Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

I Th. Th. Seel. 3 Kap. Jhr Einfl. in den Mechan.
diese ihre Wirkungen in den mechanischen Maschinen der
thierischen Körper: keinesweges aber nach einer den See-
len der Thiere selbst beywohnenden anerschaffenen Weisheit,
nach welcher sie diese Triebe und ihre Wirkungen im Kör-
per eigenmächtig und willkührlich erregten. §. 89. 90.
Alle Beyspiele in der Natur zeigen vielmehr, daß diese
Triebe ein Thier natürlich gezwungen, ja oft wider sein
eignes Belieben fortreissen und daß es sich der sinnlichen
Triebfedern dazu selbst nicht bewußt sey, vielweniger sie
Absichtsweise wähle, oder sich ihrer bediene. Ja hierzu
kömmt dieß noch mehr, daß selbst die Wirkungen der Trie-
be in den mechanischen Maschinen, die bey wirklich empfin-
denden Thieren wahre Seelenwirkungen der sinnlichen
Triebe sind, bey andern, oder bey diesen selbst in gewissen
Fällen, wo sie nicht mehr Seelenwirkungen seyn können,
dennoch von eben den äußerlichen sinnlichen Eindrücken in
die Nerven, blos als Nervenwirkungen hervorgebracht
werden, §. 183. wie z. E. Thiere, denen die Köpfe abge-
rissen worden sind, wenn sie zu einander gebracht werden,
sich noch begatten und Eyer legen, ein Frosch, dem der
Kopf abgeschnitten worden, wenn man seinen Fuß quetschet,
dem Triebe der Rettung nach, das Bein zurückzieht und
durch einen Sprung entrinnt, u. s. w. wovon im zweyten
Theile dieses Werks ein Mehreres. Man sieht ferner of-
fenbar, daß die Thiere, bey welchen die Wirkungen der
Triebe in den mechanischen Maschinen wahre Seelenwir-
kungen derselben sind, weil sie sowohl die sinnlichen Rei-
zungen, obwohl dunkel, empfinden, als sich auch nach ih-
rer Befriedigung sehnen, gleichwohl nicht im geringsten die
Absicht wissen, warum sie diese Bewegungen bewerkstelli-
gen, ja auch ihr übriges Betragen zuweilen diesen Absich-
ten gar nicht gemäß einrichten, weshalb man so oft Gele-
genheit findet, die große Dummheit der Thiere bey der
scheinbaren Weisheit in den Bewegungen ihrer natürlichen
Triebe zu bewundern; z. E. daß eine Henne ihr Küchlein,
das sie mit ihrer Klaue tritt, wenn sie es schreyen höret,

zum

I Th. Th. Seel. 3 Kap. Jhr Einfl. in den Mechan.
dieſe ihre Wirkungen in den mechaniſchen Maſchinen der
thieriſchen Koͤrper: keinesweges aber nach einer den See-
len der Thiere ſelbſt beywohnenden anerſchaffenen Weisheit,
nach welcher ſie dieſe Triebe und ihre Wirkungen im Koͤr-
per eigenmaͤchtig und willkuͤhrlich erregten. §. 89. 90.
Alle Beyſpiele in der Natur zeigen vielmehr, daß dieſe
Triebe ein Thier natuͤrlich gezwungen, ja oft wider ſein
eignes Belieben fortreiſſen und daß es ſich der ſinnlichen
Triebfedern dazu ſelbſt nicht bewußt ſey, vielweniger ſie
Abſichtsweiſe waͤhle, oder ſich ihrer bediene. Ja hierzu
koͤmmt dieß noch mehr, daß ſelbſt die Wirkungen der Trie-
be in den mechaniſchen Maſchinen, die bey wirklich empfin-
denden Thieren wahre Seelenwirkungen der ſinnlichen
Triebe ſind, bey andern, oder bey dieſen ſelbſt in gewiſſen
Faͤllen, wo ſie nicht mehr Seelenwirkungen ſeyn koͤnnen,
dennoch von eben den aͤußerlichen ſinnlichen Eindruͤcken in
die Nerven, blos als Nervenwirkungen hervorgebracht
werden, §. 183. wie z. E. Thiere, denen die Koͤpfe abge-
riſſen worden ſind, wenn ſie zu einander gebracht werden,
ſich noch begatten und Eyer legen, ein Froſch, dem der
Kopf abgeſchnitten worden, wenn man ſeinen Fuß quetſchet,
dem Triebe der Rettung nach, das Bein zuruͤckzieht und
durch einen Sprung entrinnt, u. ſ. w. wovon im zweyten
Theile dieſes Werks ein Mehreres. Man ſieht ferner of-
fenbar, daß die Thiere, bey welchen die Wirkungen der
Triebe in den mechaniſchen Maſchinen wahre Seelenwir-
kungen derſelben ſind, weil ſie ſowohl die ſinnlichen Rei-
zungen, obwohl dunkel, empfinden, als ſich auch nach ih-
rer Befriedigung ſehnen, gleichwohl nicht im geringſten die
Abſicht wiſſen, warum ſie dieſe Bewegungen bewerkſtelli-
gen, ja auch ihr uͤbriges Betragen zuweilen dieſen Abſich-
ten gar nicht gemaͤß einrichten, weshalb man ſo oft Gele-
genheit findet, die große Dummheit der Thiere bey der
ſcheinbaren Weisheit in den Bewegungen ihrer natuͤrlichen
Triebe zu bewundern; z. E. daß eine Henne ihr Kuͤchlein,
das ſie mit ihrer Klaue tritt, wenn ſie es ſchreyen hoͤret,

zum
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0270" n="246"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I</hi> Th. Th. Seel. 3 Kap. Jhr Einfl. in den Mechan.</hi></fw><lb/>
die&#x017F;e ihre Wirkungen in den mechani&#x017F;chen Ma&#x017F;chinen der<lb/>
thieri&#x017F;chen Ko&#x0364;rper: keinesweges aber nach einer den See-<lb/>
len der Thiere &#x017F;elb&#x017F;t beywohnenden aner&#x017F;chaffenen Weisheit,<lb/>
nach welcher &#x017F;ie die&#x017F;e Triebe und ihre Wirkungen im Ko&#x0364;r-<lb/>
per eigenma&#x0364;chtig und willku&#x0364;hrlich erregten. §. 89. 90.<lb/>
Alle Bey&#x017F;piele in der Natur zeigen vielmehr, daß die&#x017F;e<lb/>
Triebe ein Thier natu&#x0364;rlich gezwungen, ja oft wider &#x017F;ein<lb/>
eignes Belieben fortrei&#x017F;&#x017F;en und daß es &#x017F;ich der &#x017F;innlichen<lb/>
Triebfedern dazu &#x017F;elb&#x017F;t nicht bewußt &#x017F;ey, vielweniger &#x017F;ie<lb/>
Ab&#x017F;ichtswei&#x017F;e wa&#x0364;hle, oder &#x017F;ich ihrer bediene. Ja hierzu<lb/>
ko&#x0364;mmt dieß noch mehr, daß &#x017F;elb&#x017F;t die Wirkungen der Trie-<lb/>
be in den mechani&#x017F;chen Ma&#x017F;chinen, die bey wirklich empfin-<lb/>
denden Thieren wahre Seelenwirkungen der &#x017F;innlichen<lb/>
Triebe &#x017F;ind, bey andern, oder bey die&#x017F;en &#x017F;elb&#x017F;t in gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Fa&#x0364;llen, wo &#x017F;ie nicht mehr Seelenwirkungen &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen,<lb/>
dennoch von eben den a&#x0364;ußerlichen &#x017F;innlichen Eindru&#x0364;cken in<lb/>
die Nerven, blos als Nervenwirkungen hervorgebracht<lb/>
werden, §. 183. wie z. E. Thiere, denen die Ko&#x0364;pfe abge-<lb/>
ri&#x017F;&#x017F;en worden &#x017F;ind, wenn &#x017F;ie zu einander gebracht werden,<lb/>
&#x017F;ich noch begatten und Eyer legen, ein Fro&#x017F;ch, dem der<lb/>
Kopf abge&#x017F;chnitten worden, wenn man &#x017F;einen Fuß quet&#x017F;chet,<lb/>
dem Triebe der Rettung nach, das Bein zuru&#x0364;ckzieht und<lb/>
durch einen Sprung entrinnt, u. &#x017F;. w. wovon im zweyten<lb/>
Theile die&#x017F;es Werks ein Mehreres. Man &#x017F;ieht ferner of-<lb/>
fenbar, daß die Thiere, bey welchen die Wirkungen der<lb/>
Triebe in den mechani&#x017F;chen Ma&#x017F;chinen wahre Seelenwir-<lb/>
kungen der&#x017F;elben &#x017F;ind, weil &#x017F;ie &#x017F;owohl die &#x017F;innlichen Rei-<lb/>
zungen, obwohl dunkel, empfinden, als &#x017F;ich auch nach ih-<lb/>
rer Befriedigung &#x017F;ehnen, gleichwohl nicht im gering&#x017F;ten die<lb/>
Ab&#x017F;icht wi&#x017F;&#x017F;en, warum &#x017F;ie die&#x017F;e Bewegungen bewerk&#x017F;telli-<lb/>
gen, ja auch ihr u&#x0364;briges Betragen zuweilen die&#x017F;en Ab&#x017F;ich-<lb/>
ten gar nicht gema&#x0364;ß einrichten, weshalb man &#x017F;o oft Gele-<lb/>
genheit findet, die große Dummheit der Thiere bey der<lb/>
&#x017F;cheinbaren Weisheit in den Bewegungen ihrer natu&#x0364;rlichen<lb/>
Triebe zu bewundern; z. E. daß eine Henne ihr Ku&#x0364;chlein,<lb/>
das &#x017F;ie mit ihrer Klaue tritt, wenn &#x017F;ie es &#x017F;chreyen ho&#x0364;ret,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zum</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[246/0270] I Th. Th. Seel. 3 Kap. Jhr Einfl. in den Mechan. dieſe ihre Wirkungen in den mechaniſchen Maſchinen der thieriſchen Koͤrper: keinesweges aber nach einer den See- len der Thiere ſelbſt beywohnenden anerſchaffenen Weisheit, nach welcher ſie dieſe Triebe und ihre Wirkungen im Koͤr- per eigenmaͤchtig und willkuͤhrlich erregten. §. 89. 90. Alle Beyſpiele in der Natur zeigen vielmehr, daß dieſe Triebe ein Thier natuͤrlich gezwungen, ja oft wider ſein eignes Belieben fortreiſſen und daß es ſich der ſinnlichen Triebfedern dazu ſelbſt nicht bewußt ſey, vielweniger ſie Abſichtsweiſe waͤhle, oder ſich ihrer bediene. Ja hierzu koͤmmt dieß noch mehr, daß ſelbſt die Wirkungen der Trie- be in den mechaniſchen Maſchinen, die bey wirklich empfin- denden Thieren wahre Seelenwirkungen der ſinnlichen Triebe ſind, bey andern, oder bey dieſen ſelbſt in gewiſſen Faͤllen, wo ſie nicht mehr Seelenwirkungen ſeyn koͤnnen, dennoch von eben den aͤußerlichen ſinnlichen Eindruͤcken in die Nerven, blos als Nervenwirkungen hervorgebracht werden, §. 183. wie z. E. Thiere, denen die Koͤpfe abge- riſſen worden ſind, wenn ſie zu einander gebracht werden, ſich noch begatten und Eyer legen, ein Froſch, dem der Kopf abgeſchnitten worden, wenn man ſeinen Fuß quetſchet, dem Triebe der Rettung nach, das Bein zuruͤckzieht und durch einen Sprung entrinnt, u. ſ. w. wovon im zweyten Theile dieſes Werks ein Mehreres. Man ſieht ferner of- fenbar, daß die Thiere, bey welchen die Wirkungen der Triebe in den mechaniſchen Maſchinen wahre Seelenwir- kungen derſelben ſind, weil ſie ſowohl die ſinnlichen Rei- zungen, obwohl dunkel, empfinden, als ſich auch nach ih- rer Befriedigung ſehnen, gleichwohl nicht im geringſten die Abſicht wiſſen, warum ſie dieſe Bewegungen bewerkſtelli- gen, ja auch ihr uͤbriges Betragen zuweilen dieſen Abſich- ten gar nicht gemaͤß einrichten, weshalb man ſo oft Gele- genheit findet, die große Dummheit der Thiere bey der ſcheinbaren Weisheit in den Bewegungen ihrer natuͤrlichen Triebe zu bewundern; z. E. daß eine Henne ihr Kuͤchlein, das ſie mit ihrer Klaue tritt, wenn ſie es ſchreyen hoͤret, zum

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/270
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/270>, abgerufen am 22.11.2024.