Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.noch einmal das schöne, stolze Wort, daß Sie mich sich ebenbürtig halten. Sie sind noch jung, rief Adele schmeichelnd. Ihre ganze Zukunft liegt noch vor Ihnen. Sagen Sie das nicht, rief der Jüngling lebhaft. Ich zähle achtzehn Jahre. Man erzählt von Rafael, daß er schon mit dem fünfzehnten Jahre der Welt Meisterwerke schenkte. Sie sind zu stolz. Nicht jeder Hand ist's vergönnt, sich nach dem höchsten Kranze auszustrecken. Und dann die Arbeit, die Mühen, die Qualen, die der widerspenstige Stoff verursacht! rief Emil. Ich möchte so leicht, so glücklich, so spielend die Höhe erklimmen, wie Sie es gethan haben, Adele. Wer sagt Ihnen, daß ich dies thun durfte? Wissen Sie etwas von meiner Prüfungszeit. Hat man Ihnen sagen können, daß ich den strengen Musen, die keine Gabe umsonst geben, meine Schuld nicht zu zahlen brauchte? Nein, nein! rief der Jüngling; wahrhaftig, ich weiß von alle dem nichts. Ich sah Sie nur schön und unberührt, wie die jungfräuliche Muse selbst, vor mir stehen, und so muß ich wohl glauben, daß die derbe Faust des Lebens an so reine Form nicht tasten durfte. Hab' ich Unrecht? Der schwermüthige Zug im Antlitze Adelens nahm jetzt eine düstere Färbung an; es war der gewaltsam und aus dem Innersten der Seele sich empordrängende noch einmal das schöne, stolze Wort, daß Sie mich sich ebenbürtig halten. Sie sind noch jung, rief Adele schmeichelnd. Ihre ganze Zukunft liegt noch vor Ihnen. Sagen Sie das nicht, rief der Jüngling lebhaft. Ich zähle achtzehn Jahre. Man erzählt von Rafael, daß er schon mit dem fünfzehnten Jahre der Welt Meisterwerke schenkte. Sie sind zu stolz. Nicht jeder Hand ist's vergönnt, sich nach dem höchsten Kranze auszustrecken. Und dann die Arbeit, die Mühen, die Qualen, die der widerspenstige Stoff verursacht! rief Emil. Ich möchte so leicht, so glücklich, so spielend die Höhe erklimmen, wie Sie es gethan haben, Adele. Wer sagt Ihnen, daß ich dies thun durfte? Wissen Sie etwas von meiner Prüfungszeit. Hat man Ihnen sagen können, daß ich den strengen Musen, die keine Gabe umsonst geben, meine Schuld nicht zu zahlen brauchte? Nein, nein! rief der Jüngling; wahrhaftig, ich weiß von alle dem nichts. Ich sah Sie nur schön und unberührt, wie die jungfräuliche Muse selbst, vor mir stehen, und so muß ich wohl glauben, daß die derbe Faust des Lebens an so reine Form nicht tasten durfte. Hab' ich Unrecht? Der schwermüthige Zug im Antlitze Adelens nahm jetzt eine düstere Färbung an; es war der gewaltsam und aus dem Innersten der Seele sich empordrängende <TEI> <text> <body> <div n="3"> <p><pb facs="#f0084"/> noch einmal das schöne, stolze Wort, daß Sie mich sich ebenbürtig halten.</p><lb/> <p>Sie sind noch jung, rief Adele schmeichelnd. Ihre ganze Zukunft liegt noch vor Ihnen.</p><lb/> <p>Sagen Sie das nicht, rief der Jüngling lebhaft. Ich zähle achtzehn Jahre. Man erzählt von Rafael, daß er schon mit dem fünfzehnten Jahre der Welt Meisterwerke schenkte.</p><lb/> <p>Sie sind zu stolz. Nicht jeder Hand ist's vergönnt, sich nach dem höchsten Kranze auszustrecken.</p><lb/> <p>Und dann die Arbeit, die Mühen, die Qualen, die der widerspenstige Stoff verursacht! rief Emil. Ich möchte so leicht, so glücklich, so spielend die Höhe erklimmen, wie Sie es gethan haben, Adele.</p><lb/> <p>Wer sagt Ihnen, daß ich dies thun durfte? Wissen Sie etwas von meiner Prüfungszeit. Hat man Ihnen sagen können, daß ich den strengen Musen, die keine Gabe umsonst geben, meine Schuld nicht zu zahlen brauchte?</p><lb/> <p>Nein, nein! rief der Jüngling; wahrhaftig, ich weiß von alle dem nichts. Ich sah Sie nur schön und unberührt, wie die jungfräuliche Muse selbst, vor mir stehen, und so muß ich wohl glauben, daß die derbe Faust des Lebens an so reine Form nicht tasten durfte. Hab' ich Unrecht?</p><lb/> <p>Der schwermüthige Zug im Antlitze Adelens nahm jetzt eine düstere Färbung an; es war der gewaltsam und aus dem Innersten der Seele sich empordrängende<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0084]
noch einmal das schöne, stolze Wort, daß Sie mich sich ebenbürtig halten.
Sie sind noch jung, rief Adele schmeichelnd. Ihre ganze Zukunft liegt noch vor Ihnen.
Sagen Sie das nicht, rief der Jüngling lebhaft. Ich zähle achtzehn Jahre. Man erzählt von Rafael, daß er schon mit dem fünfzehnten Jahre der Welt Meisterwerke schenkte.
Sie sind zu stolz. Nicht jeder Hand ist's vergönnt, sich nach dem höchsten Kranze auszustrecken.
Und dann die Arbeit, die Mühen, die Qualen, die der widerspenstige Stoff verursacht! rief Emil. Ich möchte so leicht, so glücklich, so spielend die Höhe erklimmen, wie Sie es gethan haben, Adele.
Wer sagt Ihnen, daß ich dies thun durfte? Wissen Sie etwas von meiner Prüfungszeit. Hat man Ihnen sagen können, daß ich den strengen Musen, die keine Gabe umsonst geben, meine Schuld nicht zu zahlen brauchte?
Nein, nein! rief der Jüngling; wahrhaftig, ich weiß von alle dem nichts. Ich sah Sie nur schön und unberührt, wie die jungfräuliche Muse selbst, vor mir stehen, und so muß ich wohl glauben, daß die derbe Faust des Lebens an so reine Form nicht tasten durfte. Hab' ich Unrecht?
Der schwermüthige Zug im Antlitze Adelens nahm jetzt eine düstere Färbung an; es war der gewaltsam und aus dem Innersten der Seele sich empordrängende
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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T12:43:38Z)
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Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
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