folgenden fünften Falle §. 138. gehören. (Man nennet diese Uebung fälschlich Gewohnheit, wenn man saget, man gewöhne sich zu solchen künstlichen Handlungen. Zur Fertigkeit machet man sie durch die Uebung.) Die öftere Wiederholung eben desselben sinnlichen Eindrucks im Ge- hirne wirket jedesmal in die natürliche Hinderniß am Scheidepunkte der Zweige vom Nervenstamme, und da von beyden einander entgegengesetzten Kräften eine ge- schwächet werden muß, wenn die andre ihre Anfälle stets wiederholet, die erste aber von nichts unterstützet wird; so wird endlich die natürliche Hinderniß in diesem Orte des Nerven so geschwächet, daß der sinnliche Eindruck sich den Weg durch sie hinbahnet, und die verlangte Seelenwir- kung erfolget. Durch dergleichen Ableitungen hat es ver- muthlich die Natur zu erhalten gewußt, daß die sinnlichen Eindrücke vom Gehirne in die Nerven oft Zweige und Glieder vorbey gehen müssen, die ein gewisser Gedanke je- derzeit mit in Wirkung setzen würde, ohne daß solches zu den Absichten der Natur nöthig wäre.
§. 138.
5. Es kann endlich auch eine natürliche Hinderniß ge- wisser Seelenwirkungen durch gewisse Nerven, in dem Fal- le, wenn sie der Nerve durch eine mechanische Maschine verrichten müßte, in die er sich verbreitet, darinn bestehen, daß die mechanische Maschine ihrer Natur nach eigentlich dazu eingerichtet ist, sie zu bewerkstelligen, und daß sie erst eine, es sey durch Gewalt oder Uebung bewerkstelligte Ver- änderung in ihrer Strucktur leiden muß, ehe der sinnliche Eindruck im Gehirne sie hervorbringen kann. So ist es mit den Künsten der Gauckler, deren willkührliche Geber- den und Stellungen kein andrer Mensch nachmachen kann, ehe nicht seine Gelenke dazu ausgeweitet, die Muskeln ge- zwungen, und zum Theil die Eingeweide selbst so aus ihrer natürlichen Lage verdrücket worden sind, daß die Maschine dem Winke des Willens folgen kann.
§. 139.
J 4
3 Abſchn. der Nerven. Wirk. der mat. Jdeen ꝛc.
folgenden fuͤnften Falle §. 138. gehoͤren. (Man nennet dieſe Uebung faͤlſchlich Gewohnheit, wenn man ſaget, man gewoͤhne ſich zu ſolchen kuͤnſtlichen Handlungen. Zur Fertigkeit machet man ſie durch die Uebung.) Die oͤftere Wiederholung eben deſſelben ſinnlichen Eindrucks im Ge- hirne wirket jedesmal in die natuͤrliche Hinderniß am Scheidepunkte der Zweige vom Nervenſtamme, und da von beyden einander entgegengeſetzten Kraͤften eine ge- ſchwaͤchet werden muß, wenn die andre ihre Anfaͤlle ſtets wiederholet, die erſte aber von nichts unterſtuͤtzet wird; ſo wird endlich die natuͤrliche Hinderniß in dieſem Orte des Nerven ſo geſchwaͤchet, daß der ſinnliche Eindruck ſich den Weg durch ſie hinbahnet, und die verlangte Seelenwir- kung erfolget. Durch dergleichen Ableitungen hat es ver- muthlich die Natur zu erhalten gewußt, daß die ſinnlichen Eindruͤcke vom Gehirne in die Nerven oft Zweige und Glieder vorbey gehen muͤſſen, die ein gewiſſer Gedanke je- derzeit mit in Wirkung ſetzen wuͤrde, ohne daß ſolches zu den Abſichten der Natur noͤthig waͤre.
§. 138.
5. Es kann endlich auch eine natuͤrliche Hinderniß ge- wiſſer Seelenwirkungen durch gewiſſe Nerven, in dem Fal- le, wenn ſie der Nerve durch eine mechaniſche Maſchine verrichten muͤßte, in die er ſich verbreitet, darinn beſtehen, daß die mechaniſche Maſchine ihrer Natur nach eigentlich dazu eingerichtet iſt, ſie zu bewerkſtelligen, und daß ſie erſt eine, es ſey durch Gewalt oder Uebung bewerkſtelligte Ver- aͤnderung in ihrer Strucktur leiden muß, ehe der ſinnliche Eindruck im Gehirne ſie hervorbringen kann. So iſt es mit den Kuͤnſten der Gauckler, deren willkuͤhrliche Geber- den und Stellungen kein andrer Menſch nachmachen kann, ehe nicht ſeine Gelenke dazu ausgeweitet, die Muskeln ge- zwungen, und zum Theil die Eingeweide ſelbſt ſo aus ihrer natuͤrlichen Lage verdruͤcket worden ſind, daß die Maſchine dem Winke des Willens folgen kann.
§. 139.
J 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0159"n="135"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">3 Abſchn. der Nerven. Wirk. der mat. Jdeen ꝛc.</hi></fw><lb/>
folgenden fuͤnften Falle §. 138. gehoͤren. (Man nennet<lb/>
dieſe Uebung faͤlſchlich <hirendition="#fr">Gewohnheit,</hi> wenn man ſaget,<lb/>
man gewoͤhne ſich zu ſolchen kuͤnſtlichen Handlungen. Zur<lb/><hirendition="#fr">Fertigkeit</hi> machet man ſie durch die Uebung.) Die oͤftere<lb/>
Wiederholung eben deſſelben ſinnlichen Eindrucks im Ge-<lb/>
hirne wirket jedesmal in die natuͤrliche Hinderniß am<lb/>
Scheidepunkte der Zweige vom Nervenſtamme, und da<lb/>
von beyden einander entgegengeſetzten Kraͤften eine ge-<lb/>ſchwaͤchet werden muß, wenn die andre ihre Anfaͤlle ſtets<lb/>
wiederholet, die erſte aber von nichts unterſtuͤtzet wird; ſo<lb/>
wird endlich die natuͤrliche Hinderniß in dieſem Orte des<lb/>
Nerven ſo geſchwaͤchet, daß der ſinnliche Eindruck ſich den<lb/>
Weg durch ſie hinbahnet, und die verlangte Seelenwir-<lb/>
kung erfolget. Durch dergleichen Ableitungen hat es ver-<lb/>
muthlich die Natur zu erhalten gewußt, daß die ſinnlichen<lb/>
Eindruͤcke vom Gehirne in die Nerven oft Zweige und<lb/>
Glieder vorbey gehen muͤſſen, die ein gewiſſer Gedanke je-<lb/>
derzeit mit in Wirkung ſetzen wuͤrde, ohne daß ſolches zu<lb/>
den Abſichten der Natur noͤthig waͤre.</p></div><lb/><divn="5"><head>§. 138.</head><lb/><p>5. Es kann endlich auch eine natuͤrliche Hinderniß ge-<lb/>
wiſſer Seelenwirkungen durch gewiſſe Nerven, in dem Fal-<lb/>
le, wenn ſie der Nerve durch eine mechaniſche Maſchine<lb/>
verrichten muͤßte, in die er ſich verbreitet, darinn beſtehen,<lb/>
daß die mechaniſche Maſchine ihrer Natur nach eigentlich<lb/>
dazu eingerichtet iſt, ſie zu bewerkſtelligen, und daß ſie erſt<lb/>
eine, es ſey durch Gewalt oder Uebung bewerkſtelligte Ver-<lb/>
aͤnderung in ihrer Strucktur leiden muß, ehe der ſinnliche<lb/>
Eindruck im Gehirne ſie hervorbringen kann. So iſt es<lb/>
mit den Kuͤnſten der Gauckler, deren willkuͤhrliche Geber-<lb/>
den und Stellungen kein andrer Menſch nachmachen kann,<lb/>
ehe nicht ſeine Gelenke dazu ausgeweitet, die Muskeln ge-<lb/>
zwungen, und zum Theil die Eingeweide ſelbſt ſo aus ihrer<lb/>
natuͤrlichen Lage verdruͤcket worden ſind, daß die Maſchine<lb/>
dem Winke des Willens folgen kann.</p></div><lb/><fwplace="bottom"type="sig">J 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">§. 139.</fw><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[135/0159]
3 Abſchn. der Nerven. Wirk. der mat. Jdeen ꝛc.
folgenden fuͤnften Falle §. 138. gehoͤren. (Man nennet
dieſe Uebung faͤlſchlich Gewohnheit, wenn man ſaget,
man gewoͤhne ſich zu ſolchen kuͤnſtlichen Handlungen. Zur
Fertigkeit machet man ſie durch die Uebung.) Die oͤftere
Wiederholung eben deſſelben ſinnlichen Eindrucks im Ge-
hirne wirket jedesmal in die natuͤrliche Hinderniß am
Scheidepunkte der Zweige vom Nervenſtamme, und da
von beyden einander entgegengeſetzten Kraͤften eine ge-
ſchwaͤchet werden muß, wenn die andre ihre Anfaͤlle ſtets
wiederholet, die erſte aber von nichts unterſtuͤtzet wird; ſo
wird endlich die natuͤrliche Hinderniß in dieſem Orte des
Nerven ſo geſchwaͤchet, daß der ſinnliche Eindruck ſich den
Weg durch ſie hinbahnet, und die verlangte Seelenwir-
kung erfolget. Durch dergleichen Ableitungen hat es ver-
muthlich die Natur zu erhalten gewußt, daß die ſinnlichen
Eindruͤcke vom Gehirne in die Nerven oft Zweige und
Glieder vorbey gehen muͤſſen, die ein gewiſſer Gedanke je-
derzeit mit in Wirkung ſetzen wuͤrde, ohne daß ſolches zu
den Abſichten der Natur noͤthig waͤre.
§. 138.
5. Es kann endlich auch eine natuͤrliche Hinderniß ge-
wiſſer Seelenwirkungen durch gewiſſe Nerven, in dem Fal-
le, wenn ſie der Nerve durch eine mechaniſche Maſchine
verrichten muͤßte, in die er ſich verbreitet, darinn beſtehen,
daß die mechaniſche Maſchine ihrer Natur nach eigentlich
dazu eingerichtet iſt, ſie zu bewerkſtelligen, und daß ſie erſt
eine, es ſey durch Gewalt oder Uebung bewerkſtelligte Ver-
aͤnderung in ihrer Strucktur leiden muß, ehe der ſinnliche
Eindruck im Gehirne ſie hervorbringen kann. So iſt es
mit den Kuͤnſten der Gauckler, deren willkuͤhrliche Geber-
den und Stellungen kein andrer Menſch nachmachen kann,
ehe nicht ſeine Gelenke dazu ausgeweitet, die Muskeln ge-
zwungen, und zum Theil die Eingeweide ſelbſt ſo aus ihrer
natuͤrlichen Lage verdruͤcket worden ſind, daß die Maſchine
dem Winke des Willens folgen kann.
§. 139.
J 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/159>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.