Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

der sinnlichen Triebe.
zum Futter ruft, ohne gleichwohl das Bein, womit sie es
quetschet, aufzuheben; daß ein Hummer, dem man eins
seiner Beine zwischen seine Scheere stecket, die es zerdrü-
cket, vom Schmerze bewogen wird, sich das Bein abzu-
sprengen, ohne die Scheere voneinander zu thun; daß ei-
ne Lerche ihrem Triebe, in die Höhe zu steigen, und nieder-
zufallen, blindlings, auch über der See folget, und er-
säuft. u. s. w. Endlich ergiebt sichs auch aus der Erfah-
rung, wenn Menschen nach Einsicht und eigenmächtig die
Seelenwirkungen der Triebe an sich selbst, oder an andern
Thieren hervorbringen, bestimmen, einschränken oder er-
weitern wollen, daß sie darinn mehrentheils irren und des
Zwecks der Natur verfehlen, welches seltener geschieht,
wenn sie sich den blinden Trieben ohne Einmischung ihrer
Einsichten überlassen. Vergl. d. A. 3 B. 155 St.

§. 267.

Jnzwischen ist es auch gewiß, daß nicht in allen Fäl-
len die Wirkungen der blinden Triebe uns mit den Absich-
ten der Natur übereinzukommen scheinen, welches vielleicht
daher rühren kann, daß wir diese Absichten der Natur
nicht hinlänglich einsehen, oder daß die Wirkungen der
Triebe durch eingemischte Wirkungen andrer Seelenkräfte
eigenmächtig von uns verändert, und zur Erreichung ihrer
Absicht untüchtiger gemachet werden. So findet man z.
E. daß viele Thiere durch ihren Jnstinkt nicht hinlänglich
davor bewahret werden, manche Dinge zu genießen, oder
etwas nicht zu thun, was ihnen schädlich ist. Einige fres-
sen ohne Verdacht giftige Kräuter, und sterben davon.
Viele übertreiben ihre Kräfte bey der Vollstreckung ihrer
Triebe so sehr, daß sie ganz entkräftet werden und sterben.
Hier wissen wir nicht, wie weit die Absichten der Natur
bey der Einpflanzung der Triebe sich erstrecken sollen, oder
was für Zwecke sie genöthiget haben, den Umfang ihrer
Nützlichkeit für das eigne Wohl eines Thiers einzuschrän-
ken, und nicht auf alle mögliche Fälle auszudehnen. Wie

wir
Q 4

der ſinnlichen Triebe.
zum Futter ruft, ohne gleichwohl das Bein, womit ſie es
quetſchet, aufzuheben; daß ein Hummer, dem man eins
ſeiner Beine zwiſchen ſeine Scheere ſtecket, die es zerdruͤ-
cket, vom Schmerze bewogen wird, ſich das Bein abzu-
ſprengen, ohne die Scheere voneinander zu thun; daß ei-
ne Lerche ihrem Triebe, in die Hoͤhe zu ſteigen, und nieder-
zufallen, blindlings, auch uͤber der See folget, und er-
ſaͤuft. u. ſ. w. Endlich ergiebt ſichs auch aus der Erfah-
rung, wenn Menſchen nach Einſicht und eigenmaͤchtig die
Seelenwirkungen der Triebe an ſich ſelbſt, oder an andern
Thieren hervorbringen, beſtimmen, einſchraͤnken oder er-
weitern wollen, daß ſie darinn mehrentheils irren und des
Zwecks der Natur verfehlen, welches ſeltener geſchieht,
wenn ſie ſich den blinden Trieben ohne Einmiſchung ihrer
Einſichten uͤberlaſſen. Vergl. d. A. 3 B. 155 St.

§. 267.

Jnzwiſchen iſt es auch gewiß, daß nicht in allen Faͤl-
len die Wirkungen der blinden Triebe uns mit den Abſich-
ten der Natur uͤbereinzukommen ſcheinen, welches vielleicht
daher ruͤhren kann, daß wir dieſe Abſichten der Natur
nicht hinlaͤnglich einſehen, oder daß die Wirkungen der
Triebe durch eingemiſchte Wirkungen andrer Seelenkraͤfte
eigenmaͤchtig von uns veraͤndert, und zur Erreichung ihrer
Abſicht untuͤchtiger gemachet werden. So findet man z.
E. daß viele Thiere durch ihren Jnſtinkt nicht hinlaͤnglich
davor bewahret werden, manche Dinge zu genießen, oder
etwas nicht zu thun, was ihnen ſchaͤdlich iſt. Einige freſ-
ſen ohne Verdacht giftige Kraͤuter, und ſterben davon.
Viele uͤbertreiben ihre Kraͤfte bey der Vollſtreckung ihrer
Triebe ſo ſehr, daß ſie ganz entkraͤftet werden und ſterben.
Hier wiſſen wir nicht, wie weit die Abſichten der Natur
bey der Einpflanzung der Triebe ſich erſtrecken ſollen, oder
was fuͤr Zwecke ſie genoͤthiget haben, den Umfang ihrer
Nuͤtzlichkeit fuͤr das eigne Wohl eines Thiers einzuſchraͤn-
ken, und nicht auf alle moͤgliche Faͤlle auszudehnen. Wie

wir
Q 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0271" n="247"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der &#x017F;innlichen Triebe.</hi></fw><lb/>
zum Futter ruft, ohne gleichwohl das Bein, womit &#x017F;ie es<lb/>
quet&#x017F;chet, aufzuheben; daß ein Hummer, dem man eins<lb/>
&#x017F;einer Beine zwi&#x017F;chen &#x017F;eine Scheere &#x017F;tecket, die es zerdru&#x0364;-<lb/>
cket, vom Schmerze bewogen wird, &#x017F;ich das Bein abzu-<lb/>
&#x017F;prengen, ohne die Scheere voneinander zu thun; daß ei-<lb/>
ne Lerche ihrem Triebe, in die Ho&#x0364;he zu &#x017F;teigen, und nieder-<lb/>
zufallen, blindlings, auch u&#x0364;ber der See folget, und er-<lb/>
&#x017F;a&#x0364;uft. u. &#x017F;. w. Endlich ergiebt &#x017F;ichs auch aus der Erfah-<lb/>
rung, wenn Men&#x017F;chen nach Ein&#x017F;icht und eigenma&#x0364;chtig die<lb/>
Seelenwirkungen der Triebe an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, oder an andern<lb/>
Thieren hervorbringen, be&#x017F;timmen, ein&#x017F;chra&#x0364;nken oder er-<lb/>
weitern wollen, daß &#x017F;ie darinn mehrentheils irren und des<lb/>
Zwecks der Natur verfehlen, welches &#x017F;eltener ge&#x017F;chieht,<lb/>
wenn &#x017F;ie &#x017F;ich den blinden Trieben ohne Einmi&#x017F;chung ihrer<lb/>
Ein&#x017F;ichten u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en. Vergl. d. A. 3 B. 155 St.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 267.</head><lb/>
              <p>Jnzwi&#x017F;chen i&#x017F;t es auch gewiß, daß nicht in allen Fa&#x0364;l-<lb/>
len die Wirkungen der blinden Triebe uns mit den Ab&#x017F;ich-<lb/>
ten der Natur u&#x0364;bereinzukommen &#x017F;cheinen, welches vielleicht<lb/>
daher ru&#x0364;hren kann, daß wir die&#x017F;e Ab&#x017F;ichten der Natur<lb/>
nicht hinla&#x0364;nglich ein&#x017F;ehen, oder daß die Wirkungen der<lb/>
Triebe durch eingemi&#x017F;chte Wirkungen andrer Seelenkra&#x0364;fte<lb/>
eigenma&#x0364;chtig von uns vera&#x0364;ndert, und zur Erreichung ihrer<lb/>
Ab&#x017F;icht untu&#x0364;chtiger gemachet werden. So findet man z.<lb/>
E. daß viele Thiere durch ihren Jn&#x017F;tinkt nicht hinla&#x0364;nglich<lb/>
davor bewahret werden, manche Dinge zu genießen, oder<lb/>
etwas nicht zu thun, was ihnen &#x017F;cha&#x0364;dlich i&#x017F;t. Einige fre&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en ohne Verdacht giftige Kra&#x0364;uter, und &#x017F;terben davon.<lb/>
Viele u&#x0364;bertreiben ihre Kra&#x0364;fte bey der Voll&#x017F;treckung ihrer<lb/>
Triebe &#x017F;o &#x017F;ehr, daß &#x017F;ie ganz entkra&#x0364;ftet werden und &#x017F;terben.<lb/>
Hier wi&#x017F;&#x017F;en wir nicht, wie weit die Ab&#x017F;ichten der Natur<lb/>
bey der Einpflanzung der Triebe &#x017F;ich er&#x017F;trecken &#x017F;ollen, oder<lb/>
was fu&#x0364;r Zwecke &#x017F;ie geno&#x0364;thiget haben, den Umfang ihrer<lb/>
Nu&#x0364;tzlichkeit fu&#x0364;r das eigne Wohl eines Thiers einzu&#x017F;chra&#x0364;n-<lb/>
ken, und nicht auf alle mo&#x0364;gliche Fa&#x0364;lle auszudehnen. Wie<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Q 4</fw><fw place="bottom" type="catch">wir</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[247/0271] der ſinnlichen Triebe. zum Futter ruft, ohne gleichwohl das Bein, womit ſie es quetſchet, aufzuheben; daß ein Hummer, dem man eins ſeiner Beine zwiſchen ſeine Scheere ſtecket, die es zerdruͤ- cket, vom Schmerze bewogen wird, ſich das Bein abzu- ſprengen, ohne die Scheere voneinander zu thun; daß ei- ne Lerche ihrem Triebe, in die Hoͤhe zu ſteigen, und nieder- zufallen, blindlings, auch uͤber der See folget, und er- ſaͤuft. u. ſ. w. Endlich ergiebt ſichs auch aus der Erfah- rung, wenn Menſchen nach Einſicht und eigenmaͤchtig die Seelenwirkungen der Triebe an ſich ſelbſt, oder an andern Thieren hervorbringen, beſtimmen, einſchraͤnken oder er- weitern wollen, daß ſie darinn mehrentheils irren und des Zwecks der Natur verfehlen, welches ſeltener geſchieht, wenn ſie ſich den blinden Trieben ohne Einmiſchung ihrer Einſichten uͤberlaſſen. Vergl. d. A. 3 B. 155 St. §. 267. Jnzwiſchen iſt es auch gewiß, daß nicht in allen Faͤl- len die Wirkungen der blinden Triebe uns mit den Abſich- ten der Natur uͤbereinzukommen ſcheinen, welches vielleicht daher ruͤhren kann, daß wir dieſe Abſichten der Natur nicht hinlaͤnglich einſehen, oder daß die Wirkungen der Triebe durch eingemiſchte Wirkungen andrer Seelenkraͤfte eigenmaͤchtig von uns veraͤndert, und zur Erreichung ihrer Abſicht untuͤchtiger gemachet werden. So findet man z. E. daß viele Thiere durch ihren Jnſtinkt nicht hinlaͤnglich davor bewahret werden, manche Dinge zu genießen, oder etwas nicht zu thun, was ihnen ſchaͤdlich iſt. Einige freſ- ſen ohne Verdacht giftige Kraͤuter, und ſterben davon. Viele uͤbertreiben ihre Kraͤfte bey der Vollſtreckung ihrer Triebe ſo ſehr, daß ſie ganz entkraͤftet werden und ſterben. Hier wiſſen wir nicht, wie weit die Abſichten der Natur bey der Einpflanzung der Triebe ſich erſtrecken ſollen, oder was fuͤr Zwecke ſie genoͤthiget haben, den Umfang ihrer Nuͤtzlichkeit fuͤr das eigne Wohl eines Thiers einzuſchraͤn- ken, und nicht auf alle moͤgliche Faͤlle auszudehnen. Wie wir Q 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/271
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/271>, abgerufen am 22.11.2024.