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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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1 Abschn. Ersetz. der Seelenw. durch Nervenw.
abschlägt, ihren Weg noch eine lange Zeit fortsetzen, die
ohne Kopf gleichsam willkührlich umher spazieren, fliegen,
u. s. w. Ein Frosch brauchet seine Beine ganz anders,
wenn er hüpfet, als wenn er schwimmt. Hat man ihn
enthauptet, und kneipt ihn, so enthüpfet er, nicht weil die
äußere Empfindung seinen Trieb zu entwischen rege ma-
chet, sondern durch eine bloße Nervenwirkung des äußern
sinnlichen Eindrucks. Fällt er nach diesem Sprunge aufs
Wasser, so brauchet er seine Beine zum Schwimmen:
nicht, weil nun der Trieb zum Schwimmen in seiner Seele
durch die Empfindung des Wassers mit dem Triebe zum
Springen abwechselt; sondern weil ihn der äußere sinnliche
Eindruck von der Berührung des Wassers zum Schwim-
men reizet. Da dieß so unstreitig ist; warum soll man
voraussetzen, daß ein lebendiger Frosch nicht anders, als
durch einen von äußern Empfindungen veranlaßten Trieb
gereizet, hüpfe oder schwimme? Er kann es ja, ohne die
äußere Empfindung und ohne die Entwickelung eines Trie-
bes aus ihr zu erwarten, durch die bloße Abwechselung der
äußern sinnlichen Eindrücke hinlänglich bewerkstelligen.
Also sind diese Bewegungen vielleicht oft in seinem natürli-
chen Zustande nur bloße Nervenwirkungen, die wir stets
für Seelenwirkungen eines seiner Triebe halten, weil sie es
bey uns und andern Thieren sind.

§. 557.

Hieraus erhellet nun offenbar die Nichtigkeit des Schlus-
ses von den willkührlichen Bewegungen der Thiere, beson-
ders von denen, die Seelenwirkungen von Trieben seyn
könnten, auf das Daseyn einer Vorstellungskraft, auf äu-
ßere Empfindungen und auf willkührliche Vorstellungen.
Können die willkührlichsten Seelenwirkungen der Triebe
wirklich denkender und mit wahren Trieben begabter Thie-
re, bey ihnen im natürlichen Zustande schon eben so durch
bloße äußere sinnliche Eindrücke, als Nervenwirkungen,
bewerkstelliget werden, und gehen sie sogar bey ihnen noch

von

1 Abſchn. Erſetz. der Seelenw. durch Nervenw.
abſchlaͤgt, ihren Weg noch eine lange Zeit fortſetzen, die
ohne Kopf gleichſam willkuͤhrlich umher ſpazieren, fliegen,
u. ſ. w. Ein Froſch brauchet ſeine Beine ganz anders,
wenn er huͤpfet, als wenn er ſchwimmt. Hat man ihn
enthauptet, und kneipt ihn, ſo enthuͤpfet er, nicht weil die
aͤußere Empfindung ſeinen Trieb zu entwiſchen rege ma-
chet, ſondern durch eine bloße Nervenwirkung des aͤußern
ſinnlichen Eindrucks. Faͤllt er nach dieſem Sprunge aufs
Waſſer, ſo brauchet er ſeine Beine zum Schwimmen:
nicht, weil nun der Trieb zum Schwimmen in ſeiner Seele
durch die Empfindung des Waſſers mit dem Triebe zum
Springen abwechſelt; ſondern weil ihn der aͤußere ſinnliche
Eindruck von der Beruͤhrung des Waſſers zum Schwim-
men reizet. Da dieß ſo unſtreitig iſt; warum ſoll man
vorausſetzen, daß ein lebendiger Froſch nicht anders, als
durch einen von aͤußern Empfindungen veranlaßten Trieb
gereizet, huͤpfe oder ſchwimme? Er kann es ja, ohne die
aͤußere Empfindung und ohne die Entwickelung eines Trie-
bes aus ihr zu erwarten, durch die bloße Abwechſelung der
aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke hinlaͤnglich bewerkſtelligen.
Alſo ſind dieſe Bewegungen vielleicht oft in ſeinem natuͤrli-
chen Zuſtande nur bloße Nervenwirkungen, die wir ſtets
fuͤr Seelenwirkungen eines ſeiner Triebe halten, weil ſie es
bey uns und andern Thieren ſind.

§. 557.

Hieraus erhellet nun offenbar die Nichtigkeit des Schluſ-
ſes von den willkuͤhrlichen Bewegungen der Thiere, beſon-
ders von denen, die Seelenwirkungen von Trieben ſeyn
koͤnnten, auf das Daſeyn einer Vorſtellungskraft, auf aͤu-
ßere Empfindungen und auf willkuͤhrliche Vorſtellungen.
Koͤnnen die willkuͤhrlichſten Seelenwirkungen der Triebe
wirklich denkender und mit wahren Trieben begabter Thie-
re, bey ihnen im natuͤrlichen Zuſtande ſchon eben ſo durch
bloße aͤußere ſinnliche Eindruͤcke, als Nervenwirkungen,
bewerkſtelliget werden, und gehen ſie ſogar bey ihnen noch

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[555/0579] 1 Abſchn. Erſetz. der Seelenw. durch Nervenw. abſchlaͤgt, ihren Weg noch eine lange Zeit fortſetzen, die ohne Kopf gleichſam willkuͤhrlich umher ſpazieren, fliegen, u. ſ. w. Ein Froſch brauchet ſeine Beine ganz anders, wenn er huͤpfet, als wenn er ſchwimmt. Hat man ihn enthauptet, und kneipt ihn, ſo enthuͤpfet er, nicht weil die aͤußere Empfindung ſeinen Trieb zu entwiſchen rege ma- chet, ſondern durch eine bloße Nervenwirkung des aͤußern ſinnlichen Eindrucks. Faͤllt er nach dieſem Sprunge aufs Waſſer, ſo brauchet er ſeine Beine zum Schwimmen: nicht, weil nun der Trieb zum Schwimmen in ſeiner Seele durch die Empfindung des Waſſers mit dem Triebe zum Springen abwechſelt; ſondern weil ihn der aͤußere ſinnliche Eindruck von der Beruͤhrung des Waſſers zum Schwim- men reizet. Da dieß ſo unſtreitig iſt; warum ſoll man vorausſetzen, daß ein lebendiger Froſch nicht anders, als durch einen von aͤußern Empfindungen veranlaßten Trieb gereizet, huͤpfe oder ſchwimme? Er kann es ja, ohne die aͤußere Empfindung und ohne die Entwickelung eines Trie- bes aus ihr zu erwarten, durch die bloße Abwechſelung der aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke hinlaͤnglich bewerkſtelligen. Alſo ſind dieſe Bewegungen vielleicht oft in ſeinem natuͤrli- chen Zuſtande nur bloße Nervenwirkungen, die wir ſtets fuͤr Seelenwirkungen eines ſeiner Triebe halten, weil ſie es bey uns und andern Thieren ſind. §. 557. Hieraus erhellet nun offenbar die Nichtigkeit des Schluſ- ſes von den willkuͤhrlichen Bewegungen der Thiere, beſon- ders von denen, die Seelenwirkungen von Trieben ſeyn koͤnnten, auf das Daſeyn einer Vorſtellungskraft, auf aͤu- ßere Empfindungen und auf willkuͤhrliche Vorſtellungen. Koͤnnen die willkuͤhrlichſten Seelenwirkungen der Triebe wirklich denkender und mit wahren Trieben begabter Thie- re, bey ihnen im natuͤrlichen Zuſtande ſchon eben ſo durch bloße aͤußere ſinnliche Eindruͤcke, als Nervenwirkungen, bewerkſtelliget werden, und gehen ſie ſogar bey ihnen noch von

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/579>, abgerufen am 25.11.2024.