihren Schein auf das alte Gemäuer malte, und die Schatten der beiden Gestalten bildeten sich an der gegenüberstehenden Wand in gigantischen Formen ab. Es gab eine Gruppe, ähnlich jenen mächtigen Sibyllen und Propheten Michel Angelo's. Wenn Dämmerung sich dann in der Halle verbreitete, tönte das beseelte Wort noch farbengeschmückter

ten Meeres führte er sie an die Küsten Afrika's, leitete sie an die Quellen des Nils und zeigte ihr den Schatten der Pyramide des Cheops sich über einen stillen See dahinlagern. Ueberall eine wundersame, eine herrliche Welt. Vor allen waren es die Schöpfungen der Kunst, die er ihrer Seele vorzuführen strebte, jene Meisterwerke, die Jahrhunderte entzückten und noch Jahrhunderte entzücken werden. Er nannte die bewunderten Namen und war erstaunt, diese Klänge zum erstenmal das Ohr der Nonne berühren zu hören. Sie wußte von keinem dieser Heroen; bis in die Einsamkeit des Klosters war kein Strahl der Sonne gedrungen, die im feurigen Farbenumschwunge einen sprühenden Regen von Poesie, Glut, Andacht, Schönheit und dichterischer Ausgelassenheit auf die Paläste und Hütten der Menschen niedergleiten ließ; bis hieher keine der capriciösen Phantasieen, der schimmernden und burlesken Launen, mit denen die Künstlermuse den Ernst und die Schwere des Lebens zu besänftigen und mit Spottlichtern zu durchblitzen sich mühete. Dimitri beschrieb und erzählte, Scholastika hörte aufmerksam zu. So vergingen schöne, goldne Stunden. Oft saßen sie noch beisammen, wenn die Abendröthe ihren Schein auf das alte Gemäuer malte, und die Schatten der beiden Gestalten bildeten sich an der gegenüberstehenden Wand in gigantischen Formen ab. Es gab eine Gruppe, ähnlich jenen mächtigen Sibyllen und Propheten Michel Angelo's. Wenn Dämmerung sich dann in der Halle verbreitete, tönte das beseelte Wort noch farbengeschmückter

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0059"/>
ten Meeres führte er sie an die Küsten Afrika's,                leitete sie an die Quellen des Nils und zeigte ihr den Schatten der Pyramide des                Cheops sich über einen stillen See dahinlagern. Ueberall eine wundersame, eine                herrliche Welt. Vor allen waren es die Schöpfungen der Kunst, die er ihrer Seele                vorzuführen strebte, jene Meisterwerke, die Jahrhunderte entzückten und noch                Jahrhunderte entzücken werden. Er nannte die bewunderten Namen und war erstaunt,                diese Klänge zum erstenmal das Ohr der Nonne berühren zu hören. Sie wußte von keinem                dieser Heroen; bis in die Einsamkeit des Klosters war kein Strahl der Sonne                gedrungen, die im feurigen Farbenumschwunge einen sprühenden Regen von Poesie, Glut,                Andacht, Schönheit und dichterischer Ausgelassenheit auf die Paläste und Hütten der                Menschen niedergleiten ließ; bis hieher keine der capriciösen Phantasieen, der                schimmernden und burlesken Launen, mit denen die Künstlermuse den Ernst und die                Schwere des Lebens zu besänftigen und mit Spottlichtern zu durchblitzen sich mühete.                Dimitri beschrieb und erzählte, Scholastika hörte aufmerksam zu. So vergingen schöne,                goldne Stunden. Oft saßen sie noch beisammen, wenn die Abendröthe ihren Schein auf                das alte Gemäuer malte, und die Schatten der beiden Gestalten bildeten sich an der                gegenüberstehenden Wand in gigantischen Formen ab. Es gab eine Gruppe, ähnlich jenen                mächtigen Sibyllen und Propheten Michel Angelo's. Wenn Dämmerung sich dann in der                Halle verbreitete, tönte das beseelte Wort noch farbengeschmückter<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0059] ten Meeres führte er sie an die Küsten Afrika's, leitete sie an die Quellen des Nils und zeigte ihr den Schatten der Pyramide des Cheops sich über einen stillen See dahinlagern. Ueberall eine wundersame, eine herrliche Welt. Vor allen waren es die Schöpfungen der Kunst, die er ihrer Seele vorzuführen strebte, jene Meisterwerke, die Jahrhunderte entzückten und noch Jahrhunderte entzücken werden. Er nannte die bewunderten Namen und war erstaunt, diese Klänge zum erstenmal das Ohr der Nonne berühren zu hören. Sie wußte von keinem dieser Heroen; bis in die Einsamkeit des Klosters war kein Strahl der Sonne gedrungen, die im feurigen Farbenumschwunge einen sprühenden Regen von Poesie, Glut, Andacht, Schönheit und dichterischer Ausgelassenheit auf die Paläste und Hütten der Menschen niedergleiten ließ; bis hieher keine der capriciösen Phantasieen, der schimmernden und burlesken Launen, mit denen die Künstlermuse den Ernst und die Schwere des Lebens zu besänftigen und mit Spottlichtern zu durchblitzen sich mühete. Dimitri beschrieb und erzählte, Scholastika hörte aufmerksam zu. So vergingen schöne, goldne Stunden. Oft saßen sie noch beisammen, wenn die Abendröthe ihren Schein auf das alte Gemäuer malte, und die Schatten der beiden Gestalten bildeten sich an der gegenüberstehenden Wand in gigantischen Formen ab. Es gab eine Gruppe, ähnlich jenen mächtigen Sibyllen und Propheten Michel Angelo's. Wenn Dämmerung sich dann in der Halle verbreitete, tönte das beseelte Wort noch farbengeschmückter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:43:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:43:38Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/59
Zitationshilfe: Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/59>, abgerufen am 24.11.2024.