ans eingebildete Ufer zu schwimmen. Nun legte er seine Bürde nieder, zitterte vor Kälte, und klappete mit den Zähnen, als wenn er aus einem eiskalten Flusse käme. Er sagte, daß er vor Kälte erstarre, und foderte ein Glas Branntwein. Der Träumer hatte in seinem Zimmer und Bette weder die Eiskälte des Flusses empfunden, noch konnte die zurückgetriebene Ausdünstung die Nerven der Muskeln gereizet haben. Die ganze Seelenwirkung seiner Vorhersehung von beyden äußert sich nur durch das Zit- tern der Glieder und Zähnklappen. Hier bringt die Vor- hersehung nur die subordinirte Seelenwirkung der künftigen äußern Empfindung, mit Uebergehung der ursprünglichen, hervor, weil die Seele in ihrer Vorhersehung hauptsächlich nur die subordinirte äußere Empfindung, den Reiz der Muskeln, dachte, und den vorhergehenden ursprünglichen, in den Nerven der Haut, nicht mit in die Vorhersehung fasset. §. 241.
§. 243.
Die Ursache, warum die Seelenwirkungen der Vor- hersehungen unvollständiger und schwächer als der wahren äußern Empfindungen sind, liegt blos im Mangel des äu- ßern sinnlichen Eindrucks in die Nerven. §. 239. 240. Nun können aber sehr starke sinnliche Vorhersehungen un- ächte äußere Empfindungen veranlassen, die den äußern sinnlichen Eindruck im Nerven nachahmen. §. 74. 148. Also können Vorhersehungen mit unächten äußern Empfin- dungen vergesellschaftet, so vollständige und starke Seelen- wirkungen in den mechanischen Maschinen hervorbringen, daß sie mit den Seelenwirkungen wahrer äußerer Empfin- dungen mehrentheils übereinkommen. §. 150. 240. So kann ein Mensch, der sehr lebhaft träumet, einen Donner zu hören, im stillsten Zimmer so stark zusammenfahren, daß er sein Bett erschüttert. So kann ein Kind in der Wiege, bey der Vorhersehung, daß es die Brust sauge, mit allen Kräften an der Luft saugen.
§. 244.
I Th. Th. Seel. 3 Kap. Jhr Einfl. in den Mechan.
ans eingebildete Ufer zu ſchwimmen. Nun legte er ſeine Buͤrde nieder, zitterte vor Kaͤlte, und klappete mit den Zaͤhnen, als wenn er aus einem eiskalten Fluſſe kaͤme. Er ſagte, daß er vor Kaͤlte erſtarre, und foderte ein Glas Branntwein. Der Traͤumer hatte in ſeinem Zimmer und Bette weder die Eiskaͤlte des Fluſſes empfunden, noch konnte die zuruͤckgetriebene Ausduͤnſtung die Nerven der Muskeln gereizet haben. Die ganze Seelenwirkung ſeiner Vorherſehung von beyden aͤußert ſich nur durch das Zit- tern der Glieder und Zaͤhnklappen. Hier bringt die Vor- herſehung nur die ſubordinirte Seelenwirkung der kuͤnftigen aͤußern Empfindung, mit Uebergehung der urſpruͤnglichen, hervor, weil die Seele in ihrer Vorherſehung hauptſaͤchlich nur die ſubordinirte aͤußere Empfindung, den Reiz der Muskeln, dachte, und den vorhergehenden urſpruͤnglichen, in den Nerven der Haut, nicht mit in die Vorherſehung faſſet. §. 241.
§. 243.
Die Urſache, warum die Seelenwirkungen der Vor- herſehungen unvollſtaͤndiger und ſchwaͤcher als der wahren aͤußern Empfindungen ſind, liegt blos im Mangel des aͤu- ßern ſinnlichen Eindrucks in die Nerven. §. 239. 240. Nun koͤnnen aber ſehr ſtarke ſinnliche Vorherſehungen un- aͤchte aͤußere Empfindungen veranlaſſen, die den aͤußern ſinnlichen Eindruck im Nerven nachahmen. §. 74. 148. Alſo koͤnnen Vorherſehungen mit unaͤchten aͤußern Empfin- dungen vergeſellſchaftet, ſo vollſtaͤndige und ſtarke Seelen- wirkungen in den mechaniſchen Maſchinen hervorbringen, daß ſie mit den Seelenwirkungen wahrer aͤußerer Empfin- dungen mehrentheils uͤbereinkommen. §. 150. 240. So kann ein Menſch, der ſehr lebhaft traͤumet, einen Donner zu hoͤren, im ſtillſten Zimmer ſo ſtark zuſammenfahren, daß er ſein Bett erſchuͤttert. So kann ein Kind in der Wiege, bey der Vorherſehung, daß es die Bruſt ſauge, mit allen Kraͤften an der Luft ſaugen.
§. 244.
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I Th. Th. Seel. 3 Kap. Jhr Einfl. in den Mechan.
ans eingebildete Ufer zu ſchwimmen. Nun legte er ſeine
Buͤrde nieder, zitterte vor Kaͤlte, und klappete mit den
Zaͤhnen, als wenn er aus einem eiskalten Fluſſe kaͤme. Er
ſagte, daß er vor Kaͤlte erſtarre, und foderte ein Glas
Branntwein. Der Traͤumer hatte in ſeinem Zimmer und
Bette weder die Eiskaͤlte des Fluſſes empfunden, noch
konnte die zuruͤckgetriebene Ausduͤnſtung die Nerven der
Muskeln gereizet haben. Die ganze Seelenwirkung ſeiner
Vorherſehung von beyden aͤußert ſich nur durch das Zit-
tern der Glieder und Zaͤhnklappen. Hier bringt die Vor-
herſehung nur die ſubordinirte Seelenwirkung der kuͤnftigen
aͤußern Empfindung, mit Uebergehung der urſpruͤnglichen,
hervor, weil die Seele in ihrer Vorherſehung hauptſaͤchlich
nur die ſubordinirte aͤußere Empfindung, den Reiz der
Muskeln, dachte, und den vorhergehenden urſpruͤnglichen,
in den Nerven der Haut, nicht mit in die Vorherſehung
faſſet. §. 241.
§. 243.
Die Urſache, warum die Seelenwirkungen der Vor-
herſehungen unvollſtaͤndiger und ſchwaͤcher als der wahren
aͤußern Empfindungen ſind, liegt blos im Mangel des aͤu-
ßern ſinnlichen Eindrucks in die Nerven. §. 239. 240.
Nun koͤnnen aber ſehr ſtarke ſinnliche Vorherſehungen un-
aͤchte aͤußere Empfindungen veranlaſſen, die den aͤußern
ſinnlichen Eindruck im Nerven nachahmen. §. 74. 148.
Alſo koͤnnen Vorherſehungen mit unaͤchten aͤußern Empfin-
dungen vergeſellſchaftet, ſo vollſtaͤndige und ſtarke Seelen-
wirkungen in den mechaniſchen Maſchinen hervorbringen,
daß ſie mit den Seelenwirkungen wahrer aͤußerer Empfin-
dungen mehrentheils uͤbereinkommen. §. 150. 240. So
kann ein Menſch, der ſehr lebhaft traͤumet, einen Donner
zu hoͤren, im ſtillſten Zimmer ſo ſtark zuſammenfahren,
daß er ſein Bett erſchuͤttert. So kann ein Kind in der
Wiege, bey der Vorherſehung, daß es die Bruſt ſauge,
mit allen Kraͤften an der Luft ſaugen.
§. 244.
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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/246>, abgerufen am 22.11.2024.
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